Выбрать главу

»Nein, nein. Keinen Zucker, danke«, sagte Smiley mit bekennendem Grinsen. »Kalorien sparen?«

»Na ja, ein bißchen, ein bißchen.« Er spielte sich selber, aber besser als sonst, wie sie in Sarratt sagen. Ein bißchen hausbackener, ein bißchen resignierter: der brave treue Beamte, der mit vierzig seine Steighöhe erreicht hatte und seitdem dort verharrte. »Zitrone ist auch da, wenn Sie wollen!« rief Peter Worthington aus der Küche, wo er ungeschickt mit Tassen und Tellern herumklapperte.

»O nein, vielen Dank. Nur Milch.«

Auf dem abgetretenen Boden des Arbeitszimmers türmten sich die Indizien eines anderen, kleineren Kindes: Bauklötze und ein Schreibheft mit endlosen hingekrakelten As und Ds. Von der Lampe baumelte ein Weihnachtsstern aus Pappe. An den Wänden sah man die Heiligen Drei Könige und Schlitten und weiße Watte. Peter Worthington kam mit einem Tablett herein. Er war groß und robust, mit drahtigem, früh angegrautem braunem Haar. Die Tassen waren trotz allen Herumklapperns noch immer nicht sehr sauber.

»Gut gemacht, daß Sie in meiner Freizeit kommen«, sagte er und wies mit dem Kopf auf die Schulhefte. »Wenn man von Freizeit sprechen kann bei diesem Haufen Korrekturen.«

»Ich finde immer, Ihr Beruf wird sehr unterschätzt«, sagte Smiley und schüttelte milde den Kopf. »Ich habe selbst Freunde im Lehrfach. Sie sitzen halbe Nächte über den Korrekturen, wie sie mir versichern, und ich habe keinen Grund, an ihrem Wort zu zweifeln.«

»Dann gehören sie zu den Gewissenhaften.«

»Ich darf Sie bestimmt auch zu dieser Kategorie zählen.«

Peter Worthington lächelte, er war sehr geschmeichelt. »Leider ja. Was überhaupt lohnt, das lohnt auch die Mühe«, sagte er und half Smiley aus dem Regenmantel.

»Offen gestanden wünsche ich mir häufig, diese Ansicht wäre ein bißchen weiter verbreitet.«

»An Ihnen ist auch ein Lehrer verlorengegangen«, sagte Peter Worthington, und sie lachten beide.

»Was machen Sie mit Ihrem kleinen Jungen?« sagte Smiley und setzte sich.

»Ian? Oh, der geht zu den Großeltern. Meinen Eltern, nicht ihren«, fügte er hinzu, während er Tee eingoß. Er reichte Smiley eine Tasse. »Sind Sie verheiratet?« fragte er.

»Ja, ja, bin ich, und sehr glücklich noch dazu, wenn ich das sagen darf.«

»Kinder?«

Smiley schüttelte den Kopf und gestattete sich eine kleine enttäuschte Grimasse. »Leider«, sagte er.

»Dort tut's am wehesten«, sagte Peter Worthington sehr nüchtern.

»Das glaube ich Ihnen. Trotzdem, wir hätten gern gewußt, wie's ist. In unserem Alter empfindet man es mehr.«

»Sie sagten am Telefon, es gebe Nachricht über Elizabeth«, sagte Peter Worthington. »Ich wäre Ihnen schrecklich dankbar, wenn Sie mir's erzählten.«

»Es ist aber nichts Aufregendes«, sagte Smiley vorsichtig. »Aber es macht Hoffnung. Ohne Hoffnung geht es nicht.« Smiley bückte sich zu der amtlichen schwarzen Plastikmappe und öffnete den billigen Verschluß.

