»Liese«, wiederholte Craw. »Liese? Kraut, wie? Hab's nicht mit den Krauts. Keine Rassenvorurteile, aber ich mach mir einfach nichts aus Krauts. Und ich frage mich, wie kommt ein netter Chiu-Chow-Junge wie Drake Ko zu einer hassenswerten Hunnin als Konkubine? Aber, das wissen Sie bestimmt besser, Pheeb. Sie sind die Expertin, es ist Ihre Domäne, meine Liebe, wer bin ich, daß ich mir ein Urteil erlauben dürfte.«
Sie hatten sich ins Heck des Sampan zurückgezogen und lagen nebeneinander in den Kissen.
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich«, fuhr Phoebe ihn an. »Liese ist eine englische Aristokratin.«
»Tralala«, machte Craw und blickte eine Weile zu den Sternen auf. »Sie hat einen sehr positiven und veredelnden Einfluß auf ihn.«
»Wer?« sagte Craw, als hätte er den Faden verloren. Phoebe knirschte durch die Zähne. »Liese hat einen veredelnden Einfluß auf Drake Ko. Hören Sie, Bill. Schlafen Sie? Bill, ich glaube, Sie bringen mich jetzt besser nach Hause. Bringen Sie mich nach Hause, bitte.«
Craw stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Diese kleinen Mißverständnisse unter Liebenden waren mindestens jedes halbe Jahr fällig und übten eine reinigende Wirkung auf ihre Beziehung aus.
»Meine Liebe. Phoebe. Hören Sie mir mal zu, ja? Bloß einen Augenblick, bitte? Keine junge Engländerin, hochgeboren, feinknochig oder mit Knubbelknien kann den Namen Liese bekommen haben, wenn da nicht irgendwo ein Kraut dazwischen steckt. So geht's schon mal an. Wie heißt sie sonst noch?«
»Worth.«
»Woolworth? Schon gut, war nur ein Witz. Schwamm drüber. Elizabeth, so heißt sie nämlich. Abgekürzt Lizzie. Oder Liza. Liza of Lambeth. Sie haben sich verhört. Das klingt nach Familie, wenn Sie so wollen: Miss Elizabeth Worth. Da kann ich den Knochenbau sehen. Aber nicht Liese, mein Herz. Lizzie.« Phoebe wurde unverblümt wütend.
»Sie brauchen mich nicht zu lehren, wie man irgend etwas ausspricht!« schleuderte sie ihm entgegen. »Sie heißt Liese, geschrieben L-i-e-s-e, weil ich sie gefragt und es mir aufgeschrieben habe, und ich habe diesen Namen gedruckt - Bill.« Ihre Stirn sank auf seine Schulter. »O Bill. Bringen Sie mich nach Hause.« Sie fing an zu weinen. Craw zog sie eng an sich und tätschelte sanft ihre Schulter.
»Na, na, Kopf hoch, Liebes, es war mein Fehler, nicht der Ihre. Ich hätte wissen müssen, daß sie mit Ihnen befreundet ist. Eine Dame der Gesellschaft wie Liese, eine schöne und begüterte Frau, die in Liebesbanden zu einem der neuen Ritter unserer Insel gefesselt liegt: wie könnte eine fleißige Reporterin wie Phoebe es da versäumen, mit ihr Freundschaft zu schließen? Ich muß blind gewesen sein. Verzeihen Sie mir.« Er ließ eine dezente Pause eintreten. »Was ist passiert?« fragte er nachsichtig. »Sie haben Liese interviewt, nicht wahr?«
Zum zweitenmal in dieser Nacht trocknete Phoebe sich die Augen mit Craws Taschentuch.
