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»Verdammt komisch wär's schon, oder, Chris«, rief er fröhlich über den Tisch Wilbraham zu, »wenn Peking eines Morgens auf dem Nachtkästchen die frohe Botschaft vorfände, der Gouverneur von Hongkong, Stellvertreter der Königin und was sonst noch, Oberster Befehlshaber der Truppen et cetera, habe es sich nicht nehmen lassen, Moskaus Superspion einmal monatlich bei sich zu Tisch zu sehen und ihm für seine Mühe einen Orden verliehen. Was hat er bis jetzt? Doch keinen Ritterschlag, oder? Von und zu?«

»Den O.B.E.«, sagte jemand sotto voce.

»Armer Kerl. Aber er wird's schon noch dazu bringen, nehme ich an. Wird sich hinaufarbeiten, wie wir alle.«

Enderby hatte zufällig schon seinen Ritterschlag, während Wilbraham, wegen der zunehmenden Knappheit an Kolonien, in den unteren Rängen steckengeblieben war.

»Es liegt kein konkreter Fall vor«, sagte Wilbraham standhaft und legte eine behaarte Hand flach auf den farbenfrohen Hefter vor ihm.

Es folgte eine allgemeine Aussprache, für Guillams Ohr ein Intermezzo, bei dem in stillschweigender Übereinkunft auch die minderen Stimmen gelegentlich mit belanglosen Fragen einfallen durften, um im Sitzungsprotokoll Erwähnung zu finden. Der Waliser Hammer wünschte hier und jetzt festgestellt zu wissen, was mit der halben Million Dollar aus dem Reptilienfonds der Moskauer Zentrale geschehen würde, wenn sie zum Beispiel in britische Hände fiele. Es könne nicht in Frage kommen, daß sie einfach durch den Circus wieder in Umlauf gesetzt würde, warnte er. Die Alleinrechte müßten beim Schatzamt liegen. Ob das klar sei?

Es sei klar, sagte Smiley.

Guillam erkannte, daß sich eine Spaltung anbahnte. Zwischen denen, die, wenn auch widerstrebend, akzeptierten, daß die Untersuchung ein fait accompli war, und denen, die ihr Nachhutgefecht gegen deren Abhaltung weiterführten. Hammer schien sich, wie Guillam überrascht feststellte, mit einer Untersuchung abgefunden zu haben.

Eine lange Reihe von Fragen über »legale« und »illegale« Residenturen war zwar ermüdend, diente indes dazu, die Furcht vor einer Roten Gefahr zu verankern. Luff, der Parlamentarier, verlangte, man solle ihm den Unterschied genau erklären. Smiley tat es geduldig. Ein »legaler« oder »oberirdischer« Resident, sagte er, sei ein Geheimdienstbeamter, der unter offiziellem oder halboffiziellem Schutz in dem betreffenden Land lebe. Da es das Gouvernement in Hongkong mit Rücksicht auf Pekings Animosität gegenüber Rußland für gut befunden habe, jede Art sowjetischer Repräsentation aus der Kolonie zu verbannen - Botschaft, Konsulat, TASS, Radio Moskau, Novosti, Aeroflot, Intourist und sämtliche sonstigen dienlichen Flaggen, unter denen die »Legalen« traditionsgemäß zu segeln pflegten -, sei es unvermeidlich, daß jede sowjetische Aktivität in der Kolonie durch einen illegalen oder unterirdischen Apparat erfolgen müsse. Eben diese Voraussetzung habe die Recherchen des Circus in jene Richtung gelenkt, die dazu führte, daß die Ersatz-Route für das Geld entdeckt wurde, sagte er, und vermied den Fachausdruck »Goldader«.

»Aha, dann haben wir also die Russen dazu gezwungen«, sagte Luff voll Genugtuung. »Wir haben es nur uns selbst zu verdanken. Wir schikanieren die Russen, sie beißen zurück. Wen kann das überraschen? Wir baden hier die Fehler der letzten Regierung aus, nicht unserer jetzigen. Wer die Russen reizt, bekommt, was er verdient. Klar. Wir ernten wieder einmal den Sturm, wie üblich.«

»Was hatten die Russen vordem in Hongkong gehabt?« fragte ein cleverer Jüngling aus dem Home Office. Mit einem Schlag kam Leben in die Kolonialisten. Wilbraham begann, fieberhaft eine Akte zu durchblättern, aber als er sah, wie sein rothaariger Assistent an der Leine zerrte, brummte er: »Sie übernehmen das, John, ja? Gut«, lehnte sich zurück und blickte grimmig drein. Die braune Dame lächelte wehmütig auf die Tischbespannung, als gedächte sie der Zeiten, da der grüne Filz noch heil war. Also unternahm der Primaner seinen zweiten unseligen Ausbruchsversuch:

»Es gibt hierfür unseres Erachtens in der Tat höchst lichtvolle Exempel«, begann er aggressiv. »Die früheren Versuche der Moskauer Zentrale, in der Kolonie Fuß zu fassen, waren sämtlich ohne Ausnahme fruchtlos und unergiebig.« Er leierte eine Anzahl langweiliger Beispiele herunter.

