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»Und so fand Daisy auch die Kos«, fuhr er fort - seine Abschweifung hatte er schon wieder vergessen. »Drunten bei den Docks, nicht wahr, Doris, wo sie ihre Mutter suchten. Sie waren beide von Swatow heraufgekommen. Wann war das? Ich glaube neunzehnhundertsechsunddreißig. Der kleine Drake war zehn oder elf, und sein Bruder Nelson acht, beide zaundürr; hatten seit Wochen nichts Ordentliches im Bauch. Über Nacht wurden sie Reis-Christen, das dürfen Sie glauben! Wissen Sie, sie hatten damals keine Namen, ich meine, keine englischen. Sie stammten von den Bootsbewohnern, den Chiu Chow. Über die Mutter haben wir nie etwas rausgekriegt, wie, Doris? >Tot von Gewehren<, sagten sie. >Tot von Gewehren<. Konnten japanische Gewehre gewesen sein, konnten Kuomintang-Gewehre gewesen sein. Wir sind der Sache nie auf den Grund gekommen, warum auch? Der Herr hatte sie zu sich genommen, Amen. Konnten die ganze Fragerei genausogut bleiben lassen und weitermachen. Klein Nelsons Arm sah gräßlich aus. Ganz furchtbar. Der gebrochene Knochen stak durch den Ärmel, wahrscheinlich haben das auch die Gewehre angerichtet. Drake, der hielt Nelsons heile Hand und hätte sie zuerst weder für Geld noch für gute Worte losgelassen, nicht einmal, damit der Kleine essen konnte. Wir sagten immer, sie teilten sich in die gesunde Hand, weißt du noch, Doris? Drake saß am Tisch und hielt ihn fest gepackt und schaufelte Reis in den Kleinen, was hineinging. Wir haben den Arzt kommen lassen: er konnte sie auch nicht trennen. Wir mußten uns damit abfinden. >Du sollst Drake heißen<, sagte ich, >und du Nelson, weil ihr beide tapfere Seeleute seid, was sagt ihr dazu?< Deine Mutter war auf diese Idee gekommen, wie, Doris? Sie hätte immer ein paar Jungen gewollt.«

Doris sah ihren Vateran, wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders.

»Sie haben immer ihr Haar gestreichelt«, sagte der alte Mann mit leicht erstaunter Stimme. »Das Haar deiner Mutter streicheln und Daisys Glocke schwingen, das taten sie gern. Sie hatten noch nie blondes Haar gesehen. Heh, Doris, wie wär's noch mit ein bißchen saw. Der meine ist schon ganz kalt, und der ihre bestimmt auch. Saw ist schanghainesisch und heißt Tee«, erklärte er. »In Kanton sagen sie cha. Wir haben ein paar von den alten Wörtern beibehalten, ich weiß nicht, warum.«

Mit einem erbitterten Zischlaut schnellte Doris aus dem Zimmer, und Connie ergriff die Gelegenheit zum Sprechen. »Mr. Hibbert, wir wußten bis jetzt nicht, daß er einen Bruder hatte«, sagte sie in leicht vorwurfsvollem Ton. »Er war jünger, sagten Sie. Zwei Jahre jünger? Drei?«

»Sie wußten nichts von Nelson?« Der Alte wunderte sich. »Und dabei liebte er ihn doch so sehr! Nelson war Drakes ganzes Leben. Hat alles für ihn getan. Wissen nichts von Nelson, Doris!« Aber Doris war in der Küche und bereitete saw. Connie überprüfte ihre Notizen und lächelte verlegen.

