»Vielen Dank«, sagte Enderby, und das Streichholz verschwand wieder zwischen seinen Zähnen. »Könnte zum Beispiel auch Kos eigener Daumenabdruck sein«, gab er zu bedenken. »Gibt nichts, was ihn hindern könnte, oder? Dann würde es eindeutig sein Geld sein. Wenn er Treuhänder und Verfügungsberechtigter in einer Person ist, dann ist es natürlich sein eigenes verdammtes Geld.« Für Guillam hatte die Diskussion bereits eine lächerlich falsche Wendung genommen.
»Das ist bloße Annahme«, sagte Wilbraham nach dem üblichen zweiminütigen Schweigen. »Angenommen, Ko tut einem alten Freund einen Gefallen. Nur mal angenommen. Und dieser alte Freund hat eine krumme Tour gedreht oder macht von Zeit zu Zeit Geschäfte mit den Russen. Eure Chinesen lieben Verschwörungen. Sind mit allen Wassern gewaschen, auch die nettesten. Ko ist keine Ausnahme, da möchte ich wetten.« Zum erstenmal meldete sich der rothaarige Junge zu Wort und unternahm einen Entlastungsangriff.
»Die Eingabe fußt auf einem Trugschluß«, erklärte er unverblümt und wandte sich zunächst mehr an Guillam als an Smiley. Puritanischer Primaner, dachte Guillam: ist überzeugt, daß Sex entkräftend wirkt und Spionieren unmoralisch ist. »Sie sagen, Ko steht auf der russischen Gehaltsliste. Wir sagen, das ist nicht bewiesen. Wir sagen, das Konto kann russisches Geld enthalten, aber Ko und das Konto sind völlig getrennte Faktoren.« In seiner Entrüstung redete er viel zu lange weiter: »Sie sprechen von Vergehen. Während wir sagen, Ko hat sich nicht gegen das in Hongkong geltende Gesetz vergangen und sollte der ihm als Bürger einer Kolonie zustehenden Rechte teilhaftig sein.« Mehrere Stimmen donnerten gleichzeitig los. Lacon gewann. »Niemand spricht hier von Vergehen«, konterte er. »Von Vergehen ist überhaupt nicht die Rede. Wir sprechen über Sicherheit. Ausschließlich. Sicherheit, und die Frage, ob es wünschbar ist oder nicht, wegen einer augenscheinlichen Gefahr Untersuchungen anzustellen.«
Hammers Kollege vom Schatzamt war, wie sich herausstellte ein eiskalter Schotte, mit einem ebenso schmucklosen Stil wie der Primaner.
»Kein Mensch macht sich hier stark, Kos Rechte als Bürger der Kolonie zu beschneiden«, fauchte er. »Er hat keine. In den Gesetzen von Hongkong steht kein Wort, daß der Gouverneur nicht Mr. Kos Post öffnen oder Mr. Kos Telefon abhören darf oder sein Zimmermädchen bestechen oder in seinem Haus bis Ultimo Meisen kleben. Kein einziges Wort. Und es gibt noch einiges mehr, was der Gouverneur tun kann, wenn er es für richtig hält.«
»Auch rein spekulativ«, sagte Enderby mit einem Blick zu Smiley. »Der Circus verfügt dort nicht über den nötigen Apparat für solche Spaße, und unter den gegebenen Umständen wäre es auf jeden Fall unsicher.«
»Es wäre skandalös«, sagte der rothaarige Junge vorwitzig, und Enderbys Schlemmerauge, gelb von allen Mahlzeiten seines Lebens, hob sich zu ihm und merkte ihn vor zu späterer Behandlung.
So verlief das zweite erfolglose Scharmützel. Sie kabbelten sich herum bis zur Kaffeepause, kein Sieger, keine Leichen. Zweite Runde unentschieden, lautete Guillams Spruch. Er fragte sich bänglich, wie viele Runden es wohl geben werde. »Was ist denn los?« fragte er Smiley tuschelnd: »Sie können es doch nicht aus der Welt reden.«
»Sie müssen es auf ihr eigenes Format reduzieren«, erklärte Smiley ohne jede Kritik. Im übrigen schien er sich auf orientalische Selbstvergessenheit verlegt zu haben, und Guillams Sticheln würde ihn nicht daraus aufscheuchen. Enderby bestellte frische Aschenbecher. Der Parlamentarische Unterstaatssekretär sagte, man solle versuchen, weiterzukommen.
