Выбрать главу

»Eine weitere Versöhnungsgeste?« fragte er. »Ein Entgegenkommen? Im Zuge der britischen Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Festland? Oder einfach nur ein weiteres Indiz dafür, daß die Briten in Südostasien wie überall auf der Welt von ihrer hohen Warte heruntersteigen müssen?«

Er beging den Fehler, eine weitverbreitete englische Sonntagszeitung zu wählen, die gelegentlich seine Arbeiten brachte. Die Sperr-Anweisung, die alle Hinweise auf diese Vorkommnisse untersagte, kam ihm zuvor. »Bedauern Ihre hübsche Havenstory nicht unterzubringen«, telegrafierte der Redakteur und ließ sie prompt in der Schublade verschwinden. Ein paar Tage später fand der Cowboy beim Nachhausekommen sein Zimmer gründlich durchsucht. Auch litt sein Telefon ein paar Wochen lang an einer Art Kehlkopfentzündung, so daß er es nie benutzte, ohne eine obszöne Anspielung auf Big Moo und sein Gefolge zu äußern.

Luke kam voll guter Ideen nach Hause, badete, trank große Mengen schwarzen Kaffee und machte sich ah die Arbeit. Er rief bei Fluggesellschaften an, bei Regierungsleuten und bei zahlreichen bleichen, geschniegelten Bekannten im amerikanischen Konsulat, die ihn durch Ausflüchte und delphische Antworten erbitterten. Er belästigte Umzugsfirmen, die vorwiegend für die Regierung arbeiteten. Noch in der gleichen Nacht um zehn Uhr hatte er, wie er wörtlich zum Zwerg sagte, »hieb- und stichfeste Beweise« dafür, daß Thesinger mit Frau und sämtlichem Personal von High in den frühen Morgenstunden des Dienstag Hongkong mit einer Chartermaschine in Richtung London verlassen hatte. Thesingers Boxerhund, so erfuhr er durch einen glücklichen Zufall, sollte im Lauf der Woche per Luftfracht nachkommen. Mit seinen Notizen setzte Luke sich an die Schreibmaschine und blieb, wie er genau vorhersah, alsbald stecken. Er fing hastig und fließend an zu schreiben: »Heute hängt eine neue Skandalwolke über der kampfgewohnten und nichtgewählten Regierung von Britanniens einzig verbliebener Kolonie in Asien. Der Aufdeckung von Korruption im Polizei- und Zivildienst folgt die Nachricht auf dem Fuße, daß das geheimnisvollste Etablissement der Insel, das Haus High Haven, die Basis für Englands Mantel- und Degenkomplotte gegen Rotchina, über Nacht geschlossen wurde.« Hier hielt er mit einem gotteslästerlichen Fluch über sein Unvermögen inne und preßte das Gesicht in die Handflächen. Alpträume: die konnte er ertragen. Erwachen nach soviel Krieg, schweißbedeckt ob unaussprechlicher Visionen, in den Nüstern den Gestank von Napalm auf Menschenfleisch: in gewisser Weise war es ihm ein Trost, daß die Dämme seines Gefühls nach so langem Verdrängen gebrochen waren. Es hatte Zeiten gegeben, damals, als er das alles erlebte, in denen er sich nach einer Atempause sehnte, die ihm erlauben würde, Ekel zu empfinden. Wenn Alpträume notwendig waren, damit er wieder in die Reihen normaler Menschen zurückfände, dann konnte er sie dankbar willkommen heißen. Doch nicht im schlimmsten Alptraum war die Möglichkeit aufgetaucht, daß er nach jahrelangem Kriegsberichten nicht mehr imstande sein könnte, über den Frieden zu berichten. Sechs Nachtstunden lang kämpfte Luke mit dieser schrecklichen Starre. Manchmal dachte er an Old Craw, wie er dort stand, regentriefend, und seine Grabrede gehalten hatte: vielleicht war das die Story? Aber wer hängt schon eine Story an der ausgefallenen Gemütsverfassung eines Zunftkollegen auf?

Der Version, die der Zwerg zusammenbraute, war auch nicht viel mehr Erfolg beschieden, was den Verfasser sehr reizbar machte. Auf den ersten Blick hatte die Story alles, was man sich wünschen konnte. Sie mokierte sich über die Briten, enthielt das Wort SPION in Großbuchstaben und verzichtete ausnahmsweise auf das Bild von Onkel Sam als Henker Südostasiens. Doch alles, was er nach fünftägigem Warten zur Antwort erhielt, war die bündige Anweisung, er möge bei seinem Leisten bleiben und nicht in anderer Leute Stiefeln, auftreten.

