Ko dankte Nelson für seinen Sieg. Jetzt verstand Jerry wenigstens, warum er nicht mit Fragen nach seinem Glück belästigt werden wollte.
Es gibt eine Art gelegentlich auftretender Ermüdung, die nur Außenagenten kennen: eine Versuchung zur Milde, die der Kuß des Todes sein kann. Jerry verharrte noch eine Weile, betrachtete die Orchideen und den steinernen Jungen und fügte sie im Geist all dem hinzu, was er bisher von Ko gesehen und über ihn erfahren hatte. Und er hatte ein überwältigendes Gefühl - nur eine Sekunde lang, aber es ist allemal gefährlich - der Erfüllung als wäre er einer Familie begegnet, nur um zu entdecken, daß es seine eigene war. Er hatte ein Gefühl, angelangt zu sein. Hier war ein Mann, der dieses Haus besaß, mit jener Frau verheiratet war, strebte und spielte auf eine Art, die Jerry mühelos verstand. Kein besonders einprägsamer Mann, und doch sah Jerry ihn in diesem Augenblick deutlicher, als er sich selber je gesehen hatte. Ein armer Chiu-Chow-Junge, der Steward eines Jockey Clubs wird und Träger des O.B.E. und vor einem Rennen sein Pferd mit dem Schlauch abspritzt. Ein Hakka-Wasserzigeuner, der seinem Kind ein baptistisches Begräbnis und ein englisches Standbild gibt. Ein Kapitalist, der Politik haßt. Ein gescheiterter Jurist; Bandenboß, Erbauer von Krankenhäusern, der Opiumflüge befehligt, Stifter von Geistertempeln, der Krocket spielt und in einem Rolls-Royce herumfährt. Eine amerikanische Bar in seinem chinesischen Garten, und russisches Gold auf seinem Treuhandkonto. Alle diese umfassenden und widersprüchlichen Einblicke alarmierten Jerry damals nicht im geringsten; sie waren nicht Vorboten schlimmer oder paradoxer Ereignisse. Er sah sie vielmehr durch Kos rücksichtsloses Bemühen zusammengeschweißt zu einem einzigen, aber vielseitigen Mann, nicht unähnlich Old Sambo. Und noch nachdrücklicher hatte er - in den wenigen Sekunden, die es andauerte - das unabweisbare Gefühl, in guter Gesellschaft zu sein, etwas, das er schon immer geschätzt hatte. In stiller Hochstimmung kehrte er zum Friedhofstor zurück, als hätte Jerry, nicht Ko, das Rennen gewonnen. Erst als er wieder auf der Straße stand, fand er in die Wirklichkeit zurück. Der Verkehr war lockerer geworden, und er fand sofort ein Taxi. Sie waren etwa hundert Yards gefahren, als er Luke auf dem Bordstein einsame Pirouetten drehen sah. Jerry lotste ihn in den Wagen und setzte ihn vor dem Auslandskorrespondenten Club wieder ab. Im Furama-Hotel rief er Craws Privatnummer an, ließ es zweimal klingeln, läutete nochmals an und hörte Craws Stimme fragen: »Wer zum Teufel ist denn dort?« Er fragte nach einem Mr. Savage, erntete ein gemeines Schimpfwort und die Auskunft, er habe die falsche Nummer gewählt, ließ Craw eine halbe Stunde Zeit, ein anderes Telefon aufzusuchen und ging dann hinüber zum Hilton, um auf den Rückruf zu warten.
Unser Freund sei in persona aufgetaucht, berichtete Jerry ihm. Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wegen eines gewaltigen Gewinns. Als es vorbei gewesen sei, habe ihn eine sehr hübsche Blonde in ihrem Sportwagen mitgenommen. Jerry nannte die Zulassungsnummer. Die beiden waren eindeutig befreundet, sagte er. Sehr auffallend und höchst unchinesisch. Mindestens befreundet, würde er sagen. »Rundauge?«
»Natürlich war sie ein Rundauge, und ob! Wer zum Teufel hat schon je gehört, daß . . .«
»Herrje«, sagte Craw leise und legte auf, ehe Jerry Gelegenheit hatte, ihm von Klein Nelsons Grabmal zu berichten.
Die Barone tagen
Der Warteraum im hübschen Tagungshaus des Foreign Office in Carlton Gardens füllte sich langsam. Leute kamen zu zweien und dreien herein, ohne einander zur Kenntnis zu nehmen, wie Trauergäste vor einem Begräbnis. An der Wand hing ein Schild mit der Warnung: »Besprechen Sie keine vertraulichen Angelegenheiten«. Smiley und Guillam hatten sich verzagt direkt darunter auf einer mit lachsfarbenem Samt bezogenen Bank niedergelassen. Der Raum war oval und im Rokoko-Stil des Arbeitsministeriums gehalten. Am bemalten Plafond machte Bacchus Jagd auf ein paar Nymphen, die bedeutend williger waren, sich fangen zu lassen, als Molly Meakin. An den Wänden standen leere Löscheimer, und zwei Regierungs-Cerberusse bewachten den Zugang zu den inneren Räumlichkeiten. Vor den geschwungenen Schiebefenstern erfüllte Herbstsonne den Park und hob jedes einzelne Blatt scharf ab. Saul Enderby führte strammen Schritts das Kontingent des Foreign Office herein. Guillam kannte ihn nur dem Namen nach. Er war früher Gesandter in Indonesien gewesen, jetzt Ober-Pundit der Südostasien-Abteilung und galt als entschiedener Verfechter des amerikanischen harten Kurses. Im Schlepptau ein ergebener parlamentarischer Unterstaatssekretär, ein Gewerkschafts-Protege und eine blühende, schmucke Gestalt, die sich auf Zehenspitzen - Smiley näherte, die Hände waagerecht ausgestreckt, als überraschte sie ihn bei einem Nickerchen.