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Und Adam? Langsam trat Bolitho an die Wanten und starrte auf die See hinaus. Land konnte selbst der Ausguck nicht mehr erken-

nen, und der Himmel war bereits so dunkel, daß es schwerfiel, die Kimm zu unterscheiden, die vor Sekunden noch wie geschmolzenes Kupfer geglüht hatte.

Ein weiterer Leutnant war an Deck gekommen und sprach leise mit Fitz-Clarence. Vorn und tiefer unten im geräumigen Schiffsrumpf erklang der schrille Ton einer Bootsmannsmaatenpfeife, und Bolitho hörte das Tappen nackter Füße — die nächste Wache schickte sich an, das Schiff bis Mitternacht zu übernehmen.

Eine Bö wehte Kombüsendunst nach achtern, und Bolitho merkte, daß er nichts im Magen hatte. Aber bei dem Gedanken an Haferbrei und die fettigen Klumpen gekochten Fleisches, das übliche Mittagessen, verging ihm der Appetit.

Herrick tauchte im Niedergang auf und kam herüber zu ihm.

«Ich habe Mr. Gilchrist angewiesen, alle Offiziere und höheren Deckoffiziere gleich nach acht Glasen in der Messe zu versammeln, Sir. «Er zögerte und versuchte, im Halbdunkel Bolithos Stimmung zu erkennen.»Sie sind alle sehr gespannt.»

«Danke, Thomas. «Er wandte sich um, denn ein Bootsmannsmaat kam, gefolgt von einigen Männern seiner Wache, auf der Steuerbordlaufbrücke heran.

Ein Schiffsjunge prüfte die Kompaßlampe, ein anderer das Stundenglas daneben. Zwei Marine-Infanteristen nahmen langsam Haltung an, als ein Korporal nahte, um sie zu inspizieren. Fast schwarz sahen ihre roten Röcke in der tiefen Dämmerung aus. Die leuchtendweißen Brustriemen und Kniehosen verstärkten den Kontrast noch. Es waren die Wachtposten, einer für Herricks Kajütentür, einer für seine.

Brummend gab der Master einem Midshipman Anweisungen, die der Junge, tief über seine Tafel gebeugt, niederschrieb.

Der eben an Deck gekommene Leutnant nahm Haltung an und tippte formell an den Dreispitz.»Wachablösung vollzählig angetreten, Mr. Fitz-Clarence.»

Fitz-Clarence nickte gravitätisch.»Lassen Sie bitte den Rudergänger ablösen, Mr. Kipling.»

Undeutliche Befehle, Füßescharren. Dann sang der Rudergast aus:»Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir!»

Grubb schnaufte geräuschvoll.»Gehört sich auch! Ich komme wieder an Deck, ehe das Glas gedreht wird!«Es klang wie eine Drohung.

Bolitho erschauerte.»Ich bin soweit, Thomas.»

Vorn ertönte die Schiffsglocke, ein Toppsgast glitt an einem Backstag hinunter und lachte laut auf, weil er einen Kameraden beinahe umgeworfen hätte.

Sie gingen zum Niedergang hinüber, und Herrick sagte:»Ich glaube, Mr. Grubb hat recht. Der Wind hat nach Westen gedreht, und wir werden schneller an die Küste herankommen als gedacht.»

Sie stiegen die Leiter hinunter und kamen an einem Matrosen vorbei, der einen Sack Schiffszwieback aus der Messe geholt hatte. Er drückte sich an eine Kajütentür, als fürchte er, den Kommodore oder den Kommandanten auch nur zu streifen.

Das Licht einer Laterne fiel auf die Bodenstücke der Geschütze. Es waren einige der achtundvierzig Achtzehnpfünder, die jetzt so friedlich aussahen, daß man sich nur schwer vorstellen konnte, wie sie, in Rauch und Pulvergestank gehüllt, im Rückstoß binnenbords fuhren, worauf die brüllenden, von der Detonation fast tauben Kanoniere die Rohre für die nächste Breitseite ausputzten.

Weiter achtern blinkte das helle Rechteck der Messetür; dahinter drängten sich die Offiziere der Lysander und jeder Mann im Deckoffiziersrang, der nicht gerade Wache ging.

Herrick blieb stehen und sagte unsicher:»Es scheint mir lange her, seit die Offiziersmesse mein Zuhause war.»

Bolitho sah ihn prüfend an.»Und meins. Mit zwanzig Jahren dachte ich, wenn man erst Kapitän ist, hat man ein leichtes Leben. Heute aber weiß ich: jede Beförderung hat ihre Tücken, ebenso wie ihre Vorteile.»

Herrick nickte.»Mehr Tücken als Vorteile, finde ich.»