»Zuerst muß ich Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er. »Nicht daß ich nicht offen sein wollte, aber wir gehen immer gern ganz sicher. Ich bin selber sehr gründlich, das gebe ich ohne weiteres zu. Bei Todesfällen von Ausländern machen wir's genauso. Legen uns nie fest, ehe wir absolut sicher sind. Vornamen, Familienname, genaue Adresse, Geburtsdatum wenn wir es feststellen können, keine Mühe ist uns zuviel. Nur um uns abzusichern. Nicht rechtsgültig, natürlich, wir geben keine rechtsgültigen Bestätigungen ab, das ist Sache der zuständigen Behörden.«

»Schießen Sie los«, sagte Peter Worthington munter. Smiley, der die Übertreibung in seinem Tonfall bemerkte, blickte schnell auf, aber Peter Worthingtons ehrliches Gesicht war zur Seite gewandt, er schien einen Stapel alter Notenhalter zu betrachten, der in der Ecke lag.

Smiley leckte sich den Daumen, schlug umständlich eine Akte auf seinen Knien auf und blätterte darin. Es war die Akte des Foreign Office mit der Aufschrift »Vermißte Personen« und durch Lacon unter einem Vorwand von Enderby entliehen. »Wäre es zu viel verlangt, wenn ich die Einzelheiten von Anfang an mit Ihnen durchginge? Natürlich nur die hervorstechenden, und nur, was Sie mir gern sagen, das muß ich nicht eigens betonen, wie? Der Haken für mich ist, müssen Sie wissen, ich bin eigentlich mit dieser Arbeit normalerweise nicht befaßt. Mein Kollege Wendover, den Sie kennen, ist krank, und - na ja, man will nicht unbedingt immer alles zu Papier bringen, nicht wahr. Er ist ein fabelhafter Bursche, aber in puncto Berichteschreiben finde ich ihn ein bißchen bündig. Nicht nachlässig, weit entfernt, aber manchmal ein bißchen dürftig, was den menschlichen Aspekt angeht.«

»Ich bin immer vollständig aufrichtig. Immer«, sagte Peter Worthington ziemlich ungeduldig zu den Notenständern. »Ich glaube an Aufrichtigkeit.«

»Und was uns betrifft, so kann ich Ihnen versichern, wir im Foreign Office respektieren eine vertrauliche Mitteilung.« Irgend etwas fehlte plötzlich. Smiley hatte bis zu diesem Augenblick nicht gewußt, daß Kindergeschrei die Nerven beruhigen konnte; als es jedoch aufhörte und der Spielplatz sich leerte, hatte er ein Gefühl der Verstörtheit, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er es überwand. »Pausenschluß«, sagte Peter Worthington lächelnd. »Wie bitte?«

»Pause. Milch und Brötchen. Wofür Sie Ihre Steuern bezahlen.«

»Also, erstens ist nicht davon die Rede, entsprechend der Notizen meines Kollegen Wendover - dem ich um Gottes willen nichts am Zeug flicken möchte -, daß Mrs. Worthington Sie unter irgendeiner Art von Zwang verließ . . . Moment noch. Lassen Sie mich erst erklären, was ich damit sagen will. Bitte. Sie ging freiwillig. Sie ging allein fort. Sie wurde nicht in unzulässiger Weise dazu genötigt, verlockt oder auf irgendeine Art Opfer einer gesetzwidrigen Pression. Einer Pression zum Beispiel, die, sagen wir einmal, früher oder später Gegenstand einer gerichtlichen Klage, angestrengt von Ihnen selbst oder von anderen gegen eine dritte, bisher noch nicht genannte Partei sein könnte?« Langatmigkeit erzeugt, wie Smiley wußte, bei den Betroffenen einen fast unerträglichen Drang zum Sprechen. Wenn sie nicht direkt unterbrechen, so kontern sie zumindest mit aufgestauter Energie: und als Schulmeister war Peter Worthington ohnehin nicht gerade der geborene Zuhörer.

»Sie ging allein fort, ganz allein, und ich stehe und stand immer auf dem Standpunkt, daß es ihr gutes Recht war. Wenn sie nicht allein fortgegangen wäre, wenn noch jemand im Spiel gewesen wäre, Männer - wir sind weiß Gott alle nur Menschen -, so hätte das keinen Unterschied gemacht. Beantwortet das Ihre Frage? Kinder haben ein Recht auf beide Eltern«, schloß er lehrhaft. Smiley schrieb fleißig, aber sehr langsam. Peter Worthington trommelte mit den Fingern auf die Knie, dann ließ er sie in den Gelenken knacken, einen nach dem anderen, eine rasche, ungeduldige Salve.