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Er hatte ein ganzes Blatt voll Notizen vor sich liegen, so daß diese Frage nur eine von vielen in einer langsamen Abfolge war. Er schrieb sich sogar während des Sprechens etwas mit Bleistift auf und sah Sam überhaupt nicht an. Aber so, wie man mit geschlossenen Augen besser hört, fühlte er, daß Sams Aufmerksamkeit sich steigerte: was heißen will, daß Sam die Beine ein wenig streckte und kreuzte und seine Bewegungen fast bis zum Stillstand verlangsamte.

»Monatliche Überweisungen an die Banque del Indochine«, sagte Sam nach angemessener Pause. »Saftige. Stammten aus einem kanadischen Überseekonto bei der Pariser Filiale.« Er nannte die Kontonummer. »Zahlungen am letzten Freitag eines jeden Monats. Fing an im Januar dreiundsiebzig oder so. Klar fällt mir da etwas ein.«

Smiley entdeckte sofort, daß Sam sich auf ein langes Spiel einrichtete. Sein Gedächtnis war klar, aber seine Information mager: mehr ein Erstangebot als eine unumwundene Antwort. Smiley, noch immer über seine Papiere gebeugt, sagte: »Wir sollten das vielleicht ein bißchen genauer durchgehen, Sam. Einiges in den Akten ist hier widersprüchlich, und ich möchte gern Ihre Version klarstellen.«

»Klar«, sagte Sam wiederum und zog gelassen an seiner braunen Zigarette. Er beobachtete Smileys Hände und gelegentlich mit forcierter Unabsichtlichkeit auch seine Augen - aber nie zu lange. Während Smiley seinerseits sich ausschließlich bemühte, Ohr und Geist für die verschlungenen Lebenspfade eines Außenagenten offenzuhalten. Es war leicht möglich, daß Sam irgend etwas ganz Unwichtiges verbergen wollte. Er hatte zum Beispiel ein bißchen an seinen Ausgaben gedreht und fürchtete, aufgekommen zu sein. Er hatte seinen Bericht erfunden, anstatt hinauszugehen und Hals und Kragen zu riskieren: Sam war schließlich in einem Alter, in dem ein Außenagent zuerst seine eigene Haut rettet. Oder es war genau umgekehrt: Sam hatte seine Nachforschungen ein wenig weiter ausgedehnt als die Hauptstelle genehmigte. Unter Druck war er lieber zu den Hausierern gegangen, als Fehlanzeige einzureichen. Er hatte ein wenig mit den Vettern am Ort gemauschelt. Oder die örtlichen Sicherheitskräfte, die Engel, wie sie im Sarratt-Jargon hießen, hatten ihm die Daumenschrauben angelegt, und er hatte die Geschichte nach beiden Seiten ausgespielt, um zu überleben und zu lächeln und seine Pension vom Circus zu behalten. Smiley wußte, wenn er Sams Bewegungen richtig deuten wollte, so mußte er diesen und zahlreichen anderen Möglichkeiten wache Aufmerksamkeit schenken. Ein Schreibtisch ist ein gefährlicher Ausguck.

Also gingen sie es durch, wie Smiley vorgeschlagen hatte. Londons Ansuchen um Nachforschungen vor Ort, sagte Sam, erreichte ihn in der normalen Form, ganz wie Smiley es beschrieb. Es wurde ihm vom alten Mac vorgelegt, der bis zu seiner Versetzung nach Paris Verbindungsmann des Circus in der Botschaft von Vientiane war. Eine Abendsitzung in ihrem sicheren Haus. Eine Routinesache, obwohl der Zusammenhang mit den Russen sofort augenfällig war, und Sam erinnerte sich sogar, daß er schon damals zu Mac gesagt habe: »London muß glauben, es handle sich um Geld aus dem Reptilienfonds der Moskauer Zentrale«, denn er hatte die Tarnbezeichnung der Sowjetabteilung des Circus bei der Absenderangabe des Telegramms erspäht. (Smiley notierte, daß Mac keine Veranlassung hatte, Sam das Telegramm zu zeigen.) Sam erinnerte sich auch an Macs Antwort auf seine Bemerkung: »Sie hätten die alte Connie Sachs nie und nimmer absägen dürfen«, hatte er gesagt. Sam stimmte ihm aus vollem Herzen zu. Zufällig, sagte Sam, sei das Ansuchen unschwer zu erfüllen gewesen. Sam hatte bereits einen Kontakt in der Indochine, einen guten, nennen wir ihn Johnny. »Aktenkundig, Sam?« fragte Smiley höflich. Sam vermied es, die Frage direkt zu beantworten, und Smiley respektierte seine Hemmung. Der Außenagent, der alle seine Kontakte bei seiner Dienststelle aktenkundig macht oder sie auch nur auf Sicherheit überprüft, ist noch nicht geboren. So wie Zauberkünstler ihre Geheimnisse hüten, so sind Außenagenten, wenn auch aus anderen Gründen, von Haus aus verschwiegen, was ihre Quellen betrifft.

