Wieder in der Halle. Wir schleppten zu zweit und zu dritt unhandliche Eisenbarren, reichten dann Platten und Stangen durch die Händekette zum Waggon hinaus. Ein Russe tauchte in der Halle auf, musterte die Frauenreihe und winkte dann zweien, einer dritten, mitzukommen. Die dritte war ich. Wir trabten hinter ihm drein. Wohin? Eine von uns mutmaßte: »Vielleicht zum Kartoffelschälen?« Dazu haben sie nämlich schon ein Dutzend Frauen hinüber zum Bahndamm geholt, wo die sinnig mit Gardinen gezierten russischen Wohnwagen stehen.
Nein, er führte uns anders herum, zu einer Baracke, einen düsteren Gang entlang, in immer dickeren Kotgeruch. Die eine Frau büxte aus, sie rannte einfach zurück, quer übers Gelände. Worauf der Russe uns zwei übriggebliebene vorangehen ließ. Er führte uns in einen Raum mit Steinboden. Man sah einen Waschkessel, Wannen, Waschbretter, Eimer. Darauf wies er hin und machte die Gebärde des Wäschewaschens.
Na, bitte. Aber nicht hier drinnen in diesem Kabuff! Zusammen mit meiner Zufallsgefährtin, einer Kleinen mit frechen Augen, schleppte ich die größte der Waschbütten hinaus ins Freie, vor die überdachte Barackentür auf eine Art Veranda. Dort fühlten wir uns sicherer, und es stank nicht so. Dem Russen war das recht. Er brachte uns zwei Stücke Kernseife und eine Anzahl ehemals weißer Kittelschürzen, Hemden und Handtücher und befahl uns mit Gebärden, dies Zeug zu säubern. Er sprach kurz angebunden, doch nicht unfreundlich, und betatschte uns in keiner Weise, nicht mal mit den Augen.
Meine Mitwaschfrau gibt sich als Danzigerin zu erkennen und wechselt mit dem Russen etliche Brocken Polnisch. Um so besser! Da brauche ich nicht zu reden, kann mein Russisch verstecken. Ich mag nicht als Waschfrau mit ihnen palavern.
Dauernd kommen sie in Gruppen daher, lümmeln sich um die Bütte herum und quatschen über uns. Zum Beispiel stritten sich zweie, wie alt wir wohl seien. Mir gaben sie nach langem Hin und Her 24 Jahre. Nicht schlecht!
Die Stunden schlichen. Wir seiften, rieben, schleppten Wasser heran, warmes aus dem Truppenkessel, kaltes vom Hydranten an der Straße. Hab mir die Finger wund gerieben an dem verdreckten Zeug. Die Handtücher starrten von Fett. Es waren durchweg deutsche Familientücher mit Monogramm, Beute. Ich bürstete die Sachen mit einer Haarbürste und quälte mich sehr damit ab. Derweil immerfort Russen um uns herum, sie kniffen uns, wo sie uns zu fassen kriegten. Ich schlug aus wie ein Pferd und spritzte sie mit meiner Haarbürste naß, sagte aber keinen Ton. Manchmal kam unser Auftraggeber und jagte die Knutscher weg. Dann brachte er uns einen Stapel Unterhosen; sie haben keine Knöpfe daran, alles ist mit Bändelchen zugebunden.
Monoton erzählte mir derweil die Danzigerin, wie etliche Iwans ihre alte Mutter zwischengehabt hätten. Die Mutter, schon Großmutter, hat in ihrem Danziger Polnisch gefragt, ob sich die Burschen nicht schämten, eine so alte Frau zu vergewaltigen.
Worauf sie in Deutsch die klassische Antwort bekam: »Du alt, du gesund.«
Ich dachte schon, daß ich an der Waschbütte zusammen-klappen würde, als unser Chef erschien und die Mittagspause verkündete. Er brachte jeder von uns beiden ein Kochgeschirr voll fetter Suppe, mit Fleischstücken, Gurken und Lorbeer darin, dazu einen Blechteller voll Erbsenbrei mit ausgelassenem Speck. Es scheint, daß unser Chef Koch ist, und ein guter obendrein. Das Essen schmeckte prächtig. Ich spürte ordentlich, wie mir neue Kräfte zuwuchsen.
Wir wuschen weiter, endlos. Zwei Uhr nachmittags, drei Uhr, vier Uhr, fünf Uhr, sechs Uhr. Wir wuschen pausenlos, waren pausenlos unter Aufsicht. Wir seiften, wrangen, schleppten Wasser. Die Füße schmerzten, längst waren die Handknöchel durchgerieben. Die Russen ringsum glaubten, daß sie uns mit dieser Wäscherei einen großen Tort antun. Sie rieben sich schadenfroh die Hände:
»Hihi, waschen müßt ihr für uns, das geschieht euch recht!« Die Danzigerin griente bloß. Ich markierte taubstumm, lächelte nach allen Seiten und wusch, wusch. Die Kerle wunderten sich. Ich hörte, wie einer zum anderen sagte: »Die arbeiten gut. Und immer lustig.«
Wir zogen die letzten Handtücher bis 18 Uhr hin, säuberten unsere Waschbütten und wanderten hinüber zur Kantine, wo es einen Schlag Grütze für alle gab. Hernach, als wir mit den anderen Frauen heimgehen wollten, jagte man uns am Tor zurück: »Rabotta!« Die Frauen schrien durcheinander, drängten zum Tor, meuterten. Aber für Besiegte gibt es keinen Achtstun-dentag. Ein Soldat stieß uns mit erhobenem Gewehr zurück, rief drohend: »Frau! Rabotta!« Ein Russenwort, das jede gelernt hat.
