»Kann das wahr sein?« flüsterte er strahlend. »Wirklich? Wirklich ! George Smiley in voller Pracht. Mein Lieber, Sie haben ja Pfunde verloren. Wer ist Ihr netter Junge. Nichts sagen. Peter Guillam. Ich weiß alles von ihm. Gänzlich unverdorben vom Mißerfolg, heißt es.«
»O nein!« rief Smiley unwillkürlich. »O Himmel, Roddy.«
»Was meinen Sie mit: >0 nein. O Himmel, Roddy<,« fragte Martindale völlig ungerührt im gleichen leisen Vibrato. »O ja, meinen Sie wohl! >Ja, Roddy. Gottvoll, Sie zu sehen, Roddy !< Hören Sie zu. Ehe das Pack anrückt. Was macht die hinreißende Ann? Nur für meine Ohren. Kann ich für Sie beide ein Dinner geben? Sie sollen die Gäste wählen. Wie wäre das? Und, ja, ich stehe auf der Liste, falls das Ihr kleines Rattenhirn beunruhigen sollte, junger Peter Guillam, ich bin aufgerückt, ich bin eine große Nummer, unsere neuen Herren beten mich an. Sollten sie auch, nach all dem Wirbel, den ich um sie gemacht habe.« Die Innentüren flogen mit einem Knall auf. Einer der Wachtposten rief »Gentlemen!«, und die Kenner des Protokolls traten zurück, um den Damen den Vortritt zu lassen. Es waren zwei. Die Männer folgten, Guillam bildete den Schluß. Ein paar Meter weit hätte es der Circus sein können: ein eigens angelegter Engpaß, wo jedes einzelne Gesicht von Kontrolleuren geprüft wurde, dann ein provisorischer Korridor, der zu einer Art Bauhütte inmitten eines ausgehöhlten Treppenschachts führte: nur daß die Bauhütte keine Fenster hatte und an Drähten hing und mit Seilen gesichert war. Guillam hatte Smiley völlig aus den Augen verloren, und als er die Stufen aus Hartfaserplatten hinaufstieg und den streng gesicherten Sitzungssaal betrat, sah er nur Schatten unter einem blauen Nachtlicht geistern.
»So tu doch wer was«, grollte Enderby wie ein ungeduldiger Gast, der sich über die Bedienung beklagt. »Licht, Herrgottnochmal. Verdammtes Volk.«
Die Tür schlug hinter Guillams Rücken zu, ein Schlüssel drehte sich im Schloß, ein elektrisches Summen klomm die Tonleiter hinauf und verschwand wimmernd aus dem Hörbereich, drei Neonröhren wurden stotternd hell und tauchten die Anwesenden in kränkliche Blässe.
»Hurrah«, sagte Enderby und setzte sich. Später überlegte Guillam, wieso er so sicher war, daß Enderby im Dunkeln gerufen hatte, aber es gibt Stimmen, die man hört, noch ehe sie sprechen. Der Konferenztisch war mit schadhaftem grünem Filz bezogen, wie die Billardtische in einem Jugendclub. Das Foreign Office saß am einen Ende, das Colonial Office am anderen. Die Trennung war eher biologisch als gesetzlich bedingt. Seit sechs Jahren lebten' die beiden Ministerien als offiziell vermähltes Paar unter dem großartigen Dach des Diplomatic Service, aber kein vernünftiger Mensch nahm die Verbindung ernst. Guillam und Smiley saßen in der Mitte, Schulter an Schulter, flankiert von leeren Stühlen. Als Guillam die Besetzung musterte, fiel ihm absurderweise vor allem die Kleidung auf. Das Foreign Office war kategorisch in anthrazitgrauen Anzügen und den diskreten Attributen der Bevorzugten erschienen: sowohl Enderby wie Martindale trugen Alt-Eton-Krawatten. Die Colonialists boten den handgewebten Eindruck von Landbewohnern, die in die Stadt kamen, und das Beste, was sie in puncto Krawatten vorzuzeigen hatten, war ein einziger Royal-Artillery-Mann: der redliche Wilbraham, ihr Anführer, ein rüstiger, schlanker schulmeisterlicher Herr mit hochroten Äderchen auf den wettergegerbten Wangen. Eine stille Frau in Orgelbraun saß ihm zur Seite und auf der anderen Seite ein frischgebackener junger Mitarbeiter mit Sommersprossen und einem rötlichen Haarschopf. Die übrigen Sitzungsteilnehmer sahen aus wie Sekundanten bei einem Duell, das sie zutiefst mißbilligten, und sie waren vorsichtshalber immer paarweise gekommen: der finstere Pretorius vom Staats-Sicherheitsdienst mit einem namenlosen weiblichen Aktentaschen träger; zwei blasse Krieger vom Verteidigungsministerium; zwei Schatzamt-Bankiers, einer davon der Waliser namens Hammer. Oliver Lacon war allein und hatte sich abseits von allen anderen gesetzt, für aller Augen derjenige, den die Sache am wenigsten anging. Vor jedem Händepaar lag Smileys Eingabe in einem Hefter mit der Aufschrift »Streng geheim, nur für Dienstgebrauch«, rot und rosa wie ein Souvenirprogramm. Das »Nur für Dienstgebrauch« bedeutete, laßt die Vettern nicht dran. Smiley hatte die Eingabe aufgesetzt, die Mütter hatten sie getippt, Guillam hatte daneben gestanden, als sie vervielfältigt wurde und die vierundzwanzig Abzüge von Hand zusammengeheftet wurden. Nun lag das Werk ihrer aller Hände auf diesem großen Tisch herum, zwischen den Wassergläsern und den Aschenbechern. Enderby hob einen Hefter sechs Zoll vom Tisch hoch und ließ ihn klatschend wieder fallen.
