»Ganz wie Sie wünschen«, sagte Sam und atmete bedeutend leichter, wie Smiley feststellte: er schien sich jetzt auf festerem Boden zu fühlen.
An dieser Stelle machte Smiley den Vorschlag, sie sollten Connie heraufkommen und zuhören lassen und vielleicht auch Doc di Salis, denn schließlich war Südostasien Docs Revier. Aus taktischen Gründen war er durchaus willens, sich mit Sams kleinem Geheimnis Zeit zu lassen; und strategisch war der Inhalt von Sams Geschichte bereits von brennendem Interesse. Also wurde Guillam ausgeschickt, die beiden anzuschleppen, während Smiley eine Pause einlegte und Sam und er ein wenig die Beine ausstreckten. »Wie geht's Geschäft?« fragte Sam höflich. »Ein bißchen schleppend«, gab Smiley zu. »Vermissen Sie es?«
»Das ist Karla, wie?« fragte Sam und studierte das Foto. Smileys Tonfall wurde sofort steif und ausweichend. »Wer? Ah ja, ja, gewiß. Leider nicht sehr ähnlich, aber das Beste, das wir haben.«
Sie hätten ein frühes Aquarell bewundern können.
»Sie haben irgend etwas persönlich gegen ihn, wie?« sagte Sam grübelnd.
In diesem Moment kamen Connie, di Salis und Guillam im Gänsemarsch herein, Guillam an der Spitze, und der kleine Fawn hielt gänzlich überflüssigerweise die Tür auf.
Das Rätsel wurde vorübergehend ausgespart und die Sitzung glich einem Kriegsrat: die Jagd war eröffnet. Zuerst rekapitulierte Smiley, was Sam berichtet hatte, wobei er en passant einflocht, sie hätten sich vorgestellt, es existierten keine Akten - eine verschleierte Warnung an die Neuankömmlinge. Dann nahm Sam seinen Bericht dort auf, wo er stehengeblieben war: bei den Kanten, den auffälligen Kleinigkeiten; obwohl es, wie er betonte, wirklich nicht mehr viel zu sagen gab. Die Fährte führte bis zu Indocharter, Vientiane S. A. und brach dort ab.
»Indocharter war eine chinesische Überseegesellschaft«, sagte Sam mit einem flüchtigen Blick auf di Salis. »Vorwiegend swatonesisch.«
Bei dem Wort »swatonesisch« stieß di Salis einen Laut aus, halb Lachen, halb Klage: »Oh, die sind die Allerschlimmsten«, erklärte er: sollte heißen, am schwierigsten zu knacken. »Es war eine chinesische Überseefirma«, wiederholte Sam für die übrige Gesellschaft, »und die Klapsmühlen von Südostasien sind randvoll mit ehrlichen Außenagenten, die versucht haben, den weiteren Lebenslauf heißer Gelder aufzudröseln, nachdem sie einmal im Rachen der Übersee-Chinesen gelandet waren.« Ganz besonders, fügte er hinzu, im Rachen der Swatonesen oder der Chiu Chow, die ein Volk für sich seien und das Reis-Monopol in Thailand, Laos und noch verschiedenen anderen Orten innehatten. Für diese Sippschaft, sagte Sam, sei Indocharter, Vientiane S. A. klassisch gewesen. Seine Tarnung als Kaufmann hatte ihm anscheinend erlaubt, der Sache weiter nachzugehen. »Erstens war die societe anonyme in Paris eingetragen«, sagte er. »Zweitens gehörte die societe nach zuverlässiger Information einer ebenso diskreten wie vielseitigen schanghainesischen Übersee-Handelsgesellschaft mit Sitz in Manila, die ihrerseits im Besitz einer Chiu-Chow-Gesellschaft, eingetragen in Bangkok, war, welche hinwiederum ihre Gewinne an ein total undurchsichtiges Unternehmen in Hongkong abführte, das sich China Airsea nannte und an der dortigen Aktienbörse notiert war; ihm gehörte alles mögliche, von ganzen Dschunken-Flotten über Zementfabriken und Rennpferden bis zu Restaurants. Nach Hongkonger Maßstäben war China Airsea ein hochseriöses Handelshaus, alteingesessen und sehr angesehen«, sagte Sam, »und die einzige Verbindung zwischen Indocharter und China Airsea bestand vermutlich darin, daß irgend jemandes fünftältester Bruder eine Tante hatte, die mit einem der Aktionäre zur Schule gegangen war und ihm eine Gefälligkeit schuldete.«
di Salis nickte flüchtig Zustimmung, verschränkte die ungeschickten Hände, schlang sie mühsam über ein angewinkeltes Knie, und zog es bis zum Kinn hoch.