Bolitho zupfte unauffällig seine Uniform zurecht. Herrick hatte bisher weder Adam noch überhaupt jemanden von den Vermißten erwähnt. Und doch mußte er sehr oft an ihn gedacht haben. Bolitho erinnerte sich an die Zeit, als Adam auf der Impulsive, Herricks kleinem Zweidecker, Midshipman gewesen war. Das hatte ihn damals merkwürdig berührt. Ob er vielleicht eifersüchtig gewesen war? Hatte er gefürchtet, Adams dienstliches Vertrauensverhältnis zu Herrick könnte zu einer engeren menschlichen Bindung führen, als er selbst sie ihm zu bieten hatte? Alles Trennende kam wieder hoch wie ein Dämon, der auf der Lauer gelegen hatte.

Zum Beispiel damals, als er in Gibraltar sein Geschwader übernommen hatte — das hätte eigentlich der stolzeste Augenblick seiner bisherigen Laufbahn sein müssen. Doch er hatte nur von Adams verbotswidrigem Duell erfahren, von seinem noblen Eintreten für ihn, womit der Junge dienstlichen Nachteil und obendrein Verwundung riskiert hatte.

Das muß in der Familie liegen, dachte er bitter. Viele Bolithos hatten sich als Naturtalente im Degenfechten erwiesen, ohne richtigen Lehrer, ohne viel Übung. Er konnte sich genau daran erinnern, wie er damals in Westindien an Bord eines Kaperschiffes dem französischen Leutnant gegenübergestanden hatte — Auge in Auge, beide noch von der Wildheit erfüllt, die man nur in der Schlacht verspürt. Beinahe hatte ihm der Mann leidgetan. Wenn er sich doch nur ergeben hätte! Noch bei der Parade vor dem letzten tödlichen Stich wußte Bolitho: er konnte nicht anders.

«Also dann wollen wir, Thomas«, sagte er schroff.

Die Offiziersmesse der Lysander war voll. Während Bolitho hinter Herrick herschritt, dachte er an seine Zeit als junger Leutnant auf einem Linienschiff wie diesem. Damals hatte er darüber nachgegrübelt, was so ein Mann, der in der großen Achterkajüte über der Messe wohnte, wohl für ein Leben führen, wovon er träumen mochte. Kapitän oder Admiral, das galt ihm damals gleich hoch.

Die Männer traten beiseite, um ihn vorbeizulassen, und sein Blick schweifte über ihre erwartungsvollen Gesichter. Manche kannte er flüchtig vom Dienst, andere noch überhaupt nicht: die jugendlichen Gesichter der Leutnants und die zerfurchten der Deckoffiziere. Der mächtige Grubb neben Yeo, dem Bootsmann; und am Heck-Neunpfünder lehnte ein streng aussehender älterer Mann — Stückmeister Corbyn, wie er sich zu erinnern glaubte.

Hinter den scharlachroten Röcken der Marine-Infanteristen verschwand der unordentliche Haufe der Midshipmen beinahe; acht oder neun waren anwesend. Edgar Mewse, der Zahlmeister, und der Schiffsarzt Shacklock hielten sich ein wenig abseits.

«Alle anwesend, Sir«, meldete Gilchrist,»außer Mr. Kipling, dem Vierten Offizier, und Mr. Midshipman Blenkarne — beide auf Wache.«»Danke.»

Herrick räusperte sich und legte seinen Hut auf den Tisch.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, nickte Bolitho.»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.»

Gelassen sah er zu, wie sie sich auf Stühlen und Seekisten drängten; die Dienstältesten bekamen die bequemsten Plätze, und für die Midshipmen blieben als Sitz nur die nackten Planken.

«Der Flaggkapitän wird Ihnen bereits angedeutet haben, was wir beabsichtigen«, begann Bolitho.»Kurz gesagt: wir werden übermorgen beim ersten Tageslicht die Küste ansegeln, möglichst viele feindliche Schiffe kapern und die übrigen vernichten.»

Er sah, wie zwei Midshipmen einander vergnügt in die Seite stießen. Den einen kannte er: es war Saxby, und sein zahnlückiges Grinsen war so breit, als hätte man ihm soeben einen Monat Urlaub bei vollem Sold versprochen.

«Wenn der Wind ungünstig ist, halten wir uns von der Küste frei und variieren den Plan entsprechend. «Er warf einen Blick auf Grubbs wettergegerbtes Gesicht.»Aber der Master hat mir volle Unterstützung der höheren Autorität, als meine es ist, versprochen.»

Sie lachten, und es gab allerlei Scherze auf Kosten Grubbs. Der verzog keine Miene, doch offensichtlich hatte ihn diese Bemerkung gefreut. Bolitho wußte auch, daß Herrick ihn ständig beobachtete. Nur er begriff, wie schwer es Bolitho fiel, den versammelten Offizieren zu zeigen, daß ihr Kommodore sich von seinem tiefen privaten Kummer nicht ablenken ließ.