»Der Handel ist folgender, altes Haus«, sagte Jerry sehr ruhig. »Hören Sie gut zu. Ja? Es heißt: entweder Zuckerbrot oder Peitsche. Wenn Sie nicht spuren, hängt mein Blatt alles an die große Glocke. Porträt auf der Titelseite, Schlagzeilen über die volle Breite, Fortsetzung letzte Seite, Spalte 6, mit allen Schikanen. >Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?< Hongkong, die Brutstätte der Korruption, und Frosti, das geifernde Ungeheuer. So in dieser Art. Wir sagen allen, wie Sie im >Young Banker's Club< Bettpolonaise spielen, genau wie Sie's mir erzählt haben, und wie Sie bis vor kurzem ein sündhaftes Liebesnest drüben in Kaulun unterhielten, nur daß sie sauer wurde, weil sie mehr Futter wollte. Ehe wir das alles bringen, prüfen wir natürlich die Geschichte mit Ihrem Direktor nach und vielleicht auch mit Ihrer Missus, wenn es ihr gut genug geht.« Auf Frosts Gesicht war ohne jede Warnung eine Sturmflut von Schweiß ausgebrochen. Die fahlen Züge hatten nur ganz kurz öligen Glanz angenommen, dann waren sie auch schon klitschnaß, und der Schweiß rann ungehindert über das feiste Kinn und fiel auf den Robin-Hood-Anzug.
»Kommt vom Saufen«, sagte er töricht und versuchte, die Flut mit seinem Taschentuch einzudämmen. »Ich kriege das immer, wenn ich trinke. Verfluchtes Klima. Ich sollte ihm nicht ausgesetzt sein. Sollte niemand. Hier geht man vor die Hunde. Ich hasse dieses Land.«
»Das ist die schlechte Nachricht«, fuhr Jerry fort. Sie standen noch immer am Fenster, Seite an Seite, wie zwei Männer, die den Ausblick genießen. »Die gute Nachricht lautet fünfhundert US in ihr heißes Händchen, beste Empfehlungen von Grub Street, keiner erfährt was, und Frosti soll Direktor werden. Warum also entspannen Sie sich nicht und genießen es! Gewissermaßen.«
»Und darf ich erfahren«, japste Frost schließlich mit einem verzweifelten Versuch zur Ironie, »zu welchem Zweck Sie diese Unterlagen überhaupt einzusehen wünschen?«
»Verbrechen und Korruption, altes Haus. Die Hongkong Connection. Grub Street benennt die Schuldigen. Konto-Nummer vier vier zwei. Haben Sie es hier?« fragte Jerry und deutete auf den Safe.
Frosts Lippen formten ein »Nein«, aber aus seinem Mund kam kein Ton.
»Zweimal vier, dann die Zwei. Wo ist es?«
»Hören Sie«, murmelte Frost. Sein Gesicht war ein hoffnungsloses Durcheinander von Angst und Enttäuschung. »Tun Sie mir einen Gefallen, ja! Lassen Sie mich aus dem Spiel. Bestechen Sie einen meiner chinesischen Angestellten, okay? Das ist die richtige Methode. Ich meine, ich habe hier eine Position.«
»Sie kennen die Redensart, Frosti. In Hongkong plaudern sogar die Gänseblümchen. Ich will Sie. Sie sind hier, und Sie sind besser qualifiziert. Ist es im Tresorraum?«
Sie müssen die Sache in Gang halten, sagten sie, die Schraube ständig noch fester anziehen. Verlieren Sie die Initiative ein einziges Mal, und Sie haben sie für immer verloren. Da Frost noch immer verdattert dastand, tat Jerry, als verlöre er die Geduld. Mit einer sehr großen Hand packte er Frost an der Schulter, wirbelte ihn herum und schob ihn rückwärts, bis seine kleinen Schultern flach an den Safe gepreßt waren. »Ist es im Tresorraum?«
»Wieso soll ich das wissen?«
»Ich sag Ihnen gleich, wieso«, versprach Jerry und nickte so nachdrücklich, daß seine Haarsträhne auf- und abflog. »Ich sag Ihnen wieso, altes Haus«, wiederholte er und versetzte Frost mit der freien Hand einen leichten Schlag auf die Schulter. »Weil Sie nämlich sonst vierzig sind und auf der Straße liegen, mit einer kranken Frau am Hals und hungrigen Bambinos; und das Schulgeld und die ganze Katastrophe! Es gibt nur ein Entweder-oder, und die Entscheidung fällt jetzt. Nicht in fünf Minuten, sondern jetzt. Es ist mir egal, wie Sie's machen, aber sorgen Sie dafür, daß es unverdächtig klingt, und lassen Sie Natalie aus dem Spiel.«
Jerry führte ihn wieder in die Mitte des Büros zurück, zum Schreibtisch mit dem Telefon. Es gibt Rollen im Leben, die man unmöglich mit Würde spielen kann. Eine solche war Frost an diesem Tag zugeteilt. Er hob den Hörer ab und wählte eine einzige Zahl.
»Natalie? Oh, Sie sind noch nicht weg. Hören Sie zu, ich muß noch ungefähr eine Stunde hierbleiben, hatte gerade einen Kunden am Telefon. Sagen Sie Syd, er soll den Tresorraum offen lassen, ich verschließe ihn, sobald ich gehe, ja?« Er ließ sich in seinen Sessel fallen.
