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Klar verstehe ich, mein dicker Liebling! Weit reiße ich die Vordertür auf und zeige ihm, wo der Weg langgeht. »Ab dafür«, sage ich auf deutsch. Er versteht und zottelt von dannen, sieht mich nochmals mit vorwurfsvollen Quetschaugen an und stopft die Strümpfe wieder in seine Tasche.

Eins zu null für die »weibliche Verschlagenheit«!

Nachts, von Donnerstag, 3. Mai, zu Freitag, 4. Mai

Es ist kurz nach drei Uhr und noch dunkel, ich schreibe im Bett, bei Kerzenlicht und allein. Diesen Lichtluxus kann ich mir erlauben, da uns der Major reichlich mit Kerzen versorgt hat.

Den Donnerstag über gab es wieder Trubel in unserer Wohnung. Unerwartet kreuzten drei Mannen von Anatol auf, sie saßen um den Tisch herum, schwatzten, rauchten, spuckten in die Gegend, zermurksten das heisere Grammophon, das immer noch bei uns herumsteht, und ließen unersättlich die Reklameplatte der Kleiderfirma krächzen. Auf meine Frage nach Anatol - eine ängstlich gestellte Frage! - zuckten sie die Achseln, ließen jedoch seine Rückkehr als möglich durchblicken. Übrigens tauchte auch der Truppen-Bäcker in seinem weißen Kittel wieder auf und wiederholte seine stereotype Frage, ob ich, im Austausch gegen viel Mehl, nicht ein Mädel für ihn wüßte.

Nein, ich weiß kein Mädel für den Bäcker. Die Sauf- und Jubelschwestern sind in festen Offiziershänden. Das achtzehn-jährige Bürgerstöchterlein Stinchen ist auf dem Hängeboden gut versteckt. Von den beiden Portierstöchtern hab ich die letzten Tage nichts mehr gesehen und gehört, nehme an, sie krochen anderswo unter. Von den beiden Verkäuferinnen unten im Bäckerladen ist die eine auf und davon, soll sich in einem fremden Keller verkrochen haben. Die andere wird, wie die Witwe vernahm, in der Kammer versteckt gehalten. Man hat einen großen Schrank vor die Verbindungstür gerückt und das Fenster nach draußen mit der Rolljalousie verschlossen. Muß ganz hübsch düster sein für das Mädel. Bliebe theoretisch noch das junge Mädchen, das wie ein junger Mann aussieht, 24 Jahre alt und lesbisch. Wie wir hörten, entging sie bisher den Iwans. Sie läuft unentwegt im grauen Jackettanzug herum, mit Gurt und Schlips, einen Herrenhut tief ins Gesicht gedrückt. Das Haar hat sie ohnehin im Nacken kurz geschnitten. So rutscht sie bei den Russen, die von solchen Grenzfällen nichts wissen, als Mann durch, holt sogar Wasser und steht zigarettenrauchend an der Pumpe.

Pauli reißt Witze über dies Mädel, wünscht ihr eine ordentliche Umschulung, behauptet, es sei geradezu ein gutes Werk, ihr Kerle zu schicken, den strammen Petka beispiels-weise mit seinen Holzfällerpratzen. Überhaupt fangen wir langsam an, den Schändungsbetrieb humoristisch zu nehmen, galgenhumoristisch.

Wir haben oft genug Grund dazu. So hat an diesem Vormittag wahrhaftig auch die Frau mit der grindigen Wange, entgegen meiner Prophezeiung, dran glauben müssen. Zwei Kerle fingen sie, als sie treppauf zu Nachbarsleuten wollte, und zerrten sie in eine der verlassenen Wohnungen. Dort bekam sie es zweimal ab, oder vielmehr anderthalbmal, wie sie sich rätselhaft ausdrückte. Erzählte, daß einer der Kerls auf den Grind gedeutet und gefragt habe: »Syphilis?« Worauf das Schaf im ersten Schreck doch den Kopf schüttelte und Nein rief. Kurz danach kam sie bei uns hereingestolpert, brauchte Minuten, ehe sie sprechen konnte, wir labten sie mit einer Tasse voll Burgunder. Schließlich erholte sie sich wieder und griente: »Und darauf hat man nun sieben Jahre lang gewartet.« (So lange lebt sie von ihrem Mann getrennt.) Berichtete dann von der Wohnung, in die man sie geschleppt hatte, schüttelte sich: »Wie das stinkt da drinnen! Überall haben sie was hingemacht.« Trotzdem lernt die Grindige fleißig Russisch. Sie hat sich ein Wörterbüchlein besorgt und sich Vokabeln daraus abgeschrieben. Nun will sie von mir die richtige Aussprache wissen. Der Grind ist dicht vor mir, er ist mit Salbe einge-schmiert, sieht aus wie ein Stück verfaulter Blumenkohl. Aber ich habe meinen sonst so reizbaren Ekel in diesen Tagen ziemlich abgebaut. Auch wir betrachten die verlassenen Wohnungen als vogelfrei, nehmen uns daraus, was wir brauchen, betreiben Mundraub. So hab ich mir aus der Wohnung nebenan (wo sie u. a. den Spülstein in der Küche als Abort benutzt haben) einen Armvoll Briketts geholt, einen Hammer und zwei Gläser mit eingemachten Kirschen. Wir leben gut und füttern auch die Drohne Pauli gut. Er hat ordentlich Speckbacken gekriegt auf seinem Schmerzenslager.