Vor fünf Jahren, sagte er, sei ein falscher russisch-orthodoxer Archimandrit aus Paris eingeflogen worden, der Verbindung mit der weißrussischen Gemeinde aufnehmen sollte: »Dieser Herr versuchte, einen älteren Restaurantbesitzer in die Dienste der Moskauer Zentrale zu nötigen und wurde prompt festgenommen. In jüngerer Zeit kam es vor, daß Besatzungsmitglieder russischer Frachter, die Hongkong zu Reparaturzwecken anliefen, dort an Land gingen. Sie unternahmen plumpe Versuche, Hafenarbeiter und Docker, die sie für linksgerichtet hielten, zu bestechen. Sie wurden arretiert, verhört, in der Presse lächerlich gemacht und durften, wie nur recht und billig, das Schiff für den Rest der Liegezeit nicht mehr verlassen.« Er lieferte noch weitere nichtige Beispiele, und alle wurden schläfrig und warteten auf den letzten Gang: »Wir verfahren jedesmal in genau der gleichen Weise. Sobald sie erwischt werden, auf der Stelle, werden die Schuldigen öffentlich bloßgestellt, Pressofotos? So viele Sie wollen, Gentlemen. Fernsehen? Kamera läuft. Ergebnis? Peking klopft uns freundschaftlich auf den Rücken, weil wir sowjetische Expansionisten abwehren.« In seiner maßlosen Übererregtheit hatte er den Nerv, sich direkt an Smiley zu wenden. »Sie sehen also, was Ihre illegalen Netze betrifft, so ziehen wir sie offen gestanden stark in Zweifel. Legal, illegal, ober- oder unterirdisch. Unsere Ansicht lautet, der Circus drückt hier ein bißchen auf die Tube, um wieder ins Spiel zu kommen!« Guillam öffnete bereits den Mund zu einem entsprechenden Rüffel, als er eine warnende Berührung am Ellbogen spürte, und schloß ihn wieder.

Es folgte ein langes Schweigen, während dessen Wilbraham noch verlegener aussah als alle anderen.

»Klingt mir eher nach blauem Dunst, Chris«, sagte Enderby nüchtern.

»Was soll das heißen?« fragte Wilbraham nervös.

»Antworte nur auf das Argument, das Ihr Prachtjunge für Sie vorgebracht hat, Chris. Blauer Dunst. Täuschung. Die Russen rasseln mit dem Säbel, dort, wo ihr sie sehen könnt, und während ihr alle brav dorthin schaut, machen sie in aller Ruhe ihre dreckige Arbeit auf der anderen Seite der Insel. Siehe Bruder Ko. Stimmt's, George?«

»Nun, dieser Ansicht sind wir, ja«, räumte Smiley ein. »Und ich sollte Sie wohl daran erinnern - es steht übrigens in der Eingabe -, daß Haydon seinerzeit immer besonders eifrig betonte, die Russen hätten in Hongkong nichts laufen.«

»Lunch« verkündete Martindale ohne viel Optimismus. Sie aßen droben, ein freudloses Mahl, das per Lieferwagen in Menagetellern aus Plastik gekommen war. Die einzelnen Vertiefungen waren zu flach, und Guillams Eiercreme schwappte in das Fleischgericht.

Also gestärkt nutzte Smiley die allgemeine nachmittägliche Trägheit, um das ins Spiel zu bringen, was Lacon als den Panik-Faktor bezeichnet hatte. Genauer gesagt, er versuchte, der Versammlung das Gefühl einzuflößen, daß eine sowjetische Präsenz in Hongkong eigentlich nur logisch sei, auch falls, wie er es formulierte, Ko nicht das Beispiel dafür lieferte: Hongkong als der größte Hafen Festland-Chinas, über den vierzig Prozent seines Außenhandels abgewickelt werden. Wie schätzungsweise jeder fünfte Einwohner Hongkongs alljährlich legal in China ein- und ausreise, wobei die Mehrfach-Reisen diesen Durchschnitt zweifellos noch anhöben. Wie China in Hongkong, sub rosa, aber mit voller Billigung der Behörden, Teams erstklassiger Unterhändler, Wirtschaftler und Techniker unterhalte, die über Pekings Interessen in Handel, Verkehr und Entwicklung wachten, und wie jeder einzelne dieser Männer ein natürliches Ziel für Geheimdienste zwecks »Verleitung oder anderer Formen einer geheimen Überredung«, wie er sich ausdrückte, darstelle.