Wir mußten alle zurück in die Halle, weiter Eisenteile aufladen. Stumm und stumpf reichten wir einander die Platten und Stangen zu. Es tut schrecklich weh, kaltes Eisen mit aufgewaschenen Händen anzufassen.
Endlich, gegen 20 Uhr, rief unser Aufseher, daß der Waggon voll sei. Ja, er war übervoll, er ächzte förmlich, als die Lok ihn aus der Halle schleppte. Vielleicht bricht bis Moskau der Boden durch. Ein alter Arbeiter sprang vom fahrenden Zug und meinte, eigentlich hätten sie ihn gleich drauflassen und mit nach drüben verfrachten sollen, denn »wat sollen wir noch hier?« Und er wies in die verödete, ausgeräumte Halle. Und die Frauen fragten: »Wo sollen unsere Männer jetzt arbeiten?«
Eine Stunde später war ich zu Hause, todmüde diesmal, mit steifen Händen, die mir das Schreiben heute sauer werden lassen. Dabei immer noch leicht berauscht von dem fetten, reichlichen Mittagessen. Morgen wird weitergewaschen. Unser Chef hat uns schon neue Arbeit angekündigt.
Samstag, 26. Mai 1945
Wieder endlose Viehzählung auf dem Fabrikgelände, obwohl unser Wiener es nun eigentlich schon besser können müßte. Der Tag begann wieder mit heißer Graupensuppe. Zufrieden zählten die Frauen die Fleischstücke darin. Und ich freue mich, daß ich keinen Herrn Pauli mir gegenüber habe, der mir die Bissen in den Mund zählt.
Vergeblich hielt ich nach meiner Mitwäscherin Ausschau. Die kleine, freche Danzigerin war nicht erschienen. Drum überredete ich zwei andere Frauen, eine blutjunge und eine etwa vierzigjährige, beide freundlichen Aussehens, mit mir zur Waschbütte zu kommen. In Eimern standen schon vorge-weichte Uniformblusen für uns bereit, fleckig und ölig; denn dies ist eine motorisierte Truppe.
Ein Tag wie gestern. Die neuen Wäscherinnen sind emsig und nett. Wieder umdrängen uns die Russen. Wir wehrten uns mit Püffen und albernem Gelächter. Einer, ein Schlitzäugiger, hat es sich in den Kopf gesetzt, uns in Wut zu bringen. Er warf uns ein paar Blusen, die bereits auf der Trockenleine hingen, wieder in die Bütte zurück, wobei er auf etliche noch sichtbare Flecke in den Sachen wies. Ja, freilich sind noch Flecken darin. Das bißchen kümmerliche Seife und unsere Bürsterei reichen nicht aus. Andere Burschen zeigten sich freundlicher, legten Brotstücke neben ihre Blusen.
Gegen Mittag baute unser Chef draußen vor dem Bau aus einer Kiste und zwei umgekippten Schubladen für uns eine Art Eßzimmer, hieß uns Platz nehmen und servierte uns, immer mit dem gleichen freundlich-unbewegten Gesicht, einen großen Topf fettester Fleischsuppe. Bedächtig aßen wir in der Sonne. Auch meine Mitwäscherinnen genossen dies Essen sehr. Übrigens bekam ich auf meine stereotype Frage, wie oft es ihnen passiert sei, von beiden eine ausweichende Antwort. Die Ältere, eine kesse Person mit verwüsteten Zähnen, doch mit unverwüstlichem Humor, sagte, ihr sei alles egal gewesen - die Hauptsache sei jetzt, daß ihr Mann, wenn er mal von der Westfront wiederkomme, nichts davon erfahre. Ansonsten bekennt sie sich zu dem Satz, daß »ein Rußki aufm Bauch« nicht so schlimm sei wie »ein Ami aufm Kopf«. Sie kann darüber mitreden; sie ist, wie sie sagt, durch einen Volltreffer mit anderen Hausbewohnern im Keller verschüttet worden. Es gab Verletzte und eine Tote. Erst nach zwei Stunden kamen Helfer und gruben die Verschütteten aus. Die Erzählerin geriet in allergrößte Erregung, als sie auf die Tote zu sprechen kam, eine alte Frau. »Die hat an der Wand gesessen, genau vor einem Spiegel.« Den Spiegel hatten die Erbauer so niedrig angebracht, weil der Keller ursprünglich für die Kleinen des Kindergartens gedacht war, der sich in einer Baracke nebenan befand. Als dann aber alle Kinder aus Berlin evakuiert wurden, war der Kindergarten geschlossen und der Keller für die Hausbewohner freigegeben worden. »Und nun hat die alte Frau den Spiegel in tausend Splittern in den Rücken und den Hinterkopf gekriegt. Ganz still ist sie daran verblutet, ohne daß es im Dunkel und in der Aufregung einer gemerkt hat.« Die Erzählerin fuchtelte empört mit ihrem Suppenlöffel in der Luft herum: »Spiegel! Dolles Ding!«