Er mußte sich zur Wand drehen, während sie sich schön machte. Früher hatte sie einen Kolibri gehabt, aber er war gestorben. Craw brachte ihr einen neuen, aber der starb auch, und so entschieden beide, die Wohnung sei schlecht für Kolibris und ließen es dabei bewenden.
»Eines Tags nehme ich Sie zum Skifahren mit«, sagte er, als sie hinter ihnen die Wohnungstür abschloß. Es war ein alter Scherz zwischen den beiden, er hatte mit der Schneelandschaft über ihrem Bett zu tun.
»Nur für einen Tag?« erwiderte sie. Was gleichfalls ein Scherz war und die übliche Replik bildete.
In jenem Jahr des Unheils, wie Craw sagen würde, war es noch lohnend, auf einem Sampan in der Causeway Bay zu essen. Die Schickeria hatte den Ort noch nicht entdeckt, die Gerichte waren preiswert und unvergleichlich. Craw riskierte es also, und als sie zum Meer kamen, hatte der Nebel sich gelichtet, der Himmel war klar. Er wählte den Sampan, der am weitesten draußen lag, eingekeilt in eine Traube kleiner Dschunken. Der Koch hockte am Holzkohlenöfchen,- und seine Frau bediente. Über ihnen ragten drohend Rümpfe von Dschunken auf und verwischten die Sterne vom Himmel. Auf den Booten krabbelten Kinder von einem Deck zum andern, während ihre Eltern einen langsamen, sonderbaren katechetischen Singsang über das schwarze Wasser schickten. Craw und Phoebe kauerten auf hölzernen Hockern unter dem gerefften Baldachin zwei Fuß über dem Meeresspiegel und aßen Seebarben beim Lampenlicht. Jenseits der Wellenbrecher glitten Schiffe wie hellerleuchtete wandelnde Gebäude an ihnen vorüber, und in ihrem Kielwasser hoppelten die Dschunken. Landwärts wimmerte, lärmte und pulsierte die Insel, und die riesigen Slums glitzerten wie Schmuckschatullen, die sich der trügerischen Schönheit der Nacht geöffnet hatten. Hoch über ihnen konnten sie sekundenlang zwischen den wippenden Fingern der Masten den' schwarzen Peak thronen sehen, Victoria, ihr gedunsenes Gesicht, von mondlichten Strähnen verhüllt: die Göttin, die Freiheit, der Köder, dem alles wilde Streben im Tal galt. Sie sprachen über Kunst. Phoebe zieht ihre Kulturnummer ab, dachte Craw. Es war sehr langweilig. Eines Tages, sagte sie schläfrig, werde sie einen Film, vielleicht sogar zwei Filme über das wahre, das echte China drehen. Sie hatte unlängst eine historische Schnulze von Run Run Shaw gesehen, alles über die Palastintrigen. Sie fand das Ganze ausgezeichnet, wenn auch ein wenig zu - nun ja -, zu heroisch. Und jetzt zum Theater. Ob Craw schon die frohe Botschaft vernommen habe, daß die >Cambridge Players< im Dezember vielleicht eine neue Revue in die Kolonie bringen wollten? Zur Zeit sei es nur ein Gerücht, aber sie hoffte, es werde sich nächste Woche bestätigen. »Das wäre aber ein Spaß, Pheeb«, sagte Craw herzlich. »Es wird ganz und gar kein Spaß«, gab Phoebe streng zurück. »Die >Players< sind auf beißende Gesellschaftssatire spezialisiert.« Craw lächelte im Dunkeln und goß Phoebe Bier nach. Man lernt nie aus, sagte er sich, Monsignores, man lernt nie aus. Bis Phoebe, ohne eine Ermunterung, die ihr aufgefallen wäre, über ihre chinesischen Millionäre zu sprechen begann, genau das, worauf Craw den ganzen Abend gewartet hatte. In Phoebes Welt waren die Reichen Hongkongs königliche Hoheiten. Ihre Schwächen und Exzesse waren Allgemeingut, so wie anderswo die Lebensgeschichten von Schauspielerinnen oder Fußballstars. Phoebe kannte sie auswendig.
»Wer ist also diesmal das Schwein der Woche, Phoebe?« fragte Craw heiter.