»Jeder gelesen?« fragte er. Jeder hatte gelesen. »Dann fangen wir an«, sagte Enderby und blickte mit blutunterlaufenen arroganten Augen in die Runde. »Wer macht den ersten Wurf? Oliver? Sie haben uns hierhergeholt. Also los.« Guillam fand, daß Martindale, die Gottesgeißel des Circus und seiner Tätigkeit, heute seltsam kleinlaut war. Die Augen hatte er pflichtschuldig auf Saul Enderby gerichtet, die Mundwinkel ergeben gesenkt.
Lacon setzte sofort zur Verteidigung an: »Darf ich zunächst bemerken, daß dies für mich ebenso überraschend kam wie für alle anderen«, sagte er. »Ein regelrechter Tiefschlag, George. Es wäre eine Hilfe gewesen, ein bißchen vorbereitet zu sein. Es ist einigermaßen heikel für mich, muß ich sagen, die Verbindung zu einer Dienststelle zu bilden, die in letzter Zeit so ziemlich jede Verbindung abgebrochen hat.«
Wilbraham sagte: »Hört, hört.« Smiley verhielt sich schweigend wie ein Mandarin. Pretorius von der Konkurrenz runzelte billigend die Stirn.
»Auch kommt es zu einem ungeschickten Zeitpunkt«, fügte Lacon unheilverkündend hinzu. »Ich meine, die These, Ihre These allein, ist - wie soll ich sagen,- gewaltig. Nicht leicht zu schlucken. Nicht leicht zu verkraften, George.«
Nachdem er sich so den Rückzug gesichert hatte, tat Lacon, als wolle er behaupten, es liege vielleicht überhaupt keine Bombe unterm Bett.
»Ich will versuchen, die Zusammenfassung zusammenzufassen. Darf ich? In dürren Worten, George. Ein prominenter chinesischer Bürger von Hongkong wird verdächtigt, russischer Spion zu sein. Das ist doch der Kern der Sache?«
»Es steht fest, daß er sehr beträchtliche russische Zuwendungen erhält«, korrigierte Smiley ihn, redete jedoch zu seinen Händen. »Aus einem Geheimfonds, der dazu dient, Tiefenagenten zu finanzieren?«
»Ja.«
»Ausschließlich zu deren Finanzierung? Oder hat dieser Fonds noch andere Verwendungszwecke?«
»Soviel wir wissen, hat er keinerlei anderen Verwendungszweck«, sagte Smiley im gleichen lapidaren Ton wie vorher.
»Zum Beispiel - Propaganda, die Verkaufsförderung unter der Hand, Rabatte - diese Art Zahlungen? Nein?«
»Soviel wir wissen nein«, wiederholte Smiley.
»Ah, aber wieviel wissen Sie?« rief Wilbraham vom unteren Tischende. »War in der Vergangenheit nicht gerade besonders viel, wie?«
»Sie sehen, worauf ich hinauswill?« fragte Lacon. »Wir würden weit mehr Beweise benötigen«, sagte die Kolonialdame in Braun mit herzerquickendem Lächeln.
»Wir auch«, pflichtete Smiley milde bei. Ein paar Köpfe hoben sich überrascht. »Eben um weiteres Beweismaterial zu erhalten, bitten wir um Rechte und Genehmigungen.« Lacon ergriff erneut die Initiative.