«Buggeschütz, Mr. Veitch!«befahl Herrick.»Auf die Entfernung einschießen — zwei, drei Kugeln!»
Beim Krachen des Backbordgeschützes ertönten ein paar Hurras von denen, die vorhin die Kraftdemonstration des Gegners nicht gesehen hatten.
Unter dem Achterdeck wickelten die Kanoniere bereits ihre Halstücher um die Ohren und legten Säbel und Enterbeile zurecht.
«Halbe Kabellänge zu kurz!«sagte Glasson. Doch niemand antwortete ihm.
Das vorderste französische Schiff kam stetig von Backbord auf die Lysander zu. Es segelte so hart am Wind wie möglich; jedes Segel an den dichtgebraßten Rahen war deutlich sichtbar.
Bolitho beobachtete genau, schätzte Zeit und Entfernung ab. Kam es zur Kollision, oder würde er die feindliche Formation durchbrechen? Er mußte unbedingt zwischen die feindlichen Versorgungsschiffe gelangen.
Ein Stakkato aufblitzender gelbroter Feuerzungen beim ersten Schiff; und diesmal war die Breitseite besser gezielt. Der Rumpf der Lysander bebte und schwankte; jaulend flog das Eisen über die Kampanje hinweg.
Gelassen schritt Kipling, der Zweite Offizier, an den Achtzehn-pfündern und ihren reglosen Bedienungen auf und ab. Seinen blanken Degen trug er gegen die Schulter gelehnt wie einen Spazierstock.»Schön ruhig, Jungs!«Er sprach beinahe sanft, als wolle er ein Pferd beruhigen.»Aufpassen und nach vorn sehen!»
Bolitho musterte die Breitfock des Franzosen, gefüllt und hart an ihrer Rah; es sah tatsächlich so aus, als hinge sie an Bugspriet und Klüverbaum der Lysander.
«Zwei Strich abfallen!«befahl er. Grubbs Männer drehten das Rad, und er nickte Herrick zu.»Feuer frei!»
Vom Vorschiff bis achtern feuerten die Backbordgeschütze der Lysander, wurden neu geladen und feuerten wieder. Rauch und Flammen spuckten ihre Stückpforten, die Züge quietschten, wenn die Mannschaften die Kanonen für die nächste Breitseite ausführen.
Bolitho spürte das wilde Aufbäumen des Decks beim Rückstoß der Geschütze. Die Augen schmerzten ihn, als er sein Glas über den Backbordbug richtete: die Segel des Franzosen zuckten und rissen dann unter der Salve.
Nicht alle Kanonen der Lysander hatten genug Reichweite für das führende Schiff, doch hoffte er, wenigstens die schweren Zwei-unddreißigpfünder würden Heck und Achterschiff treffen.
«Gegner hat Kurs geändert, Sir«, brüllte Herrick. Dann fluchte er lästerlich, denn der Franzose feuerte wieder, und seine Breitseite, wenn auch ungenau gezielt und zeitlich schlecht berechnet, war gleichwohl gefährlich. Die Lysander erbebte unter den Einschlägen, und im Großmarssegel erschienen zwei Löcher.
Jetzt schwangen die Rahen des ersten Schiffs herum, so daß sich der Umriß der Segelfläche verminderte, während das Schiff etwas abdrehte. Damit sollten die Kanoniere besseres Schußfeld bekommen und das Schiff manövrierfähiger werden, als es vorher, so hart am Wind, gewesen war.
«Jetzt wieder Kurs ändern!«befahl Bolitho scharf.»Auf Nord zu West!»
Er hatte seine ersten Breitseiten nicht vergeudet. Sie hatten den französischen Kommandanten so verunsichert, daß er eine Wende fuhr, nur um zurückschießen zu können. Aber er würde viel zu lange brauchen, um das Schiff wieder so hoch an den Wind zu bringen.
Mit aller Kraft zogen die Männer an den Brassen; die Rahen knirschten; jetzt fiel auch mehr Sonnenlicht auf das rauchverhüllte
Deck.
«Feuer!»
Krachend fuhren die Backbordgeschütze im Rückstoß zurück, eins nach dem anderen; wild schreiend putzten die Kanoniere die Rohre aus und luden neu.
Bolitho sah, wi e das zweite französische Schiff aus dem rollenden Rauch auftauchte: sein Kommandant war auf die Begegnung nicht gefaßt; und gerade vor diesem Schiff, noch vom eigenen Qualm der Lysander verhüllt, befand sich die Lücke zwischen den beiden Schiffen, das Loch in der feindlichen Formation.
«Breitfock setzen!»
