Wo aufgespürt? Wo war A? Wo war Z? Connie und di Salis sagten nichts. Einen Tag und eine Nacht hindurch schleppten sie Akten in den Thronsaal und wieder heraus, zweifellos wieder einmal, um Smiley ihre Werke vorzuführen.
Dann verschwand Smiley auf drei Tage, und Guillam erfuhr erst lang danach, daß er, »um alles wasserdicht zu machen«, wie er sagte, Hamburg und Amsterdam aufgesucht und mit bedeutenden Bankiers aus seinem Bekanntenkreis gesprochen hatte. Diese Herren ließen es sich viel Zeit kosten, ihm zu erklären, der Krieg sei vorbei und sie könnten unter keinen Umständen gegen ihren Ehrencodex verstoßen, und am Ende gaben sie ihm die Auskunft, die er so dringend brauchte: obwohl sie nur die letzte Bestätigung alles dessen war, was die Wühlmäuse errechnet hatten. Smiley kehrte zurück, aber Peter Guillam blieb weiterhin ausgeschlossen und wäre womöglich auf unabsehbare Zeit in seiner privaten Vorhölle isoliert geblieben, hätte nicht das Dinner bei den Lacons stattgefunden.
Daß er einbezogen wurde, war reiner Zufall. Desgleichen das Dinner. Smiley hatte Lacon um eine Nachmittagsaudienz in dessen Ministerium gebeten und zur Vorbereitung mehrere Stunden in Gesellschaft Connies und di Salis' zugebracht. Im letzten Moment wurde Lacon von seinen Vorgesetzten im Parlament mit Beschlag belegt und schlug Smiley als Ersatz ein improvisiertes Essen in seiner scheußlichen Burg in Ascot vor. Smiley haßte das Chauffieren, und es gab keinen Dienstwagen. Schließlich bot Guillam an, ihn in seinem zugigen alten Porsche hinzufahren. Er breitete eine Decke über Smiley, die immer in seinem Wagen lag, für den Fall, daß Molly Meakin sich zu einem Picknick bereitfände. Auf der Fahrt versuchte Smiley, Konversation zu machen, was ihn hart ankam, aber er war nervös. Sie kamen bei Regen an, und an der Tür gab es einige Verwirrung darüber, was mit dem unerwarteten Gefolgsmann zu tun sei. Smiley beteuerte, Guillam könne inzwischen freinehmen und um halb elf wiederkommen; die Lacons, daß er bleiben müsse, es sei massenhaft zu essen da. »Wie Sie wünschen«, sagte Guillam zu Smiley. »Oh, natürlich. Nein, ich meine natürlich, wenn es den Lacons recht ist, selbstverständlich«, sagte Smiley mißmutig, und sie gingen hinein.
Es wurde also ein viertes Gedeck aufgelegt und das verbratene Steak in so kleine Stücke geschnitten, daß es wie vertrocknetes Stew aussah; eine Tochter wurde mit einem Pfund per Fahrrad ausgeschickt, um eine zweite Flasche Wein aus der Kneipe an der Landstraße zu holen. Mrs. Lacon war das scheue Reh, blond und errötend, eine Kindbraut, aus der eine Kindmutter geworden war. Der Tisch war zu lang für vier Personen. Sie setzte Smiley und ihren Mann ans eine Ende und Guillam neben sich. Im Anschluß an die Frage, ob er Madrigale liebe, stürzte sie sich in eine endlose Schilderung eines Konzerts an der Privatschule ihrer Tochter. Sie sagte, die Schule werde einfach kaputtgemacht von den reichen Ausländern, die dort aufgenommen würden, bloß damit die Kasse stimmte. Die Hälfte von ihnen könne überhaupt nicht nach europäischer Art singen:
»Ich meine, wer läßt sein Kind gern mit einem Haufen Perserinnen aufwachsen, wo dort jeder sechs Ehefrauen hat?« Guillam ermunterte sie zum Weiterplappern und spitzte die Ohren, um etwas von dem Gespräch am anderen Tischende mitzubekommen. Lacon schien gleichzeitig alle Register zu ziehen:
»Zuerst ein Gesuch an mich«, trompetete er, »machen Sie das sofort und sehr korrekt. In diesem Stadium sollten Sie höchstens einen vorläufigen Überblick geben. Minister haben bekanntermaßen eine Abneigung gegen alles, was nicht auf einer Postkarte Platz hat. Am besten auf einer Ansichtskarte«, sagte er und nahm einen beherzten Schluck von dem gräßlichen Rotwein. Mrs. Lacon, deren Intoleranz etwas von strahlender Unschuld an sich hatte, jammerte nun über die Juden: »Ich meine, sie essen nicht einmal die gleichen Speisen wie wir«, sagte sie. »Penny sagt, sie kriegen zum Lunch besondere Heringsgerichte.«
Guillam verlor wiederum den Faden, bis Lacon warnend die Stimme hob:
»Versuchen Sie, Karla hier rauszuhalten, George. Ich bat Sie bereits darum. Gewöhnen Sie sich an, statt dessen Moskau zu sagen, ja? Die Leute mögen nichts Persönliches - so leidenschaftslos Ihr Haß gegen ihn auch sein mag. Ich auch nicht.«
»Gut, Moskau«, sagte Smiley.
