»So weit, so sehr gut«, verbesserte Smiley. Wie sein Vorgänger Control benutzte Smiley niemals Schreibblocks: nur einzelne Blätter, eines nach dem anderen, und als Unterlage eine Glasplatte, die Fawn zweimal am Tag polierte. »Haut's hin mit der Akte oder liege ich daneben?« fragte Sam. »Ich würde sagen, Sie liegen richtig, Sam«, sagte Smiley. »Die Details sind mir besonders wichtig. Sie wissen, wie das mit Akten ist.«
Am gleichen Abend, sagte Sam, nochmals mit seinem Verbindungsmann Mac im Dunkeln gemunkelt. Er warf einen langen kühlen Blick auf das Verbrecheralbum der dort ansässigen Russen und konnte die uneinnehmenden Züge eines Zweiten Sekretärs (Handel) an der Sowjetischen Botschaft in Vientiane identifizieren, Mittfünfziger, militärisches Aussehen, keine Vorstrafen, vollständiger Name bekannt, aber unaussprechbar und daher in Diplomatenkreisen nur »Handels-Boris« genannt. Aber Sam hatte selbstverständlich die unaussprechbaren Namen im Kopf parat und buchstabierte sie Smiley langsam genug vor, daß er sie in Blockbuchstaben aufschreiben konnte. »Mitgekriegt?« erkundigte er sich hilfsbereit. »Ja, vielen Dank.«
»Irgendwer hat die Kartei im Autobus liegenlassen, wie, alter Junge?« fragte Sam.
»Stimmt«, bestätigte Smiley lachend.
Als der kritische Montag nach Ablauf eines Monats wieder kam, sagte Sam weiter, beschloß er, behutsam vorzugehen. Anstatt also selbst hinter Handels-Boris herzuschleichen, blieb er zu Hause und setzte ein Paar am Ort stationierte Spürhunde an, die auf Beschattung spezialisiert waren.
»Bloß observieren«, sagte Sam. »Keine Bäume schütteln, keine Nebenarbeiten, kein gar nichts. Lao-Jungs.«
»Unsere?«
»Drei Jahre beim Bau«, sagte Sam. »Und gut«, fügte der Außenagent in ihm hinzu, für den alle seine Gänse Schwäne sind. Besagte Spürhunde beobachteten die Aktenmappe bei ihrer nächsten Fahrt. Das Taxi, ein anderes als im letzten Monat, fuhr Boris eine Weile durch die Stadt und setzte ihn nach einer halben Stunde wieder in der Nähe des Hauptplatzes ab, nicht weit von der Indochine entfernt. Handels-Boris ging ein kleines Stück zu Fuß, flitzte in eine andere Bank, eine Lokalbank, und zahlte die ganze Summe auf den Tisch des Hauses zugunsten eines anderen Kontos wieder ein.
»Aus dein treuer Vater«, sagte Sam, zündete sich eine neue Zigarette an und tat nichts, um sein belustigtes Staunen darüber zu verbergen, daß Smiley einen so umfassend dokumentierten Fall Wort für Wort wiederkäute.
»Ja, aus dein treuer Vater«, murmelte Smiley und schrieb mit Volldampf.
Danach, sagte Sam, verhielt er sich ein paar Wochen still, bis der Staub sich gelegt hatte, dann setzte er seine Assistentin für den Entscheidungsschlag ein. »Name?«
Sam nannte ihn. Eine bewährte Mitarbeiterin des Circus, in Sarrat ausgebildet, ebenfalls unter kaufmännischer Tarnung. Diese bewährte Mitarbeiterin wartete in der Lokalbank vor Boris, ließ ihn seine Einzahlungsformulare ausfüllen und machte dann eine kleine Szene.
»Wie hat sie das gemacht, Sam?« wollte Smiley wissen. »Verlangte, zuerst abgefertigt zu werden«, sagte Sam feixend. »Bruder Boris, dieser chauvinistische Schweinehund, erachtete sich für gleichberechtigt und protestierte. Ein Wort gab das andere.«
Der Einzahlungsschein lag auf dem Tresen, sagte Sam, und während die bewährte Mitarbeiterin ihre Schau abzog, las sie ihn verkehrtherum: fünfundzwanzigtausend amerikanische Dollar zugunsten des Überseekontos einer Schmalspur-Luftfahrtgesellschaft namens Indocharter S.A.: »Betriebskapitaclass="underline" eine Handvoll klapprige DC 3s, eine Blechhütte, ein Stapel Luxus-Briefpapier, eine törichte Blondine für das Besucherbüro und einen tollkühnen mexikanischen Piloten, in der Stadt bekannt als Tiny Ricardo, wegen seiner beachtlichen Größe«, sagte Sam. Er ergänzte noch: »Und die übliche anonyme Horde bienenfleißiger Chinesen im Hintergrund, versteht sich.«
Smileys Ohren waren in diesem Moment so geschärft, daß er ein Blatt hätte vom Baum fallen hören: was er aber hörte, waren, bildlich gesprochen, niedergehende Schranken, und er wußte sofort - er erkannte es an der angespannteren Stimme, an den winzigen Veränderungen in Gesicht und Haltung, die eine übertriebene Bagatellisierung ausdrückten, daß er ins Zentrum von Sams Verteidigungsstellung vorgestoßen war. Also legte er an dieser , ,Stelle im Geist ein Lesezeichen ein und beschloß, noch ein wenig bei der Schmalspur-Luftfahrtgesellschaft zu verweilen:
»Ah«, sagte er leichthin, »Sie wollen sagen, daß Sie die Firma bereits kannten?«
Sam spielte eine niedrige Karte aus. »Vientiane ist nicht ganz Ihre gewaltige Metropole, alter Junge.«
»Aber Sie kannten sie? Das ist wichtig.«
»Jedermann in der Stadt kannte Tiny Ricardo«, sagte Sam und grinste breiter denn je, und Smiley wußte sofort, daß Sam ihm Sand in die Augen streute. Aber er drillte Sam unverdrossen weiter.
