Über die besten Witze in Hongkong, hatte Craw einmal geschrieben, wird selten gelacht, weil sie viel zu ernst sind. In diesem Jahr zum Beispiel ging man in das Pub im Tudorstil in dem unfertigen Hochhaus, wo echte, säuerlich blickende englische Landmädchen im Dekollete der Zeit echtes englisches Bier, zwanzig Grad unter der englischen Temperatur, servierten, während draußen in der Halle schwitzende Kulis mit gelben Helmen rund um die Uhr schufteten, um die Aufzüge betriebsfertig zu machen. Oder man kann in die italienische taverna gehen, wo eine gußeiserne Wendeltreppe zu Julias Balkon zu führen scheint und statt dessen in einem weißen Gipsplafond endet; oder in den schottischen Gasthof mit chinesischen Schotten im Kilt, die gelegentlich rebellierten, wenn die Hitze zu groß war oder die Fahrpreise auf der Star Ferry erhöht wurden. Craw hatte sogar einen Opiumsalon besucht, mit Klimaanlage und einer Musikbox, die Greensleeves orgelte. Aber das Ausgefallenste, das Widersinnigste, was für Craws Geld zu haben war, war diese Dachgartenbar hoch über dem Hafen mit ihrer chinesischen Vier-Mann-Kapelle, die Noel Coward spielte, und ihren glattgesichtigen chinesischen Barmännern mit Frack und Perücke, die aus dem Dunkel auftauchten und ihn in gutem Amerikanesisch fragten, was zu trinken beliebe. »Ein Bier«, knurrte Craws Gast und bediente sich mit einer Handvoll Salzmandeln. »Aber kalt. Verstanden? Sehl kalt. Und luck zuck.«
»Lächelt Euer Eminenz das Leben?« erkundigte sich Craw. »Hören Sie auf mit dem Krampf, ja? Geht mir auf den Wecker.« Das Eisenfressergesicht des Superintendent verfügte nur über einen einzigen Ausdruck: den des bodenlosen Zynismus. Wenn der Mensch die Wahl hätte zwischen gut und böse, besagte sein verbiestertes Glotzen, würde er jederzeit das Böse wählen: und die Welt war mitten durchgeschnitten, geteilt in solche, die das wußten und hinnahmen, und diese langhaarigen Bubis in Whitehall, die an den Weihnachtsmann glaubten. »Die Akte des Mädchens schon gefunden?«
»Nein.«
»Nennt sich Worth. Hat ein paar Silben abgelegt.«
»Ich weiß verdammt, wie sie sich nennt. Meinetwegen kann sie sich Mata Hari nennen, mir scheißegal. Es ist trotzdem keine Akte über sie da.«
»Aber es war eine da?«
»Richtig, Dicker, war« griente der Rocker wütend und ahmte Craws Akzent nach. » >Das war einmal, das ist nicht mehr<. Drücke ich mich klar genug aus, oder soll ich es für Sie mit unsichtbarer Tinte einer Brieftaube auf den Arsch malen, Sie gottverdammter Buschmann.«
Craw saß eine Weile nur still da und nippte mäßig, aber regelmäßig an seinem Drink. »Könnte Ko das getan haben?«
»Was getan?« fragte der Rocker absichtlich begriffsstutzig. »Ihre Akte verschwinden lassen.«
»Könnte er.«
»Die Aktenschwindsucht scheint sich auszubreiten«, kommentierte Craw nach einerweiteren Erfrischungspause. »London niest und Hongkong kriegt den Schnupfen. Mein kollegiales Mitgefühl, Monsignore. Mein brüderliches Beileid.« Er senkte die Stimme zu einem tonlosen Flüstern. »Sagt mir, Ehrwürden: ist der Name Sally Cale Musik für Eure Ohren?«
»Nie von ihr gehört.«
»Was für Geschäfte betreibt sie?«
»Tineff Antik GmbH Kaulun. Geplünderte Kunstschätze, erstklassige Fälschungen, Abbilder von Lord Buddha.«
»Woher?«
»Das echte Zeug kommt aus Burma, über Vientiane. Fälschungen sind einheimisches Produkt. Sechzig, altes Mannweib«, fügte er säuerlich hinzu und nahm vorsichtig ein weiteres Bier in Angriff.
