»Ko hat in London Jura studiert«, beharrte Smiley. »Er hat hier Verbindungen, gesellschaftlicher und geschäftlicher Art. Wir müßten sie selbstverständlich unter die Lupe nehmen.« Er blickte Pretorius an. »Wir würden der Konkurrenz unsere sämtlichen Ergebnisse zugänglich machen«, versprach er und fuhr in seinem Ansuchen fort.
»Nun zum Geld: meine Eingabe enthält eine vollständige Aufschlüsselung der Summe, die wir sofort benötigen, plus zusätzlicher Kostenvoranschläge für verschiedene Eventualitäten. Schließlich bitten wir, sowohl auf lokaler als auch auf Whitehall-Ebene, unsere Residentur in Hongkong wieder öffnen zu dürfen, um eine vorgeschobene Basis für die Operation zu haben.« Betroffenes Schweigen quittierte diesen letzten Punkt, und Guillam schloß sich dem allgemeinen Erstaunen an. Nirgendwo, weder bei einer der vorbereitenden Diskussionen im Circus noch bei Lacon hatte irgend jemand, auch Smiley nicht, die Frage angeschnitten, ob High Haven wieder eröffnet oder eine Nachfolgeeinrichtung geschaffen werden solle. Wiederum erhob sich großer Tumult.
»Andernfalls«, endete Smiley ungeachtet der Proteste, »das heißt, wenn wir unsere Residentur nicht bekommen, so fordern wir zumindest Blankovollmacht, um unsere eigenen unterirdischen Agenten in der Kolonie anzusetzen. Kein Einverständnis der dortigen Stellen, sondern die Billigung und den Schutz Londons. Alle existierenden Quellen sind nachträglich zu legitimieren. Schriftlich«, fügte er mit einem harten Blick auf Lacon hinzu und erhob sich.
Trübsinnig nahmen Guillam und Smiley erneut im Warteraum auf der gleichen lachsroten Bank Platz, auf der sie schon vor Beginn gesessen hatten, Seite an Seite, wie Reisende, die das gleiche Ziel haben.
»Warum?« murmelte Guillam einmal, aber George Smiley Fragen zu stellen, war an jenem Tag nicht nur ein Verstoß gegen den guten Geschmack, sondern ausdrücklich durch das Warnschild verboten, das über ihnen an der Wand hing. Noch dümmer hätte man nicht ausreizen können, dachte Guillam bedrückt. Du hast die Vorstellung geschmissen, dachte er. Armes altes Wrack: eben doch aus mit dir. Die einzige Operation, die uns wieder ins Spiel bringen könnte. Habgier, das war's. Die Habgier eines alten Spions, der's eilig hat. Ich halte zu ihm, dachte Guillam. Ich will mit dem sinkenden Schiff untergehn. Wir machen zusammen eine Hühnerfarm auf. Molly kann die Buchhaltung übernehmen, und Ann sich bukolischen Verquickungen mit den Landarbeitern überlassen. »Wie fühlen Sie sich?« fragte er. »Es handelt sich nicht ums Fühlen«, erwiderte Smiley. Besten Dank, dachte Guillam.
Zwanzig Minuten vergingen. Smiley hatte sich nicht bewegt. Sein Kinn war auf die Brust gesunken, die Augen hielt er geschlossen, er hätte in ein Gebet vertieft sein können. »Vielleicht sollten Sie einen Abend ausspannen«, sagte Guillam. Smiley runzelte nur die Stirn.
Ein Bote erschien und forderte sie auf, in den Saal zurückzukehren. Lacon nahm jetzt das Präsidium ein, sein Gebaren war das einer Aufsichtsperson. Enderby saß auf dem übernächsten Platz und unterhielt sich flüsternd mit dem Waliser Hammer. Pretorius blickte drohend wie eine Gewitterwolke, und seine namenlose Dame schürzte die Lippen zu einem unbewußten Feindeskuß.
Lacon raschelte ruheheischend mit seinen Notizen und begann, wie ein pedantischer Richter den detaillierten Wahrspruch des Ausschusses vorzulesen, ehe er das Urteil verkündete. Das Schatzamt hatte energischen Protest eingelegt, zu Protokoll genommen, wegen mißbräuchlicher Handhabung von Smileys Geschäftskonto. Smiley solle zudem eingedenk sein, daß alle Anträge auf Rechte und Genehmigungen im Inland im vorhinein mit dem Staatssicherheitsdienst abzusprechen seien und nicht »mitten in einer offiziellen Ausschußsitzung wie Kaninchen aus dem Hut zu zaubern«. Von einer Wiedereröffnung der Residentur Hongkong könne keinesfalls die Rede sein. Ein solcher Schritt sei allein schon aus zeitlichen Gründen unmöglich. Er ließ durchblicken, daß es sich in der Tat um einen schamlosen Vorschlag gehandelt habe. Hier gehe es um Prinzipielles, Konsultationen auf höchster Ebene würden vonnöten sein, und da Smiley sich bereits ausdrücklich gegen eine Weitergabe seines Materials an den Gouverneur ausgesprochen habe - womit Lacon Wilbraham seine Reverenz erwies -, würde sich die Wiedereinrichtung einer Residentur in vorhersehbarer Zukunft schwerlich verfechten lassen, zumal in Anbetracht der unglückseligen Publicity, die sich mit der Räumung von High Haven verbunden habe. »Ich muß diese Ansicht mit größtem Bedauern akzeptieren«, sagte Smiley ernst.