»Ich fürchte, das ist unsere Schuld, Mr.  Hibbert. Ich sehe hier, daß die Gouvernementskanzlei die Spalte Geschwister leer gelassen hat. Das wird in Kürze einigen Herrschaften in Hongkong ziemlich peinlich sein, das sage ich Ihnen. Sie erinnern sich wohl nicht zufällig an Nelsons Geburtsdatum? Bloß um das Verfahren abzukürzen?«

»Nein, bei Gott nicht! Daisy Fong würde sich natürlich erinnern, aber sie ist längst von hinnen geschieden. Hat jedem einen Geburtstag gegeben, unsere Daisy, auch wenn sie ihn selbst nicht wußten.«

di Salis zerrte an seinem Ohrläppchen und zog seinen Kopf nach unten: »Oder seine chinesischen Vornamen?« platzte er mit seiner hohen Stimme heraus. »Die könnten von Nutzen sein, wenn man nachprüfen will.«

Mr.  Hibbert schüttelte den Kopf. »Wissen nichts von Nelson! Du lieber Himmel! Man kann sich Drake gar nicht vorstellen ohne den kleinen Nelson an seiner Seite. Gehörten zusammen wie Brot und Käse, sagten wir immer. Weil sie Waisen waren, natürlich.« Von der Diele her hörten sie ein Telefon klingeln und, zur heimlichen Verwunderung Connies und di Salis', ein deutliches »Zum Teufel!«, als Doris aus der Küche preschte, um abzunehmen. Sie hörten Fetzen ärgerlicher Reden neben dem Gezisch des Teekessels. »Und warum nicht? Wenn's die verdammten Bremsen sind, warum sagen Sie dann, es ist die Kupplung? Nein, wir wollen kein neues Auto. Wir wollen das alte repariert kriegen, Herrgottnochmal.« Mit einem lauten »Mist« legte sie auf und kehrte in die Küche zu ihrem pfeifenden Teekessel zurück. »Nelsons chinesische Vornamen«, erinnerte Connie sanft durch ein Lächeln hindurch, aber der alte Mann schüttelte den Kopf. »Da müßten Sie die alte Daisy fragen«, sagte er. »Und die ist schon lang im Himmel, Friede sei mit ihr.« di Salis schien drauf und dran, die vorgebliche Unwissenheit des Alten zu bezweifeln; aber Connie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Laß ihn weitermachen, flehte ihr Blick, wenn Sie ihn drängen, verlieren wir das ganze Spiel.

Der alte Mann saß auf einem Drehstuhl. Unbewußt hatte er sich 278 im Uhrzeigersinn langsam herumgeschwenkt und redete jetzt in Richtung Meer.

»Sie waren unzertrennlich«, sagte Mr. Hibbert. »Ich habe nie zwei Brüder gesehen, die so verschieden waren, und auch nie zwei, die so zueinander hielten.«

»Verschieden inwiefern?« fragte Connie lockend. »Also, der kleine Nelson fürchtete sich vor Kakerlaken. So ging's an. Wir hatten natürlich nicht die modernen sanitären Einrichtungen. Wir mußten sie rausschicken zum Häuschen, und du liebe' Güte, um das Häuschen, da schwirrten die Kakerlaken nur so rum, wie Kugeln! Nelson wollte nicht mal in die Nähe gehen. Sein Arm heilte recht ordentlich, er aß wie ein Scheunendrescher, aber der Junge hielt es lieber tagelang zurück, als daß er in das Häuschen gegangen wäre. Deine Mutter versprach ihm sonstwas, wenn er ginge. Daisy Fong probierte es mit dem Rohrstock, und ich sehe seine Augen noch heute, manchmal konnte er einen ansehen und die gesunde Faust ballen, und man dachte, er würde einen zu Stein verwandeln, dieser Nelson war der geborene Rebell. Dann sahen wir eines Tages aus dem Fenster, und dort waren sie. Drake hatte den Arm um Klein Nelsons Schulter gelegt und führte ihn den Weg entlang, um ihm Gesellschaft zu leisten, während er sein Geschäft verrichtete. Haben Sie mal bemerkt, wie anders die Kinder gehen, die auf Booten leben?« fragte er strahlend, als sähe er sie in diesem Augenblick. »Krummbeinig vor Muskelkrampf.« Die Tür krachte auf und Doris kam mit einem Tablett und frischem Tee herein und setzte es klappernd ab. »Mit dem Singen war's genauso«, sagte er, verstummte wieder und blickte aufs Meer.