Phoebe war nicht sicher. »Wen sollen wir erwählen?« sagte sie mit gespielter koketter Unentschlossenheit. Da war natürlich das Schwein P.K., achtundsechzigster Geburtstag am Dienstag, eine dritte Ehefrau, halb so alt wie er, und wie feiert P.K.? Geht in der Stadt aus, mit einer zwanzigjährigen Nutte. Ekelhaft, pflichtete Craw bei. »P.K.«, wiederholte er. »P.K., das war doch der mit den Türpfosten, wie?«
Einhunderttausend Hongkong-Dollar, sagte Phoebe. Drachen, neun Fuß hoch, aus Glasfaser und Plexiglas so gegossen, daß man sie von innen beleuchten konnte. Es käme aber auch das Schwein Y.Y. in Frage, überlegte sie sodann sachverständig. Y.Y. war zweifellos ein Titelanwärter. Y.Y. hatte vor genau einem Monat geheiratet, diese reizende Tochter von J.J. Haw, Firma Haw und Chan, die Tankerkönige, tausend Hummer auf der Hochzeitstafel. Vorgestern abend tauchte er bei einem Empfang mit einer brandneuen Mätresse auf, gekauft mit dem Geld seiner Frau, einer Null, abgesehen davon, daß er sie bei Saint-Laurent eingekleidet und mit einer vierreihigen Kette aus Mikimotot-Perlen herausgeputzt hatte, gemietet natürlich, nicht geschenkt. Unwillkürlich bebte Phoebes Stimme und wurde weich. »Bill«, hauchte sie, »die Kleine sah einfach phantastisch aus neben dem alten Frosch. Sie hätten sie sehen sollen.« Oder vielleicht Harold Tan, grübelte sie verträumt. Harold war besonders garstig gewesen. Harold hatte seine Kinder für das Festival aus ihren Schweizer Nobelinternaten heimgeholt, Erster-Klasse-Flug ab Genf. Um vier Uhr morgens tummelten sie sich alle nackt um den Swimming-pool, die Kinder und ihre Freunde, gossen Champagner ins Wasser, während Harold versuchte, die Szene zu filmen.
Craw wartete. In Gedanken hielt er die Tür weit für sie auf, aber sie zeigte noch immer keine Neigung, hindurchzugehen, und Craw war ein viel zu alter Hase, als daß er sie gedrängt hätte. Die Chiu Chow seien die Besten, sagte er launig. »Chiu Chow würden sich auf diesen ganzen Unsinn nicht einlassen. Was, Pheeb? Haben sehr tiefe Taschen, die Chiu Chow, und sehr kurze Arme«, belehrte er sie. »Ein Schotte müßte sich schämen vor diesen Chiu Chow, was Pheeb?«
Phoebe hatte keinen Sinn für Ironie: »Glauben Sie das nicht«, erwiderte sie ernsthaft. »Viele Chiu Chow sind sowohl großzügig wie edel.«
Er suggerierte ihr den Mann, wie ein Zauberkünstler jemandem eine Karte suggeriert, aber sie schwankte noch immer, wich aus, griff nach Alternativen. Sie erwähnte diesen und jenen, verlor den Faden, verlangte noch mehr Bier, und als er schon beinah aufgegeben hatte, bemerkte sie wie im Traum. »Und was Drake Ko angeht, der ist das reinste Lämmchen. Kein böses Wort über Drake Ko, wenn ich bitten darf.« Jetzt war Craw mit dem Ausweichen an der Reihe. Was Phoebe von der Scheidung des alten Andrew Kwok halte, fragte er. Herrje, das mußte einen Batzen gekostet haben! Es heißt, sie hätte ihm schon längst den Laufpaß geben aber warten wollen, bis er einen Haufen beisammen hatte und eine Scheidung sich wirklich lohnen würde. Ist da etwas Wahres dran, Pheeb? Und so weiter, drei, fünf Namen, ehe er sich gestattete, anzubeißen. »Haben Sie irgendwas gehört, daß der gute Drake Ko sich irgendwann eine europäische Mätresse hielt? Im Hong Kong Club wurde davon gesprochen, erst vor kurzem. Blondes Gift, angeblich ein Leckerbissen.«
Phoebe stellte sich Craw gern im Hong Kong Club vor. Es befriedigte alle ihre kolonialen Sehnsüchte. »Oh, jeder hat das gehört«, sagte sie müde, als wäre Craw wie üblich wieder einmal Lichtjahre hinter der Meute zurück. »Es gab mal eine Zeit, als alle die Jungens eine hatten - wußten Sie das nicht? P.K. hatte natürlich zwei. Harold Tan hatte eine, bis Eustace Chow sie ihm wegschnappte, und Charlie Wu versuchte sogar, die Seine zum Dinner beim Gouverneur mitzunehmen, aber seine tai tai ließ nicht zu, daß der Chauffeur sie abholte.«
»Wo kriegen sie diese Bienen bloß her, Herrgottnochmal?« fragte Craw lachend. »Von Lane Crawford?«
»Von den Fluggesellschaften, was dachten Sie?« erwiderte Phoebe schwerst mißbilligend. »Flug-Hostessen, die bei ihren Zwischenlandungen anschaffen gehen, fünfhundert US pro Nacht für eine weiße Hure. Und einschließlich der englischen Linien. Täuschen Sie sich bloß nicht, die Engländerinnen waren bei weitem die Schlimmsten. Dann fand Harold Tan an der Seinen so viel Gefallen, daß er ein festes Abkommen mit ihr traf, und im Handumdrehen zogen sie alle in Apartments und stolzierten durch die Läden wie Herzoginnen, so oft sie für vier Tage nach Hongkong kamen, es war zum Erbrechen. Aber Liese, wohlgemerkt, ist etwas ganz anderes. Liese ist klasse. Sie ist ausgesprochen aristokratisch, ihre Eltern besitzen sagenhafte Landsitze in Südfrankreich und sogar eine Randinsel der Bahamas, und sie weigert sich nur aus Gründen der moralischen Unabhängigkeit, ihren Reichtum zu teilen. Man muß bloß ihren Knochenbau ansehen.«