»Faschismus ›«. wiederholte ich stotternd.
»Ja, bitte sehr. Erklären Sie uns die Herkunft des Wortes. Nennen Sie das Ursprungsland dieser politischen Richtung.«
Ich überlege krampfhaft, stammle dann was von Italien, Mussolini, alten Römern, fascio gleich Rutenbündel, was ich anhand des plakettenbepflasterten Wanderstocks des Leutnants klarzumachen versuche... Und die ganze Zeit hindurch zittern mir Hände und Knie, weil ich plötzlich zu wissen glaube, was dieser Major vorstellt und was er von mir wilclass="underline" Er will mich politisch prüfen, will feststellen, wie mein Glaubensbekenntnis, meine Vergangenheit ist - um mich dann für irgendwelche russischen Belange einzuspannen, als Dolmetscherin oder Armeehelferin, was weiß ich - und ich sehe mich schon verschleppt und versklavt irgendwo auf den Straßen des Krieges... Oder sind es GPU-Leute, wollen sie mich als Spitzel verwenden? Hundert Entsetzensgedanken, ich fühle, wie meine Hände bleiern herabfallen, bringe die letzten Worte kaum noch heraus...
Ich muß wohl bleich geworden sein, denn die Witwe, die doch kein Wort von unserer Unterhaltung versteht, blickt mich ängst-lich fragend an. Nun höre ich, wie der Major zu dem düsterblon-den Leutnant sagt, und es klingt zufrieden: »Ja, sie hat ein gutes politisches Wissen.« Und er hebt sein Glas und trinkt mir zu.
Ich atme auf, fange mein Herz im Halse ein. Offenbar ist das Examen bereits überstanden und hatte weiter keinen Sinn als den, meine Schulweisheit abzuklopfen. Ich trinke aus und erhalte den letzten Rest aus der Sektflasche eingeschenkt. Der Witwe fallen allmählich die Augen zu. Es wird Zeit, daß die Gäste sich empfehlen.
Plötzlich ein neuer Ton, ein offenes Angebot. Der düster-blonde Leutnant sagt in zwei Sätzen, um was es geht: »Hier ist der Major. Er läßt Sie fragen, Bürgerin, ob er Ihnen angenehm sei.«
Ich falle aus allen Wolken, stiere die beiden Männer dumm an. Der Major ist auf einmal sehr mit seiner Zigarre beschäftigt, sorgsam drückt er den Rest im Aschbecher aus. Er scheint gar nicht gehört zu haben, was in seinem Auftrag der Leutnant fragte. Den Asiaten kann ich im Dunkeln am Fenster nicht erkennen. Stumm hockt er noch da. Sekt hat er nicht abbe-kommen.
Schweigen. Die Witwe sieht mich mit achselzuckender Frage an.
Dann wieder der Leutnant, tonlos, gleichmütig: »Ist der Major Ihnen angenehm? Können Sie ihn lieben?«
Lieben? Verdammtes Wort, ich kann es nicht mehr hören, bin so erschrocken und ernüchtert, daß ich nicht weiß, was sagen, was tun. Immerhin gehört der düsterblonde Leutnant doch zu Anatols Kreis. Er kennt also das Tabu. Ist denn Anatol nicht mehr da? Ist dieser Major vielleicht sein Dienstnachfolger? Denkt er, daß er deshalb auch bei mir die Nachfolge antreten kann? Aber nein, der Major hat ja soeben erzählt, daß er derzeit im Krankenhause wohnt, daß er dort sein Bett hat.
Ich stehe auf und sage: »Nein. Ich verstehe nicht.«
Der Leutnant humpelt an seinem Stock hinter mir her durch das Zimmer, während der Major immer noch scheinbar unbeteiligt an Paulis Bett sitzt und an den bang und ratlos schweigenden beiden Deutschen vorbeischaut.
Halblaut murmele ich zu dem Leutnant hin: »Und Anatol? Was ist mit Anatol?«
»Was, Anatol?« ruft er grob und laut. »Wieso Anatol? Der ist ja längst weit weg. Der ist zum Stab versetzt.«
Anatol weg? So ohne ein Wort? Ob das stimmt? Aber es klingt so sicher, so höhnisch überlegen.
Mir dreht sich der Kopf. Nun erhebt sich auch der Major, verabschiedet sich aufs zeremoniellste von der Witwe und von Pauli, ich höre seine wiederholten Dankesbezeugungen für die gewährte Gastfreundschaft. Pauli und die Witwe haben von der ganzen Kuppelei nicht das geringste begriffen. Ich wage auch nicht, in Gegenwart der Russen mit den beiden Deutschen deutsch zu sprechen. Ich weiß schon, Russen mögen das nicht, vermuten dann gleich Komplott und Verrat.
