»Ohne eingehende Prüfung der Information . . . «
»Ah, was wollen Sie damit sagen, George?«
»Daß ein Agent angesetzt werden muß.« Lacon hob die Brauen und wandte den Kopf ab, wodurch er Guillam unwillkürlich an Molly Meakin erinnerte. »Weder die Verfahrensart noch Details sind meine Angelegenheit. Klar ist, daß Sie nichts Unliebsames unternehmen können. Schließlich haben Sie kein Geld und keine Hilfsmittel.« Er goß sich Wein nach und verschüttete kräftig. »Val!« schrie er. »Lappen!«
»Ich habe einiges Geld.«
»Aber nicht für diesen Zweck.« Der Wein hatte Flecke auf dem Tischtuch hinterlassen. Guillam streute Salz darüber, während Lacon das Tuch anhob und seinen Serviettenring darunterschob, um die Politur zu schützen.
Die nun folgende, lange Stille wurde vom Ticken des auf den Boden tropfenden Weins ausgefüllt. Schließlich sagte Lacon: »Es liegt ausschließlich bei Ihnen zu bestimmen, was im Rahmen Ihres Mandats gerechtfertigt ist.«
»Kann ich das schriftlich haben?«
»Nein.«
»Würden Sie mich ermächtigen, alle nötigen Schritte zur Erhärtung der Information zu unternehmen?«
»Nein.«
»Aber Sie werden mich nicht daran hindern?«
»Da ich nichts von Verfahrensweisen verstehe und dies auch nicht von mir verlangt wird, fällt es kaum mir zu, Ihnen Vorschriften zu machen.«
»Aber wenn ich in aller Form an Sie herantrete ...» begann Smiley.
»Val, bitte einen Lappen. Sobald Sie in aller Form an mich herantreten, werde ich jede Verantwortung ablehnen. Ihr Handlungsspielraum wird vom Lenkungsausschuß für den Geheimen Nachrichtendienst abgesteckt, nicht von mir. Dort lassen Sie Ihren Schmonzes los. Der Ausschuß wird Sie bis zum Schluß anhören. Danach ist die Sache zwischen Ihnen und dem Ausschuß auszufechten. Ich bin nur die Hebamme. Val, bring einen Lappen, es schwimmt schon alles!«
»Oh, mein Kopf liegt auf dem Block, nicht der Ihre«, sagte Smiley wie zu sich selbst. »Sie sind neutral. Das weiß ich alles.«
»Oliver ist nicht neutral«, sagte Mrs. Lacon fröhlich, als sie mit dem Mädchen auf dem Arm, das frisch gebürstet war und ein Nachthemd anhatte, wieder hereinkam. »Er hat unheimlich viel für Sie übrig, nicht wahr, Olly?« Sie reichte Lacon einen Lappen, und er fing an, aufzuwischen. »Er ist in letzter Zeit ein richtiger Falke geworden. Mehr noch als die Amerikaner. Jetzt sag allen gute Nacht, Penny, los.« Sie reichte das Kind herum. »Mister Smiley zuerst . . . Mister Guillam . . . jetzt Daddy . . . Wie geht's Ann, George, doch nicht schon wieder auf dem Lande will ich hoffen?«
»Oh, bestens, vielen Dank.«
»Sie müssen Oliver herumkriegen. Er wird schrecklich bombastisch. Nicht wahr, Olly?«
Sie tanzte hinaus und sang dem Kind selbstverfaßte Ritualweisen vor:
»Hitti-Pitti an der Wand Hitti-Pitti im ganzen Land Und bums, da macht es Plumps!« Lacon sah ihr voll Stolz nach.
»Wollen Sie die Amerikaner nicht mit ins Spiel bringen, George?« fragte er munter. »Wären ein phantastischer Köder, wissen Sie? Rücken Sie mit den Vettern an, und Sie haben den Ausschuß in der Tasche, ohne einen Schuß abzufeuern. Das Foreign Office würde Ihnen aus der Hand fressen.«
»Ich würde diese Sache lieber in der Hand behalten.«
Als hätte es, dachte Guillam, nie ein grünes Telefon gegeben. Lacon spielte mit seinem Glas und überlegte. »Schade«, verkündete er schließlich. »Schade. Keine Vettern, keinen Panik-Faktor . . . «. Er blickte auf die pummelige, wenig eindrucksvolle Gestalt vor ihm. Smiley saß mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen da und schien nah am Einschlafen. »Und auch keine Glaubwürdigkeit«, fuhr Lacon fort, offenbar als direkten Kommentar zu Smileys Erscheinung. »Das Verteidigungsministerium wird keinen Finger für Sie rühren, das will ich Ihnen gleich sagen. Und das Innenministerium ebensowenig. Das Schatzamt ist ein Glücksspiel, und das Außenministerium? - Kommt darauf an, wen sie zu der Besprechung entsenden und was es zum Frühstück gegeben hat.« Wieder dachte er nach. »George.«
»Ja?«
»Lassen Sie mich Ihnen einen Vertreter schicken. Jemanden, der Ihre Sache verfechten, der für Sie auf die Barrikaden gehen kann.«
»Oh, ich glaube, ich werde es schaffen, vielen Dank!«
»Sorgen Sie dafür, daß er mehr ausruht«, riet Lacon Guillam in ohrenbetäubendem Flüstern, als sie zum Wagen gingen. »Und versuchen Sie ihn zu bewegen, daß er diese schwarzen Jacketts und so weiter ablegt. Sind zusammen mit Reifröcken aus der Mode gekommen. Wiedersehen, George! Läuten Sie mich morgen an, wenn Sie sich's anders überlegen sollten und Hilfe möchten. Fahren Sie vorsichtig, Guillam. Sie haben Alkohol getrunken, denken Sie daran!«
Als sie durchs Tor fuhren, tat Guillam einen wirklich sehr starken Ausspruch, aber Smiley steckte zu tief in der Decke, um ihn zu hören.