»Bringen Sie Ihr Haar in Ordnung«, sagte Jerry und trat wieder ans Fenster, während sie warteten.
»Von wegen Verbrechen und Korruption!« murrte Frost. »Na schön, und wenn er wirklich eine krumme Tour dreht: nennen Sie mir einen Chinesen, der das nicht tut. Nennen Sie mir einen Briten, der's nicht tut, Glauben Sie, das bringt die Insel wieder auf die Füße?«
»Er ist also Chinese?« sagte Jerry sehr scharf. Jerry trat wieder an den Schreibtisch und wählte selbst Natalies Nummer. Keine Antwort. Er hievte Frost behutsam aus dem Sessel und führte ihn zur Tür.
»Und schließen Sie ja nicht ab«, warnte er. »Wir müssen alles wieder reinlegen, ehe Sie gehen.«
Frost war zurückgekommen. Er saß düster am Schreibtisch, vor ihm auf der Schreibunterlage lagen drei Aktenhefter. Jerry goß ihm einen Wodka ein. Er blieb neben seiner Schulter stehen, während Frost trank, und erklärte, wie eine Zusammenarbeit dieser Art funktionierte. Frosti werde nicht das geringste spüren, sagte er. Er müsse nur alles dort liegenlassen, wo es lag, dann in den Korridor hinausgehen und die Tür sorgfältig hinter sich schließen. Neben der Tür hing ein Schwarzes Brett: Frosti habe es bestimmt schon oft angesehen, er solle sich vor dieses Schwarze Brett stellen und die Anschläge gewissenhaft studieren, einen nach dem anderen, bis er Jerry innen zweimal klopfen höre, dann könne er wieder hereinkommen. Während er lese, solle er sich so vor dem Guckloch aufstellen, daß Jerry sich seiner Gegenwart vergewissern könne und Vorüberkommenden die Einsicht versperrt bleibe. Frost könne sich überdies mit dem Gedanken trösten, daß er niemandens Vertrauen mißbraucht habe. Schlimmstenfalls könne ihm höheren Orts - oder auch von Kundenseite - vorgeworfen werden, daß er Jerry im Büro alleingelassen und damit einen technischen Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen der Bank begangen habe. »Wie viele Auszüge sind in diesen Akten?«
»Woher soll ich das wissen?« fragte Frost. Die ihm bescheinigte Unschuld hatte ihn wieder ein wenig kühner gemacht. »Dann zähl' sie, altes Haus, ja? Braver Junge.« Es waren genau fünfzig, eine ganze Menge mehr, als Jerry erwartet hatte. Blieben noch Vorkehrungen zu treffen für den Fall, daß Jerry wider alle Wahrscheinlichkeit gestört werden sollte.
»Ich brauche Antragsformulare«, sagte er.
»Was denn für verdammte Antragsformulare? Ich habe hier keine Formulare«, erwiderte Frost. »Ich habe Mädchen, die mir die Dinger bringen. Nein, die hab' ich auch nicht. Die sind heute schon nach Hause gegangen.«
»Um mein Treuhandkonto in Ihrem würdigen Haus zu eröffnen, Frosti. Hier auf dem Tisch ausgebreitet, zusammen mit Ihrer vergoldeten Füllfeder für Vorzugskunden. Sie schnappen ein bißchen Luft, während ich die Formulare ausfülle. Und das ist die erste Einlage«, sagte er, zog ein kleines Bündel amerikanischer Banknoten aus der Hüfttasche und ließ sie mit einem satten Klatsch auf den Tisch fallen. Frost schielte auf das Geld, nahm es aber nicht.
Sobald Jerry allein war, ging er rasch zu Werke. Er löste die Blätter aus den Klammern und legte sie paarweise nebeneinander, so daß er zwei auf einmal fotografieren konnte. Er hielt die großen Ellbogen dicht am Körper, um eine ruhige Hand, die großen Füße leicht gegrätscht, um einen besseren Stand zu haben, wie ein Eckmannfänger beim Krickett, und die Meßkette berührte gerade noch die Papiere, um die Tiefenschärfe zu bestimmen. Wenn er nicht zufrieden war, machte er die Aufnahme nochmals. Manchmal regulierte er die Belichtungszeit. Häufig wandte er den Kopf und warf einen Blick auf den Robin-Hood-grünen Kreis im Guckloch, um sich zu vergewissern, daß Frost auf seinem Posten verharrte und nicht etwa die bewaffnete Garde herbeirief. Einmal wurde Frost ungeduldig und klopfte an das Glas, und Jerry knurrte ihn an, er solle sich still verhalten. Dann und wann hörte er Schritte näherkommen, dann ließ er alles auf dem Tisch stehen und liegen, einschließlich Geld und Antragsformulare, steckte die Kamera in die Tasche und spazierte zum Fenster, blickte auf den Hafen und fuhr sich durchs Haar, wie jemand, der vor der großen Entscheidung seines Lebens steht. Und einmal wechselte er die Kassette, eine knifflige Sache, wenn man dicke Finger hat und unter Hochspannung steht. Er wünschte sich, die alte Kamera würde dabei ein bißchen weniger Geräusch verursachen. Als er Frost hereinrief, lagen die Aktenhefter wieder auf dem Schreibtisch, die Geldscheine neben den Heftern, und Jerry fror und empfand leise Mordgelüste.