Um Himmels willen, dachte Guillam: wir wollen doch wenigstens kämpfend untergehen!
»Akzeptieren Sie sie, wie immer Sie wollen«, sagte Enderby - und Guillam hätte schwören können, sowohl in Enderbys Augen wie in denen des Waliser Hammers einen Schimmer von Triumph gesehen zu haben.
Dreckskerle, dachte er schlicht. Für euch gibt's keine Gratishühner. Im Geist sagte er bereits dieser ganzen Meute Adieu. »Alles übrige«, sagte Lacon, legte ein Blatt Papier beiseite und nahm ein anderes auf, »ist, unter gewissen einschränkenden Bedingungen und Sicherheitsbestimmungen bezüglich Zweckdienlichkeit, Finanzierung und Geltungsdauer der Sonderbefugnis, bewilligt.«
Der Park war menschenleer. Die unbedeutenderen Besucher hatten das Feld für die Profis geräumt. Einige Liebespaare lagen auf dem feuchten Gras wie Krieger nach der Schlacht. Ein paar Flamingos dösten. Neben Guillam, der euphorisch in Smileys Kielwasser dahinschlenderte, sang Roddy Martindale Smileys Lob: »Ich finde George einfach wundervoll. Nicht umzubringen. Und ein Durchsetzungsvermögen! Bewundernswert. Ist die menschliche Fähigkeit, die ich am meisten bewundere. George hat sie in rauhen Mengen. Diese Dinge sehen sich ganz anders an, wenn man aufgerückt ist. Man wächst erst in ihr Format hinein, unter uns gesagt. War Ihr Vater nicht Arabist?«
»Ja«, sagte Guillam, der sich in Gedanken schon wieder mit Molly und mit der Frage beschäftigte, ob wohl ein gemeinsames Dinner noch möglich sei.
»Und schrecklich Almanach de Gotha: War er eigentlich Spezialist für ante oder post?«
Guillam, der bereits zu einer hochgradig obszönen Erwiderung ansetzte, wurde gerade noch rechtzeitig gewahr, daß Martindale sich nach nichts Gewagterem als den wissenschaftlichen Neigungen seines Vaters erkundigte.
»Oh, ante, ante war das Panier. Am liebsten wäre er bis Adam und Eva zurückgegangen.«
»Kommen Sie zum Dinner.«
»Vielen Dank.«
»Den Tag sprechen wir noch ab. Wer ist ausnahmsweise mal amüsant? Wen mögen Sie?«
Von weiter vorn trug die taufeuchte Luft die affektierte Stimme Enderbys zu ihnen, der Smileys Sieg bejubelte. »Nette kleine Sitzung. Eine Menge geschafft. Nichts verschenkt. Blatt sehr nett ausgespielt. Ziehen Sie diesen Fisch an Land, und Sie können anbauen, meine ich. Und die Vettern werden spuren, wie?« bellte er, als befänden sie sich noch immer im abhörsicheren Konferenzraum. »Sie haben dort das Gelände sondiert? Die Vettern werden die Balljungen spielen und nicht versuchen, das Match an sich zu reißen? Bißchen riskant, das Ganze, aber Sie werden's schaffen. Und sagen Sie Martello, er soll Kreppsohlen tragen, wenn er welche hat, oder wir kriegen die größten Scherereien mit den Colonials, eh wir bis drei zählen. Schade um den alten Wilbraharn. Hätte Indien ordentlich verwaltet.« Noch ein Stück weiter vorn, beinah schon außer Sicht unter den Bäumen, gestikulierte der kleine Hammer energisch auf Lacon ein, der sich arrogant zu ihm niederbeugte, um seine Worte zu verstehen.
Auch eine nette kleine Verschwörung, dachte Guillam. Er blickte zurück und sah zu seiner Überraschung Fawn, den Babysitter, herbeirennen. Zuerst schien er noch eine ganze Strecke entfernt, Nebelfetzen verhüllten seine Beine. Nur die obere Hälfte ragte über den Dunstspiegel. Dann war er plötzlich viel näher, und Guillam vernahm das vertraute klagende Röhren, »Sir, Sir«, womit er Smileys Aufmerksamkeit erregen wollte. Guillam schob Martindale schleunigst außer Hörweite und marschierte auf Fawn zu.