»Erzählen Sie mir von Ricardo«, schlug er vor.
»Einer der Ex-Clowns von Air America. Vientiane wimmelte von ihnen. Trugen den heimlichen Krieg in Laos aus.«
»Und verloren ihn«, sagte Smiley, der jetzt wieder schrieb.
»Mühelos«, pflichtete Sam ihm bei und sah zu, wie Smiley ein Blatt beiseitelegte und ein neues aus der Schublade nahm.
»Ricardo gehörte zur Ortslegende. Flog mit Captain Rocky und dieser Bande. Hat angeblich für die Vettern ein paar Spritztouren in die Provinz Yünnan geflogen. Nach Kriegsende ist er ein bißchen rumgekreuzt und hat sich dann mit den Chinesen eingelassen. Wir nannten diese Sorte Air Opium. Um die Zeit, als Bill mich zurückpfiff, hat ihr Weizen in voller Pracht geblüht.« Smiley ließ Sam noch immer weitermachen. Solange Sam glaubte, er locke Smiley von der Witterung weg, würde er ihm Löcher in den Bauch reden; sobald er jedoch glaubte, Smiley komme der Sache zu nah, würde er augenblicklich den Rolladen herunterlassen.
»Sehr schön«, sagte Smiley daher, nachdem er wiederum sorgfältig Notizen gemacht hatte. »Jetzt wollen wir zurückgehen zu Sams nächstem Schritt, ja? Wir haben das Geld, wir wissen, an wen es bezahlt wird, wir wissen, wer es besorgt. Was ist Ihr nächster Schritt, Sam?«
Also, wenn Sam sich recht erinnere, überlegte er ein paar Tage. Es waren da einige überstehende Kanten, erklärte Sam, der wieder Zuversicht gefaßt hatte: Kleinigkeiten, die auffielen. Erstens der seltsame Fall des Handels-Boris, wie man sagen könnte. Boris galt, wie Sam bereits angedeutet hatte, als Diplomat mit weißer Weste, falls es das überhaupt gab: keine bekannte Verbindung mit irgendeiner anderen Firma. Trotzdem kutschierte er allein herum, hatte alleinige Zeichnungsvollmacht für einen Haufen Geld, und nach Sams beschränkter Erfahrung schrie jeder dieser beiden Umstände für sich allein schon lauthals Spion. »Nicht bloß ein Spion, ein verdammt hohes Tier, alter Stabsoffizier, irgendwas vom Oberst aufwärts, stimmt's?«
»Was sonst noch für Kanten, Sam?« fragte Smiley, der Sam weiterhin am langen Zügel laufen ließ und noch immer keine Anstrengungen unternahm in Richtung auf das, was Sam als das Herz der Dinge betrachtete.
»Das Geld war nicht regulär«, sagte Sam. »Es war außer der Reihe. Mac sagte das. Ich sagte das. Wir alle sagten das.« Smileys Kopf hob sich sogar noch langsamer als bisher. »Warum?« fragte er und blickte Sam direkt in die Augen. »Die offizielle Sowjet-Residentur in Vientiane hielt drei Bankkonten, über die Stadt verteilt. Die Vettern hatten alle drei angezapft. Schon seit Jahren. Sie wußten über jeden Cent Bescheid, den die Residentur abhob und sogar, je nach der Kontpnummer, ob es für beigebrachtes Nachrichtenmaterial oder subversive Aktivitäten war. Die Sowjet-Residentur hatte ihre eigenen Geldboten und für jede Abhebung über tausend Eier waren drei Unterschriften nötig. Herrgott, George, das steht doch alles in den Akten!«
»Sam, ich möchte, daß Sie sich vorstellen, diese Akte existierte nicht«, sagte Smiley ernst und schrieb noch immer. »Zur rechten Zeit sollen Sie alles erfahren. Bis dahin müssen Sie Geduld mit uns haben.«