»Hält deutsche Schäferhunde und Schimpansen. Gleich in Ihrer Straße.«
»Vorstrafen?«
»Sie machen Witze.«
»Die Cale hat das Mädchen angeblich mit Ko bekannt gemacht.«
»Na und? Die Cale verkuppelt die Euronutten. Die Chinesen mögen sie deshalb, und ich auch. Hab' mal gesagt, sie soll mir eine besorgen. Sagte, sie hätte nichts, was klein genug wäre, die freche Sau.«
»Unsere zarte Schöne war angeblich auf einen Sprung hier zum Goldkaufen. Paßt das ins Bild?«
Der Rocker blickte Craw mit neuem Abscheu- an, und Craw fixierte den Rocker, und es war ein Zusammenstoß zweier unbeweglicher Objekte.
»Klar paßt es ins Scheißbild«, sagte der Rocker verächtlich. »Die Cale war Aufkäuferin von Schmuggelgold aus Macao, oder?«
»Und wo kommt Ko ins Spiel?«
»Ach, schleichen Sie doch nicht um den heißen Brei. Die Cale war der Strohmann. Das Ganze war Kos Geschäft. Und sein fetter Bulldog da hat ihren Partner gemimt.«
»Tiu?«
Der Rocker war wieder in seinen Biertran verfallen, aber Craw ließ nicht locker. Er neigte den scheckigen Kopf ganz nah an das Blumenkohlohr des Rockers.
»Mein Onkel George wird jede nur mögliche Auskunft über besagte Cale sehr zu schätzen wissen. Klar? Er wird sie reich belohnen. Er interessiert sich besonders für die Cale jenes entscheidenden Augenblicks, als sie meine kleine Lady ihrem chinesischen Beschützer zuführte, und danach alles bis zum heutigen Tag. Namen, Daten, Lebenslauf, was immer Sie auf Eis liegen haben. Hören Sie?«
»Sagen Sie Ihrem Onkel George, er wird mir fünf verdammte Jahre im Knast von Stanley verschaffen.«
»Wo Sie sich in bester Gesellschaft befinden würden, was, Junker?« sagte Craw anzüglich.
Es war eine unzarte Anspielung auf jüngste traurige Ereignisse in der Welt des Rockers. Zwei seiner vorgesetzten Kollegen waren für jeweils mehrere Jahre dorthin geschickt worden, und weitere warteten trübselig darauf, ihnen nachzufolgen. »Korruption«, brummte der Rocker angeekelt. »Als nächstes entdecken sie noch, daß die Erde rund ist. Kotzen mich an, diese Pfadfinder.«
Craw hatte das alles schon gehört, aber jetzt hörte er es sich nochmals an, denn er hatte die goldene Gabe des Zuhörens, die in Sarratt weit höher veranschlagt wird als Mitteilsamkeit. »Dreißigtausend verdammte Europäer und vier Millionen verdammte Gelbe, zweierlei verdammte Moral, ein paar der bestorganisierten verdammten Verbrechersyndikate der Welt. Was erwartet man von mir? Abstellen können wir das Verbrechen nicht, also, wie halten wir's im Zaum? Wir knöpfen uns die großen Fische vor und schließen einen Handel mit ihnen, klar tun wir das: Herhören, Jungens. Kein unkontrolliertes Verbrechen, keine Gebietsverletzungen, alles sauber und dezent, meine Tochter muß zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Straße sicher sein. Ich möchte haufenweise Verhaftungen, damit die Richter zufrieden sind und ich mir meine armselige Pension verdiene, und Gott sei jedem gnädig, der die Regeln bricht oder die Obrigkeit mißachtete Ja, ja, sie schwitzen ein paar Kröten aus. Nennen Sie mir einen Menschen auf dieser ganzen finsteren Insel, der nicht so oder so ein paar Kröten ausschwitzt. Wenn es Leute gibt, die zahlen, dann gibt es auch Leute, die kassieren. Klarer Fall. Und wenn es Leute gibt, die kassieren . . . Außerdem«, sagte der Rocker, der plötzlich von seinen eigenen Reden genug hatte, »Ihr Onkel George weiß das längst.«
Craws Löwenkopf hob sich langsam, bis sein furchtbares Auge fest auf das abgewandte Gesicht des Rockers geheftet war.
»George weiß was, wenn ich fragen darf?«
»Diese Sally Scheiß-Cale. Wir haben sie für euch doch schon vor Jahren um- und -umgedreht. Hat geplant, das verdammte Pfund Sterling zu ruinieren oder irgend sowas Blödes. Dumping der Goldpreise in Zürich, hat man noch Worte. Ein Haufen alter Flickschuster, wie üblich, wenn Sie mich fragen.«