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Es kann nun nicht überraschen, daß Jerry, als er sich am folgenden Samstag zu den Pferderennen nach Happy Valley begab, ein recht detailliertes Porträt seiner Jagdbeute im Besitz hatte.

Das Taxi kostete den doppelten Preis, weil Renntag war, und Jerry bezahlte, weil er wußte, daß es so üblich war. Er hatte Craw gesagt, daß er hingehe, und Craw hatte keinen Einwand erhoben. Er hatte Luke auf die Fahrt mitgenommen, denn er wußte, daß zwei manchmal weniger verdächtig sind als einer. Er war ein bißchen ängstlich, daß er Frost begegnen könnte, denn das Hongkong der Europäer ist eine sehr kleine Stadt. Am Haupteingang rief er die Veranstaltungsleitung an, um ein bißchen Eindruck zu schinden, und nach angemessener Zeit erschien ein Captain Grant, ein junger Angestellter, dem Jerry den Grund seiner Anwesenheit erklärte: er schreibe für das Comic eine Reportage über Happy Valley. Grant war ein witziger, eleganter Mann, der türkische Zigaretten in einer Spitze rauchte, und alles, was Jerry sagte, schien ihn auf eine freundschaftliche, wenn auch sehr zurückhaltende Art zu amüsieren. »Sie sind also der Sohn«, sagte er schließlich. »Kannten Sie ihn?« sagte Jerry grinsend. »Nur von ihm gehört«, erwiderte Captain Grant, aber was er gehört hatte, schien ihm zu gefallen.

Er gab beiden Männern Abzeichen und bot ihnen später Drinks an. Das zweite Rennen war soeben gelaufen. Während sie sich unterhielten, hörten sie das Gebrüll der erregten Menge wie eine Lawine andonnern, dann ersterben. Als sie auf den Lift warteten, sah Jerry auf dem Schwarzen Brett nach, wer die Privatlogen gemietet hatte. Die eiserne Garde stellte die Peak-Mafia: die Bank - wie die Hong Kong and Shanghai Bank sich zu nennen beliebte -, Jardine Matheson,- der Gouverneur, der Kommandeur der britischen Streitkräfte. Mr. Drake Ko, O. B. E. war, obgleich Steward des Clubs, nicht unter ihnen.

»Westerby! Lieber Gott, Mann, wer zum Teufel hat denn Sie hier reingelassen? Hören Sie, stimmt es, daß Ihr alter Herr noch Pleite machte, ehe er starb?«

Jerry zögerte, grinste, dann zog er mit einiger Verspätung die Karte aus seinem Gedächtnis: Clive Soundso, Society-Anwalt, Haus in Repulse Bay, penetrant schottisch, ganz gespielte Leutseligkeit und für seine krummen Touren bekannt. Jerry hatte von ihm einmal Hintergrund-Material über einen maconesischen Goldschwindel bekommen und schloß daraus, daß Clive damals eine Scheibe vom Kuchen abbekommen hatte. »Clive, super, wunderbar.«

Sie tauschten Banalitäten aus, der Lift war immer noch nicht da. »Los. Geben Sie uns Ihre Karte. Ich verschaffe Ihnen ein Vermögen.« Porton, dachte Jerry: Clive Porton. Porton entriß Jerry die Rennkarte, leckte sich den großen Daumen, blätterte etwa bis zur Mitte und zog mit dem Kugelschreiber einen Kreis um einen Pferdenamen. »Nummer sieben im dritten, kann gar nichts schiefgehen«, flüsterte er. »Setzen Sie Ihr Hemd darauf, okay? Wissen Sie, ich schenke nicht alle Tage Geld her.«

»Was hat Ihnen dieser Dreckskerl verkauft?« erkundigte sich Luke, als Porton außer Hörweite war. »Nennt sich Open Space.«

Ihre Wege trennten sich. Luke ging, um Wetten zu plazieren und sich in den American Club im oberen Stockwerk einzumogeln. Jerry setzte spontan hundert Dollar auf Lucky Nelson und steuerte dann eilends den Speisesaal des Hong Kong Club an. »Wenn ich verliere«, dachte er kaltlächelnd, »setz' ich's George auf die Rechnung.« Die Doppeltüren waren offen, und er marschierte stracks hinein. Alles atmete ordinären Reichtum: ein Golfclub in Surrey an einem regnerischen Wochenende, nur daß diejenigen, die den Taschendieben trotzten, echte Juwelen trugen. Eine Gruppe von Ehefrauen saß abseits, wie unbenutztes Gerät, starrte finster in die Mattscheibe und jammerte über Dienstboten und unverschämte Fotoreporter. Der Geruch von Zigarrenrauch und Schweiß und abserviertem Essen lag in der Luft. Als sie ihn hereinschlendern sahen - den gräßlichen Anzug, die Wildlederstiefel, »Presse« vom Scheitel bis zur Zehe - wurde ihr Starren noch finsterer. Das Unangenehme für uns Prominente in Hongkong, sagten ihre Mienen, ist, daß nicht genügend Leute hinausgeworfen werden. An der Bar hatte sich ein Schwarm ernsthafter Trinker versammelt, zumeist Glücksritter von den Londoner Handelsbanken mit penetrantem Akzent, verfrühten Bierbäuchen und Specknacken. Neben ihnen die Nachwuchsstars von Jardine Matheson, die für die Firmenloge noch nicht groß genug waren: geschniegelte Jünglinge, für die der Himmel in Geld und Beförderung bestand. Jerry blickte sich besorgt nach Frosti um, aber entweder hatten die Hottehühs ihn heute nicht locken können oder er steckte bei irgendeinem anderen Haufen. Mit einem Grinsen und einem vagen Winken in die Runde lotste er den zweiten Geschäftsführer aus seiner Ecke, begrüßte ihn wie einen verlorengeglaubten Freund, erwähnte nebenhin Captain Grant, steckte ihm zwanzig Dollar zu, erhielt in Umgehung sämtlicher Vorschriften eine Tageskarte und trat, noch achtzehn Minuten vor dem nächsten Start, dankbar hinaus auf den Balkon: Sonne, Düngerduft, das wilde Geschiebe einer chinesischen Menschenmenge, und sein eigener immer schneller werdender Herzschlag, der flüsterte: »Pferde«.