Bolitho hörte die Kugeln heulend durch die Takelage fliegen und sah an beiden Seiten hohe Wassersäulen aufspringen. Das Deck ruckte scharf, und mehrere gebrochene Wanten fielen in die aufgespannten Netze.
«Stützruder, Mr. Grubb!»
«Achtung, Marine-Infanterie!«brüllte Leroux, den Säbel hoch erhoben.»Beide Divisionen — Feuer!»
Das schärfere Knallen der Musketen, das hohle Krachen des Drehgeschützes im Hauptmast mußte die Männer der unteren Batterie darauf aufmerksam machen, daß der Franzose schon sehr nahe war. Die Lysander, nun mit mehr Fahrt durch die vergrößerte Segelfläche, schob knapp am Heck des führenden Schiffs vorbei; die Mannschaft rief hurra, blinzelte in die Sonne und stob dann zur Seite, denn auf Leutnant Steeres schrillen Pfiff hin schlugen die Kugeln der ganzen Reihe Zweiunddreißigpfünder krachend in den Feind.
Bemaltes Schnitzwerk, Glasscherben, Bretter und Holzstücke wirbelten hoch über den Rauch, und Bolitho konnte sich die Panik auf den Versorgungsschiffen vorstellen, als die wildäugige Galions-figur der Lysander durch die Formation brach und auf sie zukam.
«Feuer!»
Der zweite Franzose, auch ein Vierundsiebziger, machte eine blitzschnelle Kursänderung, drehte nach Backbord hinter der Ly-sander her und feuerte dabei. Kugeln streiften ihren Rumpf oder zischten über die schwitzenden Geschützbedienungen hinweg; vom ersten französischen Schiff folgten die etwas schwächeren Kaliber eines Heckgeschützes und ein paar Kartätschen. Mehrere Seesoldaten waren gefallen, aber Sergeant Gritton hielt die Division zusammen. Ladestöcke gingen auf und ab, rammten die Kugeln in die
Läufe, und dann stand die rote Reihe der Männer wieder an den Netzen und schoß.
Bolitho rannte nach Lee und spähte durch den Rauch. Das führende französische Schiff hatte die Großmaststenge verloren und trieb stark ab; entweder war auch das Ruder weg, oder es wurde von den nachschleppenden Spieren und Segeln so schwer behindert, daß das Schiff zeitweilig manövrierunfähig war.
«Noch mal, Mr. Veitch! Volle Breitseite!»
Mit lautem Gebrüll, mit Fausthieben sogar trieben die Geschützführer die vom Krachen und Pulverrauch völlig kopflosen Kanoniere an die Geschütze zurück; ein Rohr nach dem anderen fuhr wieder aus, worauf der Geschützführer eine schwarze Hand hochhielt.
«Feuer!«brüllte Veitch.
Die untere Batterie fing an, dann kamen die Achtzehnpfünder und schließlich die Neunpfünder vom Achterdeck; jedes einzelne der schwarzen Rohre spie Tod und Verderben.
Der Rauch rollte zur Seite, und Bolitho versuchte, den Feind zu erkennen. Seine Augen tränten heftig, sein Mund war wie Sand. Der Himmel war nicht mehr da, sogar die Sonne war weg; die Welt schien nur noch ein Alptraum aus Donner, Flammen und ohrenzerreißendem Getöse.
Der Schiffsrumpf erschauerte; erstickte Schreie ertönten aus der Tiefe, denn eine Kugel war durch eine Stückpforte geflogen und durch das mit Menschen überfüllte Batteriedeck. Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, daß Pascoe vielleicht verwundet oder zum Krüppel geschossen dort unten lag; sich nicht die Schrecknisse vor Augen führen, die ein schweres Geschoß in so engem Raum anrichten konnte!
Der kleine farbige Fleck einer Flagge hob sich aus dem Rauch; und ihm wurde klar, daß kein anderer Mast außer diesem mehr in der Nähe war. Ein paar Geschützbedienungen riefen hurra; nach dem Krachen der vollen Breitseite klangen die Rufe seltsam gedämpft. Grimmig sah Bolitho zu, wie das feindliche Schiff durch den Qualm stieß, Heck und Achterdeck beinahe bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert. Nur der Fockmast stand noch, und ein tapferer Mann riskierte die gefährliche Klettertour, um eine neue Trikolore daran zu befestigen.
Ungläubig rief Herrick:»Die Nicator folgt nicht!«Er fuhr zurück, denn ein Mann wurde von einem Geschütz weggeschleudert und fiel in seine Arme; sein Schrei erstickte ihm in der Kehle. Herrick ließ ihn an Deck gleiten, seine Hände waren blutbespritzt. Er richtete sich wieder auf und stieß wütend hervor:»Probyn macht nicht mit!»