»Es geht also nach Hongkong?« sagte Guillam. Keine Antwort: aber auch kein Dementi.
»Und wer ist der glückliche Außenmann?« fragte Guillam ein wenig später, ohne eigentliche Hoffnung auf eine Antwort. »Oder hat das Ganze nur den Zweck, die Vettern auszutricksen?«
»Wir tricksen die Vettern keineswegs aus«, brauste Smiley auf, gereizt wie selten. »Wenn wir sie mittun lassen, buttern sie uns unter. Wenn nicht, dann haben wir keine Mittel. Will einfach genau austariert werden.« Smiley tauchte wieder unter die Decke.
Doch schon am folgenden Tag, siehe da, war es soweit. Um zehn berief Smiley ein Einsatzdirektorium ein. Smiley redete, Connie redete, di Salis zappelte herum und kratzte sich wie ein verlauster Dorfschullehrer in einer Bauernkomödie, bis die Reihe zum Sprechen an ihm war und er sich mit seiner rauhen, klugen Stimme äußerte. Noch am gleichen Abend schickte Smiley sein Telegramm nach Italien: ein richtiges Telegramm, nicht nur einen Funkspruch, Codewort guardian, Kopie in die rasch anwachsende Akte. Smiley schrieb es aus, Guillam übergab es Fawn, und der raste triumphierend damit zum Nachtpostamt Charing Cross. Er zog so feierlich damit ab, daß man hätte meinen können, das bräunliche kleine Formular bilde den bisherigen Höhepunkt seines behüteten Daseins. Dem war nicht so. Vor dem Sündenfall hatte Fawn unter Guillam bei den in Brixton stationierten Skalpjägern gearbeitet. Sein erlernter Beruf indessen war der eines lautlosen Killers.
Spaziergang im Park
Diese ganze sonnige Woche hindurch trugen Jerry Westerbys Reisevorbereitungen das Gepräge festlicher Betriebsamkeit, die nicht einen Augenblick nachließ. Wie London einen späten Sommer feierte, so auch, mochte man denken, Jerry Westerby. Stiefmütter, Impfungen, Reisetips, literarische Agenturen und Fleet-Street-Redakteure; Jerry, der London sonst haßte wie die Pest, stiefelte frisch und fröhlich vom einen zum andern. Er hatte für London sogar ein eigenes Kostüm zu seinen Wildlederstiefeln: einen Anzug, nicht direkt aus der Savile Row, aber unleugbar einen Anzug. Seine Gefängnismontur, wie die Waise gesagt hatte, war ein waschbares, verschossen-blaues Etwas, die Kreation eines Rund-um-die-Uhr-Schneiders namens Pontschak Happy House in Bangkok, der es in glänzenden Seidenlettern auf dem Etikett als knitterfrei garantierte. In den milden Mittagsbrisen blähte es sich am Brighton Pier so schwerelos wie eine Soutane. Sein aus gleicher Quelle stammendes Seidenhemd war vergilbt, als hätte es lange in einer Mannschaftsgarderobe von Wimbledon oder Henley gehangen. Seine Sonnenbräune war, obgleich toskanischen Ursprungs, genauso englisch wie die berühmte Kricket-Krawatte, die gleich einer Landesfahne an ihm flatterte. Nur sein Gesichtsausdruck hatte für die sehr Scharfäugigen eine gewisse Wachsamkeit, die auch Mamma Stefano, die Postmeisterin, festgestellt hatte und die man instinktiv als »berufsbedingt« empfindet und damit abtut. Manchmal, wenn er sich auf Wartezeiten gefaßt machte, schleppte er den Büchersack mit sich, so daß er wie ein Hinterwäldler aussah.