Eine Weile lehnte Jerry grinsend da und betrachtete das Bild, denn so oft er es sah, war es für ihn das erstemal. Der Rasen der Rennstrecke von Happy Valley mußte die kostbarste Anpflanzung der Welt sein. Es gab nur sehr wenig. Ein schmaler Ring umzog eine Art Londoner Vorstadtstadion, das Sonne und viele Füße zu Dreck zerwühlt hatten. Acht zertrampelte Fußball-Torräume, ein Rugby-Torraum und ein Hockey-Torraum, alles sah städtisch-vernachlässigt aus. Das dünne grüne Band jedoch, das diese schmutzige Masse umzog, hatte allein in diesem Jahr vermutlich eine schlanke Million Pfund Sterling in legalen Wetten eingebracht und die gleiche Summe nochmals unter der Hand. Die Anlage ist weniger ein Tal als eine Feuerpfanne: das gleißend weiße Stadion auf der einen Seite, braune Hügel auf der anderen, während vor Jerry und zu seiner Linken das andere Hongkong lauerte: ein Kartenhaus-Manhattan aus grauen Wolkenkratzer-Slums, die so dicht gepfercht sind, daß sie sich in der Hitze aneinanderzulehnen scheinen. Von jedem der winzigen Balkone ragte ein Bambusstab, als hätte man den Bau mit Stecknadeln abgestützt; von jedem Stab hingen unzählige Wimpel schwarzer Kleidungsstücke, als hätte etwas Riesiges gegen das Gebäude gewischt und in seinem Sog diese Fetzen zurückgelassen. Sofortige Errettung aus Behausungen wie diesen - das war der Traum, mit dem Happy Valley den Wettlustigen, mit Ausnahme der verschwindendsten Minderheit, heute winkte. Rechter Hand, von Jerry aus gesehen, glänzten neuere, stolzere Bauten. Dort, so erinnerte er sich, schlugen illegale Buchmacher ihre Büros auf und hielten durch ein Dutzend geheimnisvoller Methoden: Ticker, Walkie-Talkie, Lichtsignale - Sarratt wäre hingerissen gewesen - den Dialog mit ihren Zuträgern aufrecht. Noch weiter oben verliefen die Grate kahlgeschorener Hügel, zerfleischt von Steinbrüchen und entstellt vom Eisenschrott elektronischer Horchanlagen. Jerry hatte irgendwo gehört, die Radargeräte seien hier für die Vettern installiert worden, damit sie die Überflüge taiwanischer U-2-Maschinen verfolgen könnten. Über den Hügeln Ballen weißer Wolken, die keine Witterung jemals zu zerstreuen schien. Und über den Wolken schmachtete heute der gebleichte chinesische Himmel in der Sonne, und ein Falke zog langsam seine Kreise. Das alles nahm Jerry in einem einzigen dankbaren Zug in sich auf.

Für die Menge war ziellose Wartezeit. Brennpunkt der Aufmerksamkeit, wenn es überhaupt einen gab, waren die vier fetten Chinesenfrauen mit fransigen Hakka-Hüten und schwarzen Pyjamas, die mit Rechen die Rennbahn entlanggingen und das kostbare Gras neu frisierten, wo die galoppierenden Hufe es verwuschelt hatten. Sie bewegten sich mit der Würde totaler Gleichgültigkeit: Es war, als drückte der ganze chinesische Bauernstand sich in ihren Bewegungen aus. Eine Sekunde lang galt ihnen, wie es die Art der Menschenmengen ist, eine Woge kollektiver Solidarität, dann waren sie vergessen. Nach dem Wettstand war Clive Portons Open Space dritter Favorit. Drake Kos Lucky Nelson war unter ferner liefen mit vierzig zu eins, also gleich Null. Jerry drückte sich an einer Gruppe festlich gestimmter Australier bis zur Ecke des Balkons, reckte den Hals und äugte scharf nach unten, über die Kopf reihen hinweg zur Box der Pferdebesitzer, die vom gewöhnlichen Volk durch ein grünes Eisentor und einen Wachposten getrennt war. Er hielt die Hand über die Augen, wünschte sich, daß er ein Glas mitgebracht hätte, und sichtete einen fetten, hart aussehenden Mann mit Anzug und dunkler Brille, begleitet von einem jungen und sehr hübschen Mädchen. Der Mann sah halb chinesisch, halb südamerikanisch aus, und Jerry ordnete ihn als Philippino ein. Das Mädchen war das Beste, was man für Geld bekommen konnte. Muß bei seinem Pferd sein, dachte Jerry und erinnerte sich an Old Sambo. Höchstwahrscheinlich am Sattelplatz, letzte Besprechung mit Trainer und Jockey.