»Sie hat mich darum gebeten. Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist viel zu großartig, um meine Freundin zu sein. Wie wäre das möglich? Sie bat mich, ihren Namen nicht zu schreiben. Sie ist inkognito hier. Ihr Leben hängt davon ab. Wenn ihre Eltern erführen, daß sie hier ist, würden sie sie auf der Stelle holen lassen. Sie sind sagenhaft einflußreich. Sie haben Privatflugzeuge, alles. Sobald sie erführen, daß Liese mit einem Chinesen lebt, würden sie die sagenhaftesten Druckmittel anwenden, nur um sie zurückzuholen. >Phoebe<, sagte sie, >von allen Menschen in Hongkong werden Sie am besten verstehen, was es bedeutet, unter dem Fluch der Intoleranz zu leben.< Sie bat mich darum. Ich habe es ihr versprochen.«
»Sehr richtig«, sagte Craw ungerührt. »Und brechen Sie Ihr Wort niemals, Pheeb. Ein Versprechen ist heilig.« Er ließ einen bewundernden Seufzer hören. »Die Seitengassen des Lebens, sage ich immer, sind uns stets fremder als des Lebens breite Wege. Wenn man das in die Zeitung setzen würde, bekäme man vom Chefredakteur zu hören, man hätte nicht alle Tassen im Schrank, wetten? Und doch stimmt es. Ein leuchtendes wundervolles Beispiel menschlicher Integrität um ihrer selbst willen.« Ihre Augen waren zugefallen, und er rüttelte sie, um sie wachzuhalten. »Jetzt frage ich mich bloß, wie kommt eine solche Verbindung zustande? Welcher gute Stern, welcher glückliche Zufall konnte zwei so dürstende Seelen zueinanderführen? Und noch dazu in Hongkong, Herrgottnochmal.«
»Es war Schicksal. Sie lebte nicht einmal hier. Sie hatte sich nach einer unglücklichen Liebesgeschichte völlig von der Welt zurückgezogen und beschlossen, den Rest ihres Lebens mit der Anfertigung erlesenen Schmucks zu verbringen, um der Welt in all ihren Leiden etwas Schönes zu schenken. Sie war nur für ein paar Tage hergeflogen, um Gold einzukaufen, und rein zufällig begegnete ihr, bei einem von Sally Cales sagenhaften Empfängen, Drake Ko, und das war's.«
»Und von Stund an nahm die wahre Liebe ihren süßen Lauf, wie?«
»Keineswegs. Sie begegnete ihm. Sie liebte ihn. Aber sie war entschlossen, keine Bindung einzugehen, und kehrte nach Hause zurück.«
»Nach Hause?« echote Craw blöde. »Wo ist eine Frau von ihrer Integrität zu Hause?«
Phoebe lachte. »Nicht nach Südfrankreich, Dummer. Nach Vientiane. In eine Stadt, die kein Mensch je aufsucht. Eine Stadt ohne Highlife, ohne eine Spur jenes Luxus, an den sie von Kind auf gewöhnt war. Das war der Ort ihrer Wahl. Ihre Insel. Sie hatte Freunde dort, sie interessierte sich für Buddhismus und Kunst und Antiquitäten.«
»Und wo haust sie jetzt? Immer noch in einer schlichten Kate, ja, getreu ihrem Ideal vom einfachen Leben? Oder hat Bruder Ko sie zu weniger frugalen Pfaden verleitet?«
»Sparen Sie sich Ihren Hohn. Drake hat ihr natürlich eine sehr schöne Wohnung eingerichtet.«
Hier war für Craw die Grenze: er wußte es sofort. Er überdeckte die Karte mit anderen, erzählte ihr Geschichten aus dem alten Schanghai. Aber er versuchte mit keinem Schritt, die entgleitende Liese Worth einzuholen, obgleich Phoebe ihm eine Menge Laufereien hätte ersparen können.
»Hinter jedem Maler«, sagte er gern, »und hinter jedem Außenagenten, Jungens, sollte ein Kollege mit einem Holzhammer in der Hand stehen und ihm eines über den Schädel hauen, wenn er weit genug gegangen ist.«
Im Taxi zu ihrer Wohnung war sie wieder ruhig, aber sie zitterte. Er brachte sie ritterlich zur Tür. Er hatte ihr alles verziehen. Auf der Schwelle wollte er sie küssen, aber sie schob ihn weg. »Bill. Bin ich wirklich zu etwas nutz? Sagen Sie's mir. Wenn ich zu nichts nutz bin, müssen Sie mich rauswerfen, ich verlange es. Heute abend war es nichts. Sie sind süß, Sie tun als ob. Ich versuche ja alles. Aber es war trotzdem nichts. Wenn es andere Arbeit für mich gibt, dann mach ich sie. Sonst müssen Sie mich abstoßen. Rücksichtslos.«
»Es ist nicht aller Nächte Abend«, beruhigte er sie, und erst dann ließ sie sich von ihm küssen. »Danke, Bill«, sagte sie.
»Ja, so war das, Ehrwürdens«, sann Craw glücklich, als er mit dem Taxi zum Hilton weiterfuhr. »Codename Susan spann und werkelte, und sie wurde mit jedem Tag ein bißchen weniger wert, denn jeder Agent kann immer nur so gut sein wie das Ziel, auf das er angesetzt ist, und das ist die reine Wahrheit. Und das eine Mal, als sie uns Gold lieferte, pures Gold, Monsignores« - im Geist hielt er wieder den fetten Zeigefinger hoch, eine Botschaft an die ungeprägten Jungen, die gebannt in den vorderen Reihen saßen -, »das eine Mal, da wußte sie nicht einmal, daß sie das getan hatte, und sie erfuhr es nie!«