Smiley hatte die Augen geschlossen und schien entschlummert zu sein. Aber in Wirklichkeit hörte er genau, was er zu hören erwartet hatte: als die Rede auf das Personal der Firma Indocharter kam, umging Sam Collins leichtfüßig eine bestimmte Person. »Aber ich glaube, Sie erwähnten auch zwei Nicht-Chinesen in der Firma, Sam«, erinnerte Smiley ihn. »Eine törichte Blondine, sagten Sie, und ein Pilot: Ricardo.« Sam wischte den Einwand lässig vom Tisch.
»Ricardo war verrückt wie ein Märzhase« sagte er. »Die Chinesen hätten ihm nicht einmal die Portokasse anvertraut. Die wirkliche Arbeit wurde im Hinterzimmer erledigt. Wenn Bargeld hereinkam, dann ging es dorthin und dann verschwand es dort. Ob Russengeld, Opiumgeld oder sonstwas.«
Di Salis riß sich ungestüm an einem Ohrläppchen und pflichtete prompt bei: »Um nach Gutdünken in Vancouver, Amsterdam oder Hongkong wieder aufzutauchen, wo immer es jemand in seinen sehr chinesischen Kram paßte«, erklärte er und wand sich vor Vergnügen über seine eigene Bemerkung. Sam hat sich auch diesmal wieder vom Haken losgemacht, dachte Smiley. »Nun gut«, sagte er. »Und wie ging es danach weiter, Sam, nach Ihrer autorisierten Lesart?«
»London hat die Sache abgeblasen.«
An der Totenstille mußte Sam blitzschnell erkannt haben, daß er an einen wichtigen Nerv gerührt hatte. Was sich allerdings nur aus gewissen Anzeichen entnehmen ließ: er blickte weder in die Runde, um ihre Gesichter zu sehen, noch ließ er irgendeine Neugier erkennen. Statt dessen betrachtete er in einer Art theatralischer Bescheidenheit angelegentlich seine glänzenden Abendschuhe und die eleganten Seidensocken, und zog nachdenklich an seiner braunen Zigarette. »Und wann ist das passiert, Sam?« Sam nannte das Datum.
»Gehen Sie ein Stück zurück. Immer noch, als gäbe es keine Akten, ja? Wieviel wußte London von Ihren Nachforschungen, während Sie am Ball waren? Sagen Sie uns das. Schickten Sie tägliche Lageberichte? Schickte Mac welche?« Hätten die Mütter nebenan eine Bombe losgelassen, sagte Guillam später, keiner von ihnen hätte den Blick von Sam gewendet. Nun, sagte Sam unbefangen, als ginge er zum Spaß auf Smileys Grillen ein, er sei ein alter Hase. Sein Grundsatz bei der Außenarbeit sei immer gewesen: erst handeln, dann fragen. Auch Mac habe es so gemacht. Wer den umgekehrten Weg einschlage, der sei bald so weit, daß London ihn nicht mehr über die Straße gehen lasse, ohne ihm zuerst die Windeln zu wechseln, sagte Sam. »Also?« sagte Smiley geduldig.
Also war die erste Mitteilung, die sie über die Sache nach London machten, sozusagen auch ihre letzte. Mac bestätigte die Anfrage, berichtete über die Hauptpunkte von Sams Entdeckungen und bat London um weitere Instruktionen.
»Und London? Was hat London getan, Sam?«
»Hat an Mac einen eilig-dringend-wichtigen Aufschrei gejagt, daß wir beide von der Sache abgezogen seien und er umgehend die Bestätigung zurückkabeln solle, ich hätte den Befehl verstanden und befolgt. Sicherheitshalber knallten sie uns noch eins auf den Deckeclass="underline" wir sollten nie wieder solo fliegen.«
Guillam malte auf das vor ihm liegende Blatt Papier eine Blume, dann Blütenblätter, dann Regen, der auf die Blume fiel. Connie strahlte Sam an, als wäre es sein Hochzeitstag, und in ihren Babyaugen standen Tränen der Erregung, di Salis ruckte und zuckte seiner Gewohnheit gemäß wie ein alter Motor, aber sein Blick war, wenn überhaupt irgendwohin, auf Sam gerichtet.
»Sie müssen ziemlich wütend gewesen sein«, sagte Smiley schließlich.
»Eigentlich nicht.«
»Wollten Sie die Sache denn nicht zu Ende führen? Sie hatten schließlich einen großartigen Treffer gemacht.«
»Geärgert hat es mich schon, klar.«
»Aber Sie hielten sich an die Anweisungen aus London?«
»Ich bin Soldat, George. Wir stehen alle im Feld.«
»Sehr lobenswert«, sagte Smiley und betrachtete wieder Sam, der sich so nett und charmant im Smoking rekelte.