Wieder einmal verschwand er von der Bildfläche. Es war eine Zeit des Wartens, und er nutzte sie, um sich den hundert anderen Dingen zu widmen, die seine dringende Aufmerksamkeit erheischten. Nach seinem kurzen Ausflug ins Teamwork zog er sich in die inneren Regionen seiner einsamen Welt zurück. Whitehall bekam ihn zu sehen, auch noch Bloomsbury und die Vettern, dann aber blieb die Tür zum Thronsaal ganze Tage hindurch verschlossen, und nur der finstere Fawn, das Faktotum, durfte auf seinen Turnschuhen hinein- und heraushuschen, mit Tassen dampfenden Kaffees, Tellern mit Keksen und gelegentlich schriftlichen Memoranden an oder von seinem Herrn. Smiley hatte das Telefon schon immer gehaßt, jetzt nahm er überhaupt keine Gespräche mehr entgegen, es sei denn, sie beträfen nach Guillams Ansicht Dinge von äußerster Wichtigkeit, und das war nicht der Fall. Der einzige Apparat, den Smiley nicht abstellen konnte, war die direkte Verbindung mit Guillams Schreibtisch, aber wenn er in überreizter Verfassung war, ging er so weit, einen Teewärmer darüber zu stülpen, um das Klingeln zu dämpfen. Guillam hatte ein für allemal Anweisung, jedem mitzuteilen, Smiley sei außer Haus oder in einer Besprechung und würde in einer Stunde zurückrufen. Er machte dann eine Notiz, händigte sie Fawn aus, und da nun die Initiative auf seiner Seite war, rief Smiley manchmal tatsächlich zurück. Er konferierte mit Connie, dann und wann mit di Salis, gelegentlich auch mit beiden, aber Guillam wurde nicht benötigt. Die Karla-Akte wurde endgültig von Connies Recherchenabteilung in Smileys Privatsafe überführt, alle sieben Bände. Guillam unterschrieb für sie und brachte sie Smiley, und als Smiley den Blick vom Schreibtisch hob und sie sah, kam die Ruhe des Wiedererkennens über ihn, und er streckte die Hände nach ihnen aus wie nach einem alten Freund. Die Tür schloß sich wieder, und weitere Tage vergingen. »Was gehört?« erkundigte Smiley sich in Abständen bei Guillam. Er meinte: »Hat Connie angerufen?«
Die Residentur in Hongkong wurde etwa um diese Zeit geräumt, und Smiley erfuhr zu spät von den gigantischen Bemühungen der Housekeepers, die High-Haven-Story zu unterdrücken. Er holte sich sofort Craws Dossier und ließ wiederum Connie zu sich rufen. Ein paar Tage später tauchte Craw persönlich zu einem achtundvierzigstündigen Besuch in London auf. Guillam hatte Vorträge von ihm in Sarratt gehört und haßte ihn. Etliche Wochen danach erblickte der berühmte Artikel des Alten endlich das Licht der Welt. Smiley las ihn aufmerksam, gab ihn dann an Guillam weiter und lieferte ausnahmsweise sogar eine Erklärung für sein Vorgehen: Karla würde sehr genau wissen, worauf der Circus aus war, sagte er. Rückpeilungen seien ein altehrwürdiger Zeitvertreib. Indessen würde Karla kein menschliches Wesen sein, wenn er nach einem so großen Fang nicht eine Weile schliefe. »Er soll von allen Seiten zu hören kriegen, wie mausetot wir sind«, erklärte er.
Bald wurde diese Scheintot-Masche auch auf andere Sphären ausgedehnt, und es war eine von Guillams ergötzlicheren Aufgaben, dafür zu sorgen, daß Roddy Martindale reichlich mit Geschichten über die trostlose Lage des Circus eingedeckt wurde.
Und die Wühlmäuse werkelten weiter. Sie nannten es später den Scheinfrieden. Sie hatten die Landkarte, sagte Connie, und sie hatten die Richtungen, aber noch waren löffelweise ganze Berge zu versetzen. Während der Wartezeit führte Guillam Molly Meakin zu ausgedehnten und kostspieligen Dinners aus, die indes erfolglos endeten. Er spielte Squash mit ihr und bewunderte ihr Auge, er schwamm mit ihr und bewunderte ihren Körper, aber jeden engeren Kontakt wehrte sie mit geheimnisvollem, verhaltenem Lächeln ab, drehte den Kopf zur Seite und nach unten, während sie ihn fest an der Leine hielt.
Unter dem ständigen Druck des Müßiggangs nahm Fawn, das Faktotum, seltsame Gewohnheiten an. Wenn Smiley verschwand und ihn zurückließ, schmachtete er buchstäblich nach der Rückkehr seines Herrn. Eines Abends überraschte ihn Guillam in seiner kleinen Höhle und war zutiefst betroffen, ihn zusammengekauert wie einen Fötus vorzufinden; er wand sich ein Taschentuch wie eine Abbindungsschnur um den Daumen, bis es ihm wehtat.
»Um Gottes willen, es ist doch nicht persönlich gemeint, Mensch!« rief Guillam aus. »George braucht Sie ausnahmsweise mal nicht, das ist alles. Nehmen Sie ein paar Tage Urlaub oder so. Dampf ablassen.«
Aber für Fawn war Smiley der Chef, und er blickte jeden scheel an, der ihn George nannte.
Gegen Ende dieser unfruchtbaren Phase erschien ein neues und wunderschönes Spielzeug auf der fünften Etage. Es wurde von zwei bürstenköpfigen Technikern in Koffern angebracht und in dreitägiger Arbeit installiert: ein grünes Telefon, das trotz Smileys Vorurteilen für seinen Schreibtisch bestimmt war und ihn direkt mit dem Annex verband. Es lief über Guillams Büro und war mit allen möglichen rätselhaften grauen Boxen verbunden, die ohne Warnung lossummten. Sein Vorhandensein vergrößerte noch die allgemeine Nervosität: was sollte eine solche Maschine, fragten sie einander, wenn sie ihr nichts einzufüttern hatten? Aber sie hatten etwas.
Plötzlich war die Katze aus dem Sack. Connie sagte nicht, was sie gefunden hatte, aber die Nachricht von ihrer Entdeckung verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das ganze Haus: »Connie hat einen Treffer gemacht! Die Wühlmäuse haben einen Treffer gemacht! Sie haben die neue Goldader gefunden! Sie haben sie von A bis Z aufgespürt!«