Mit einem Mal, gegen Abend, platzte Anatol in unsere Stube. Unerwartet, fast schon vergessen. Bei mir Schreck, und Herz im Hals. Aber Anatol lacht, umschlingt mich, weiß offenbar nichts von einem Major. Es scheint zu stimmen, daß er zum Stabe abkommandiert ist, denn er ist mit erstklassigen Nachrichten ausgerüstet. Er berichtet vom zerstörten Stadtzen-trum Berlins, von der Sowjetfahne, die auf der Ruine des Reichstages flattert sowie auf dem Brandenburger Tor. Er war überall. Von Adolf kann er nichts sagen, bestätigt dafür den Selbstmord von Goebbels mit Frau und allen Kindern. Er macht sich an das Grammophon, unter seinen Fäusten zerfällt der Deckel sogleich in fünf Stücke. Ganz verdutzt steht Anatol da mit dem Brettersalat.

Wirre Bilder, Bildfetzen, es vermischt sich in meinem Hirn, kann's nicht mehr auseinanderhalten. Wieder Abend mit viel Wodka, wieder die Nacht. Ich horchte ängstlich nach draußen, zuckte bei jedem Laut und jedem Tritt zusammen. Ich fürchtete, der Major könnte dazwischenkommen; aber er kam nicht. Vielleicht hat ihm der düsterblonde Leutnant, der ja auch Anatol und die Seinen kennt, dessen Rückkehr gesteckt. Anatol wiederum hatte etwas läuten hören von dem Major, wollte wissen, ob ich mit ihm... Ich winkte ab, sagte, wir hätten uns nur politisch unterhalten, womit er sich zufriedengab. Oder er tat doch so. Seinerseits beteuerte er mir, daß er außer mir in Berlin noch kein Mädel angerührt habe. Kramte dann Post heraus, die er aus der Heimat bekommen hat. Vierzehn Briefe, davon dreizehn mit weiblichem Absender. Sagte, verschämt lächelnd, doch ganz selbstverständlich: »Ja, alle lieben mich.« Da Anatol so unvorsichtig war, mir zu erzählen, daß er schon um drei Uhr nachts wieder aufbrechen müßte, zurück in sein neues Quartier im Stadtzentrum, und daß er wohl nicht mehr wiederkehren werde, versuchte ich, ihm möglichst viel Bettzeit zu rauben. Ich ließ mir seine Post einzeln durchklamüsern, fragte alles mögliche, ließ ihn erzählen, mir die Karte von Berlin erläutern, den Frontverlauf. Ich munterte auch die Seinen zum Trinken und Plattenspielen auf, hieß sie singen, was sie gerne taten, bis Anatol sie abwimmelte. Im Bett machte ich weitere Sperenzchen und sagte ihm schließlich, nachdem er einmal seinen Willen bekommen hatte, daß nun ein Punkt gemacht werden müßte; daß ich müde sei, kaputt, ruhebedürftig. Ich hielt ihm moralische Vorträge und suggerierte ihm, daß er doch bestimmt keiner von den »Hooliganen« sei, sondern ein rücksichtsvoller, kultivierter, zartfühlender Mann. Er schleckte die süße Speise, wenn auch sehr widerstrebend und mit Rückfällen ins Mann-Stierische, die ich abbremsen konnte. Geschlafen hab ich freilich auf die Art keine Minute. Immerhin wurde es endlich drei, und Anatol mußte davon. Freundlicher Abschied von dem warmen Vollblut; aber doch ein Aufatmen, ein Gliederstrecken. Ich hielt mich noch eine Zeitlang wach, weil ich das dumme Gefühl hatte, alle meine Taten seien von Kundschaftern ausgespäht, so daß am Ende der Major gleich nachrücken würde. Doch ist bis jetzt keiner gekommen. Draußen singt der Hahn. Nun will ich schlafen.

Rückblick auf Freitag, 4. Mai 1945, notiert Samstag, 5. Mai

Gegen elf Uhr morgens erschien der Major, er hatte bereits vernommen, daß Anatol wieder in der Gegend, wollte wissen, ob ich mit ihm... Ich sagte, nein, er habe bloß hier mit seinen Leuten gefeiert und getrunken, mußte zeitig wieder ins Zentrum zurück. Er schluckte es. Mir war mies zumute. Am Ende werden sie doch noch zusammenknallen. Was soll ich tun? Ich bin bloß Beute, muß es den Jägern überlassen, was sie mit der Beute tun wollen und wem sie verbleibt. Doch hoffe ich sehr, daß Anatol nicht wiederkehrt.