Blieb nur noch Old Craw. Verglichen mit der Rasanz der Haupthandlung war die Art, wie Craw den Zeitpunkt für sein Tun und Nichttun wählte, zwar nur ein Nebeneffekt, aber sie blieb denkwürdig bis auf den heutigen Tag. Drei Wochen lang schickte er gar nichts ein. Es gab ein paar Kleinigkeiten, um die er sich hätte kümmern sollen, aber er tat es nicht. Luke, der sich ernstlich um ihn Sorgen machte, hielt es zunächst für ein Zeichen fortschreitenden rätselhaften Verfalls. Craw verlor jeden Schwung und jedes Bedürfnis nach Geselligkeit. Er wurde schwierig und zuweilen ausgesprochen unfreundlich und bellte die Kellner in schlechtem Kantonesisch an; sogar Goh, seinen Liebling. Er behandelte die Shanghai Bowlers wie seine schlimmsten Feinde, und grub angebliche Missetaten aus, die sie längst vergessen hatten. Er saß allein auf seinem Fensterplatz wie ein alter Boulevardier in mageren Zeiten, verbiestert, abweisend, untätig. Dann verschwand er eines Tages, und als Luke voll banger Ahnungen seine Wohnung aufsuchte, teilte ihm die alte Amah mit, »Whisky Papa lauflauf London, laschlasch«. Sie war ein sonderbares kleines Wesen, und Luke glaubte ihr nicht recht. Ein stumpfsinniger Schreiber des Spiegel berichtete, er habe Craw in Vientiane in der Constellation Bar bechern sehen, aber auch das schien Luke fragwürdig. Die Insider hatten sich schon immer einen Sport daraus gemacht, Old Craw zu beobachten, und jede zusätzliche Information erhöhte das eigene Prestige. Bis eines schönen Montags so gegen Mittag der alte Knabe in einem neuen beigen Anzug mit eleganter Knopflochblume in den Club spaziert kam, voller Anekdoten und Lächeln, ganz wie ehedem, und sich an die High-Haven-Story machte. Er gab mehr Geld aus, als sein Blatt ihm normalerweise zugestanden hätte. Er verzehrte mehrere vergnügte Mahlzeiten mit gutgekleideten Amerikanern von recht vage bezeichneten US-Organisationen, darunter ein paar, die Luke bekannt waren. Den berühmten Strohhut auf dem Kopf, führte er jeden einzeln in ein ruhiges, ausgewähltes Restaurant. Im Club wurde er als Diplomatenknecht geschmäht, eine schwere Anschuldigung, und er lachte dazu. Danach mußte er zu einer Konferenz der China-Beobachter nach Tokio, und rückblickend darf wohl angenommen werden, daß er diesen Besuch nutzte, um nach weiteren Bestandteilen der Story zu recherchieren, die langsam für ihn Gestalt annahm. Bestimmt bat er alte Bekannte bei dieser Konferenz, das eine oder andere für ihn auszugraben, sobald sie wieder zu Hause sein würden, in Bangkok oder Singapur oder Taipeh oder woher immer sie gekommen waren, und sie taten ihm den Gefallen, weil sie wußten, daß er das gleiche auch für sie getan hätte. Auf geheimnisvolle Weise schien er zu wissen, wonach er suchte, noch ehe sie es gefunden hatten.

Das Ergebnis erschien in voller Ausführlichkeit in einer Sydneyer Morgenzeitung, die für den langen Arm der anglo-amerikanischen Zensur unerreichbar war. Alle fanden, daß es an die besten Jahre des Meisters erinnerte. Ein Artikel von zweitausend Wörtern. Typischerweise stand keineswegs die High-Haven-Story im Vordergrund, sondern der »geheimnisvolle leere Flügel« der britischen Botschaft in Bangkok, der bis vor einem Monat eine seltsame Körperschaft namens »The Seato Coordination Unit« beherbergt hatte und außerdem eine Visa-Abteilung mit sage und schreibe sechs Zweiten Sekretären. Waren es die Freuden der Massage-Salons von Soho, so fragte der alte Australier zuckersüß, die die Thailänder in solcher Anzahl nach England lockten, daß man zur Bearbeitung ihrer Visa-Anträge sechs Zweite Sekretäre benötigte? Sonderbar desgleichen, so seine weiteren Überlegungen, daß sich nach ihrer Abreise und der Schließung des betreffenden Gebäudeflügels keine Warteschlangen von Reisewilligen vor der Botschaft bildeten. Ganz allmählich - er schrieb mit leichter Hand, aber immer wohlüberlegt - tat sich ein überraschendes Bild vor seinen Lesern auf. Er bezeichnete den britischen Geheimdienst als den »Circus«. Er sagte, der Name komme von der Adresse dieser Organisation, deren Hauptquartier an einem berühmten Platz in London stehe. Der Circus hatte sich nicht nur aus High Haven abgesetzt, sagte er, sondern auch aus Bangkok, Singapur, Saigon, Tokio, Manila und Djakarta. Und aus Seoul. Sogar das entlegene Taiwan sei nicht immun, dort sei festgestellt worden, daß ein zweitrangiger britischer Resident drei Schreiber-Chauffeure und zwei Sekretariatsgehilfen abgestoßen habe, nur eine Woche ehe dieser Artikel in Druck gegangen sei. »Das Dünkirchen der Spione«, hatte Craw es genannt, »wobei Chartermaschinen vom Typ DC 8 die Fischerboote aus Kent ersetzten.«