»Nicht daß man etwas gegen sie hätte«, sagte Mrs. Lacon. »Sie sind nur so anders.«
Lacon kam wieder auf einen früheren Punkt zu sprechen: »Wenn Sie sagen, eine große Summe, wie groß ist dann groß?«
»Wir sind noch nicht in der Lage, das anzugeben«, erwiderte Smiley.
»Gut. Um so verlockender. Haben Sie keinen Panik-Faktor?« Smiley konnte dieser Frage sowenig folgen wie Guillam. »Was regt Sie an Ihrer Entdeckung am meisten auf, George? Worum fürchten Sie, hier, in Ihrer Rolle als Wachhund?«
»Um die Sicherheit einer britischen Kronkolonie?« schlug Smiley nach einigem Überlegen vor.
»Sie sprechen über Hongkong«, erklärte Mrs. Lacon Guillam. »Mein Onkel war Staatssekretär. Väterlicherseits«, fügte sie hinzu. »Mamas Brüder haben nie etwas Gescheites getan.« Sie sagte, Hongkong sei nett, aber es rieche. Lacon war jetzt rosig angehaucht und schweifte ein bißchen ab. »Kolonie, mein Gott, hast du das gehört, Val?« rief er über den Tisch, um ihr bei dieser Gelegenheit ein bißchen Bildung zu vermitteln. »Doppelt so reich wie wir, denke ich, und von meiner Warte aus gesehen auch beneidenswert sicherer. Volle zwanzig Jahre muß der Vertrag noch laufen, auch wenn die Chinesen die Pacht hochtreiben. In dieser Preislage sollten sie uns in Frieden aussterben lassen.«
»Oliver glaubt, wir seien verloren«, erklärte Mrs. Lacon Guillam so erregt, als vertraute sie ihm ein Familiengeheimnis an, und warf ihrem Mann ein engelhaftes Lächeln zu. Lacon nahm seinen früheren freundschaftlichen Tonfall wieder auf, aber er sprach sehr sonor, so daß Guillam vermutete, er wolle vor seiner Squaw eine Schau abziehen.
»Sie würden mich außerdem darauf hinweisen, ja? - gewissermaßen als Hintergrund der Ansichtskarte -, daß bedeutendere nachrichtendienstliche Aktivitäten der Sowjets in Hongkong für die Kolonialregierung eine verheerende Erschwernis in ihren Beziehungen zu Peking darstellen würde?«
»Ehe ich so weit gehen würde . . . «
»Von dessen Wohlwollen«, fuhr Lacon fort, »ihr Überleben von Stunde zu Stunde abhängt, stimmt's?«
»Es geht darum, daß allein solche möglichen Weiterungen . . . «, sagte Smiley.
»Oh, Penny, du bist nackt«, rief Mrs. Lacon nachsichtig. Zu Guillams unendlicher Erleichterung sprang sie auf, um eine ungebärdige kleine Tochter zu beruhigen, die unter der Tür erschienen war. Lacon hatte inzwischen zu einer Arie Luft geholt. »Daher beschützen wir Hongkong nicht nur vor den Russen - was schon schwierig genug ist, das garantiere ich Ihnen, aber vielleicht nicht schwierig genug für einige unserer feinsinnigen Minister -, wir beschützen Hongkong auch vor dem Zorn Pekings - der weltweit als schrecklich gilt, stimmt's, Guillam? Indessen«, fuhr Lacon fort, und ging, um dem volte face Nachdruck zu verleihen, so weit, Smileys Arm mit seiner langen Hand festzuhalten, so daß er das Glas absetzen mußte -, »indessen«, warnte er, und seine unberechenbare Stimme fiel und hob sich wieder, »ob unsere Herrn und Meister das alles schlucken werden, ist eine ganz andere Frage.«
»Ich habe nicht vor, sie darum zu bitten, ehe ich nicht Erhärtung unserer Daten erhalten habe«, sagte Smiley scharf. »Ah, aber das können Sie nicht, oder?« protestierte Lacon, der das Rollenfach wechselte. »Sie können nicht über Inlandsuntersuchungen hinausgehen. Sie haben keine Befugnis.«