Mit einer Verbeugung gegen uns alle zieht sich der Major zur Tür zurück. Vom Fenster her kommt der Asiat angewackelt. Ich leuchte allen dreien mit meiner Kerze hinaus. Sehr langsam stapft der Major durch den Flur, sein rechtes Bein leicht nachziehend, doch bemüht, das Hinken zu unterdrücken. Der Leutnant stößt mich mit dem Ellenbogen an, fragt rüde: »Na? Überlegen Sie immer noch?« Dann kurze Diskussion zwischen ihm und dem Major darüber, wo man übernachten solle, ob im Krankenhaus oder -? Und der Leutnant fragt mich, kalt, doch wieder höflich: »Könnten wir vielleicht hier untergebracht werden? Wir alle drei?« Und er weist auf den Major und sich und den halb schlafend dastehenden Asiaten.
Alle drei? Bitte, warum nicht? So haben wir doch einen männlichen Schutz über Nacht, denke ich und führe die drei zu der Kammer hinten neben der Küche. Es steht eine breite Couch darin, mit etlichen Wolldecken darauf. Leutnant und Asiat drängen an mir vorbei in die Kammer. Schon reißt der Leutnant die Kammertür hinter sich zu, ich sehe nur noch, wie er eine Taschenlampe herumflackern läßt.
Ich stehe in der Küche, die Kerze in der Hand. Neben mir steht schweigend der Major. Höflich fragt er mich, wo das Bad sei. Ich weise ihm die Tür, lasse ihm die Kerze. Während ich wartend am Küchenfenster stehe und ins Dunkle hinausblicke, tut sich nochmals die Kammertür auf. Der Düsterblonde, schon in Hemdsärmeln, zischelt mir zu: »Das mit uns - das von gestern - das braucht keiner zu wissen.« Und er verschwindet wieder. Einen Moment überlege ich: »Wieso das mit uns?« Dann fällt mir die letzte Nacht wieder ein, die Hundeliebe, das Spucken vor mein Bett. Ewig lang scheint mir das zurückzuliegen, ist verdrängt, fast vergessen. Alle Zeitbegriffe haben sich mir verwirrt. Ein Tag ist wie eine Woche, reißt einen Abgrund zwischen zwei Nächte. Der Major ist wieder da, tritt mit mir in mein Zimmer. Nun werden Pauli und die Witwe nebenan ja endlich kapiert haben, was hier gespielt wurde. Ich höre durch die Wand ihre gedämpfte Rede. Aus einer seiner Taschen zieht der Major eine neue, große Kerze, er läßt etwas Wachs auf einen Aschbecher tropfen, klebt das Licht fest und stellt es auf das Tischchen zu Seiten meines Bettes. Leise fragt er, und hat dabei die Mütze noch in der Hand: »Darf ich hierbleiben?«
Ich mache mit Händen und Schultern Zeichen der Hilflosig-keit.
Darauf er, mit gesenkten Augen: »Vergessen Sie den Oberleutnant. Er wird schon morgen weit weg sein. Ich habe es gehört.«
»Und Sie?«
»Ich? Oh, ich bleibe noch lange, sehr lange. Mindestens noch eine Woche, und vielleicht sogar länger.« Er weist auf das Bein: »Es steckt ein Splitter darin. Ich werde ärztlich behandelt.«
Nur tut er mir doch leid, wie er da so herumsteht. Ich bitte ihn, Platz zu nehmen, sich zu setzen. Er, verlegen:»Sie werden müde sein. Es ist so spät. Wenn Sie sich niederlegen wollen-?« Und er begibt sich zum Fenster hin, das aus Scherben und Pappe besteht und durch das man jetzt nichts, aber auch gar nichts mehr von der Front hört, und tut, als blicke er hinaus. Im Nu hab ich mich oberflächlich ausgezogen, mir einen alten Morgenrock der Witwe übergeworfen, mich unters Deckbett verkrochen.
Er nähert sich, schiebt sich einen Sessel ans Bett. Was will er? Wieder Konversation machen, den Knigge spielen, siehe Kapitel »Vergewaltigungen von feindlichen Demoisellen?« Nicht doch, er will sich bekannt machen, er kramt allerlei Papiere aus seinen Innentaschen, breitet sie vor mir auf der Steppdecke aus, rückt die Kerze näher heran, daß ich gut sehe. Dies ist der erste Russe, der sich derart mit allen Einzelheiten preisgibt. Ich weiß nun, wie er heißt, wann er geboren ist und wo, weiß sogar, wieviel er besitzt; denn es ist ein Sparkassenbuch von der Stadt Leningrad unter den Papieren, auf dem über 4000 Rubel stehen. Dann sammelt er seinen Papierkram wieder ein. Er spricht ein gewähltes Russisch, was ich, wie immer, daraus erkenne, daß mir ganze Sätze unverständlich bleiben. Er scheint belesen, musikalisch, ist krampfhaft bemüht, sich auch jetzt noch gentlemanlike zu benehmen. Springt unvermittelt auf, fragt nervös: »Bin ich Ihnen unangenehm? Verabscheuen Sie mich? Sagen Sie es offen!«