»Bedenken Sie, was es den Steuerzahler kostet, nur daß wir hier sitzen«, drängte er voll Stolz. Bis zum Lunch waren es noch zwei Stunden.
Enderby eröffnete die dritte Runde mit der kitzligen Frage, ob das Gouvernement in Hongkong von dem über Ko vorliegenden Nachrichtenmaterial in Kenntnis zu setzen sei. Was ziemlich hinterhältig von ihm war, fand Guillam, denn das Schattenkabinett des Colonial Office (wie Enderby seine handgewebten confreres zu nennen pflegte) stellte sich nach wie vor auf den Standpunkt, es gebe keine Krise und folglich auch nichts, wovon irgendwer in Kenntnis gesetzt werden könne. Doch der redliche Wilbraham, der die Falle nicht sah, tappte prompt hinein und sagte:
»Natürlich sollten wir Hongkong benachrichtigen. Sie haben Selbstverwaltung. Es gibt für uns keine Alternative.«
»Oliver?« sagte Enderby mit der Ruhe eines Mannes, der ein gutes Blatt in der Hand hat. Lacon blickte hoch, deutlich irritiert über diese direkte Einbeziehung. »Oliver?« wiederholte Enderby. »Ich bin versucht zu antworten, dies sei Smileys Fall und Wilbrahams Kolonie, und wir sollten es die beiden unter sich ausfechten lassen«, sagte er und hielt sich eisern draußen. Blieb also Smiley: »Oh, well, wenn es nur der Gouverneur wäre und sonst niemand, so könnte ich kaum dagegen sein«, sagte er. »Das heißt, wenn Sie der Ansicht sind, daß es nicht zuviel von ihm verlangt ist«, fügte er dunkel hinzu, und Guillam sah, wie der Rotkopf sich abermals zum Eingreifen anschickte.
»Warum zum Kuckuck sollte es vom Gouverneur zuviel verlangt sein?« fragte Wilbraham aufrichtig verblüfft. »Erfahrener Verwaltungsbeamter, gerissener Verhandlungspartner. Kommt mit allem zurecht. Warum ist es zuviel?«
Diesmal ließ Smiley erst eine Pause eintreten. »Er würde seine Telegramme natürlich eigenhändig codieren und decodieren müssen«, überlegte er laut, als setzte er sich in seiner Zerstreutheit erst jetzt mit allen unausbleiblichen Folgen auseinander. »Wir könnten selbstverständlich nicht zulassen, daß er seine Mitarbeiter einweihte. Es wäre von jedem Menschen zuviel verlangt. Persönliche Codebücher - nun ja, die könnten wir ihm allerdings zukommen lassen. Könnten seine Geschicklichkeit im Codieren aufpolieren, wenn nötig. Ich persönlich sehe noch das Problem, daß der Gouverneur praktisch in die Rolle des agent provocateur gezwungen wird, wenn er Ko auch weiterhin in seinem Haus empfängt - was er fraglos tun muß. Wir dürfen das Wild in diesem Stadium nicht kopfscheu machen. Würde ihm das unangenehm sein? Vielleicht nicht. Manche Menschen sind von Hause aus dazu veranlagt.« Er blickte zu Enderby hinüber. Wilbraham war bereits dabei, seiner Empörung Luft zu machen: »Aber du lieber Himmel, Mann, wenn Ko ein russischer Spion ist - was wir ohnehin verneinen -, und der Gouverneur lädt ihn zum Dinner ein und begeht im vertraulichen Gespräch, wie es nur natürlich wäre, irgendeine geringfügige Indiskretion - also, das ist verdammt unfair. Es könnte die Karriere des Mannes ruinieren. Ganz zu schweigen von dem, was es der Kolonie schaden könnte! Er muß informiert werden!« Smiley wirkte schläfriger denn je.
»Ja, natürlich, wenn er zu Indiskretionen neigt,« brabbelte er demütig, »dann könnte man allerdings ins Treffen führen, daß er ohnehin nicht der rechte Mann ist, dem man Informationen zukommen lassen sollte.«
In dem eisigen Schweigen nahm Enderby wiederum bedauernd das Streichholz aus dem Mund.