Johnny sei zuverlässig, sagte Sam mit Wärme. Er habe bei verschiedenen Waffen- und Rauschgiftgeschäften ausgezeichnete Arbeit geleistet und überhaupt, Sam würde für ihn die Hand ins Feuer legen.

»Ach, mit solchen Sachen beschäftigten Sie sich auch, Sam?« fragte Smiley respektvoll.

Sam hatte also für das dortige Rauschgiftdezernat Schwarzarbeit geleistet, notierte sich Smiley. Das taten viele Außenagenten, einige sogar mit Wissen ihrer Dienststelle: für sie war das, als verkauften sie Abfallprodukte. Es war ein Nebenverdienst. Folglich nichts Weltbewegendes, aber Smiley speicherte die Information dennoch.

»Johnny war okay«, wiederholte Sam mit drohendem Unterton. »Davon bin ich überzeugt«, sagte Smiley unbeirrt höflich. Sam fuhr in seiner Erzählung fort. Er hatte Johnny in der Indochine aufgesucht und ihm ein Tarnmärchen aufgebunden, um ihn zu beruhigen, und ein paar Tage später hatte Johnny, der nur ein bescheidener Schalterbeamter war, die Bücher durchgesehen und die Belegzettel ausgegraben, und Sam hatte den ersten Anhaltspunkt in der Hand. Die Routine sei folgendermaßen abgelaufen, sagte Sam:

»Am letzten Freitag eines jeden Monats traf aus Paris eine telegrafische Geldanweisung zugunsten eines Monsieur Delassus ein, wohnhaft zur Zeit im Hotel Condor, Vientiane, zahlbar gegen Vorlage des Reisepasses. Folgte die Nummer«. Wiederum sagte Sam mühelos die Zahlen her. »Die Bank ließ das Aviso hinausgehen, Delassus stellte sich am Montag frühstmöglich ein, hob das Geld in bar ab, stopfte es in eine Aktentasche und marschierte damit hinaus. Ende des Fahnenmastes«, sagte Sam. »Wieviel?«

»Fing klein an und wuchs rasch. Wuchs immer weiter, wuchs dann kräftiger.«

»Bis wohin?«

»Fünfundzwanzigtausend US in großen Lappen«, sagte Sam prompt.

Smileys Brauen hoben sich leicht. »Im Monat?« sagte er mit komischem Erstaunen.

»Der große Tisch«, pflichtete Sam ihm bei und verfiel in gemütliches Schweigen. Gescheite Leute, deren Gehirn unterbeansprucht ist, haben eine besondere Spannung in sich, und manchmal können sie deren Ausstrahlungen einfach nicht unter Kontrolle halten. Insofern sind sie, im Scheinwerferlicht, weit mehr gefährdet als ihre dümmeren Kollegen. »Sie bringen mich mit der Akte zur Deckung, alter Junge?« fragte Sam. »Ich bringe Sie mit gar nichts zur Deckung, Sam. Sie wissen doch, wie es ist in einer solchen Lage. Man klammert sich an jeden Strohhalm, horcht auf jeden Wind.«

»Klar«, sagte Sam mitfühlend, und nachdem sie weitere vertrauensvolle Blicke getauscht hatten, fuhr er mit seiner Erzählung fort.

Sam erkundigte sich also im Hotel Condor sagte er. Der Portier war eine feste Informationsquelle, jedem zugänglich. Kein Delassus hier abgestiegen, aber der Mann am Empfang gestern vergnügt, daß er eine Kleinigkeit dafür bekommen habe, diesem Herrn eine Gelegenheitsadresse zu verschaffen. Gleich am nächsten Montag - es war zufällig der Montag nach dem letzten Freitag des Monats, sagte Sam - trieb Sam sich mit Hilfe seines Kontakts Johnny pflichtschuldigst in der Bank herum, »kassierte Reiseschecks und so weiter«, und genoß eine großartige Aussicht auf obengenannten Monsieur Delassus, der hereinstapfte, seinen französischen Paß vorzeigte, das Geld in eine Aktenmappe stopfte und den Rückmarsch zu einem wartenden Taxi antrat.

Taxis, erklärte Sam, seien in Vientiane seltene Tiere. Wer überhaupt jemand war, hatte Wagen und Chauffeur, also durfte angenommen werden, daß Delassus keinen Wert darauf legte, jemand zu sein.

»So weit, so gut«, schloß Sam und sah interessiert zu, wie Smiley schrieb.