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Bolitho hatte schon manch guten Freund auf See verloren. Keine Freundschaft war fester als die, welche in dem harten, das Äußerste fordernden Leben an Bord eines Kriegsschiffes entstand. Das Meer, Krankheiten, Entersäbel oder Kanonen hatten manches vertraute Gesicht ausgelöscht. Kein Wunder, daß die Männer über Pascoes Abwesenheit zur Tagesordnung übergingen. Nur wenige von ihnen dienten lange genug gemeinsam, um den Schmerz eines solchen Verlustes zu ermessen.

Er merkte, daß sie still geworden waren; er mußte eine ganze

Weile stumm dagestanden haben. Fast heftig fuhr er fort:»Um so viel Verwirrung wie möglich zu stiften, geht die Marine-Infanterie im Schutz der Dunkelheit an Land.»

Sein Blick suchte Major Leroux, der steif aufgerichtet neben seinem Leutnant saß. Er hatte mit Leroux bisher nur dienstlich zu tun gehabt, aber der Mann hatte ihm Eindruck gemacht. Die seemännische Besatzung, Matrosen wie Offiziere, hegte eine Geringschätzung gegenüber der Marine — Infanterie, den» Bullen«, die schwer zu überwinden war. Ihr sturer Drill und die formale Disziplin paßten nicht zu der munteren und lässigen Art der Seeleute. Bolitho selbst hatte schon mit vielen Offizieren der Marine — Infanterie zu tun gehabt; und obwohl er bald ihre Loyalität und Kampftüchtigkeit schätzengelernt hatte, war ihm doch selten einer mit viel Eigeninitiative begegnet. Leutnant Nepean von der Marine-Infanterie war zum Beispiel so ein typischer Falclass="underline" untadelig im Äußeren und jederzeit dienstbereit, doch sah man schon an seinen stumpfen Augen, daß er lieber nach Befehl handelte, als selbst Entscheidungen traf.

Nur Major Jermyn Leroux war anders. Groß, schlank, breitschultrig, wirkte er trotz seiner militärischen Haltung eher wie ein Intellektueller. Bolitho hatte sich einmal auf dem Achterdeck mit ihm über Rekrutierung und Ausbildung seiner Soldaten unterhalten; niemals war Leroux dabei angeberisch geworden oder hatte Aussagen gemacht, die er nicht beweisen konnte.

«Ich werde die Einzelheiten morgen mit Ihnen besprechen, Major«, sagte er.

Leroux nickte. Er hatte stille, beinahe melancholische Augen und sah aus wie jemand, der sich fehl am Platze fühlt.»Abgesehen von Kranken und anderweitig Dienstunfähigen«, erwiderte er,»kann ich neunzig Mann stellen.»

«Das reicht. «Bolitho wandte sich an Herrick.»Drehbassen in die Boote, dazu Wurfanker für den Fall, daß wir Befestigungen stürmen müssen. «Er wartete keine Kommentare ab, sondern fuhr gleich fort:»Als Captain Javal den Schoner nahm, mußte das möglichst leise geschehen. Diesmal will ich, daß unser Kampfverband viel größer wirkt, als er tatsächlich ist.»

Einer der Achtzehnpfünder, mit denen man in der Offiziersmesse leben mußte, quietschte ein bißchen auf seiner Lafette, denn die Lysander bohrte soeben ihren plumpen Bug in ein Wellental. Gedämpfte Rufe an Deck, das Knarren des Ruderblattes unterm Heck verrieten, daß der Kurs korrigiert wurde.

«Wir haben diesmal«, fuhr Bolitho fort,»außergewöhnlich viel Handlungsfreiheit. Wir dürfen keine Gelegenheit versäumen, Informationen über die Absichten des Feindes zu sammeln und seine Abschirmung nach Möglichkeit zunichte zu machen. «Er sah Herrick an.»Noch Fragen?»

Gilchrist stand auf. Sein Gesicht lag zum Teil im Schatten eines Decksbalkens.»Sind denn keine Seeleute bei der Landeabteilung,

Sir?»

«Nur die unbedingt nötigen«, erwiderte Bolitho so ruhig er konnte.»Die Bucht, die wir ansegeln müssen, ist vielleicht gut verteidigt. Sicherlich wird so etwas wie eine Küstenbatterie vorhanden sein, wenn auch nur eine leichte. Captain Herrick braucht jeden verfügbaren Mann an Brassen und Geschützen, das kann ich Ihnen versichern.»

Die Erinnerung an den bevorstehenden Kampf verursachte eine Unruhe in der Messe wie der Wind im Kornfeld. Aber Gilchrist blieb hartnäckig; seine knochige Gestalt schwankte leicht mit dem sich neigenden Deck.»Major Leroux wird also den Oberbefehl haben?«fragte er.

«Nein, Mr. Gilchrist. «Bolitho spürte, wie Herrick neben ihm erstarrte.»Den übernehme ich.»

Gilchrist deutete ein Achselzucken an.»Ziemliches Risiko, Sir. «Er blickte die anderen Offiziere an wie jemand, der weiß, daß er das Publikum hinter sich hat.»Wir alle bedauern Mr. Pascoes, äh, Abwesenheit. Daß Sie weiteres Unheil in Ihrer Familie riskieren wollen…»

Bolitho blickte auf seine Hände nieder. Seltsam, daß er sie so ruhig halten konnte, obwohl er große Lust hatte, den Mann zu packen und halbtot zu schlagen.

Eisig erwiderte er:»Wenn Captain Herrick nichts dagegen hat, nehme ich Sie mit an Land, Mr. Gilchrist. Dann können Sie selbst beurteilen, wie hoch das Risiko ist.»

Gilchrist starrte erst ihn und dann Herrick an.»Danke sehr, Sir«, stammelte er,»es wird mir eine Ehre sein. «Ohne ein weiteres Wort setzte er sich wieder hin.

«Hat sonst jemand etwas zu sagen?«fragte Herrick.

Leutnant Fitz-Clarence sprang auf und starrte Bolitho entschlossen an. Er glühte beinahe vor Erregung.»Denen werden wir's zeigen, Sir! Bei Gott, die zerquetschen wir wie Ungeziefer!«Im Geiste sah er Gilchrist wahrscheinlich schon als Leiche und sich selbst als Ersten Offizier.

Bolitho nickte ihm zu.»Schön gesagt, Mr. Fitz-Clarence. Aber merken Sie sich folgendes. «Er blickte die Versammelten bedeutsam an.»Und das gilt für Sie alle: Was Sie auch von den Dons denken mögen — glauben Sie nicht, daß die Franzosen ihnen gleichen. Zu Beginn dieses Krieges war Frankreich fast gelähmt aus Mangel an guten Stabsoffizieren. Zu viele waren vom Terror der Revolution sinnlos hingeschlachtet worden, um dem Mob zu schmeicheln. Aber das ist vorbei. Neue Männer mit neuen Ideen beleben jetzt ihre Flotte. Die Handvoll Älterer, die der Guillotine entgangen sind, werden respektiert und sind um so eifriger, als sie den Preis des Mißerfolgs kennen. Soldaten können unter fast allen Bedingungen tapfer kämpfen. Aber ohne Kontrolle über die Seewege, ohne das Lebensblut des Nachschubs sind sie wie Ausgesetzte auf einer einsamen Insel — schon halb tot.»

Fitz-Clarence stand noch immer, doch seine Miene war nicht mehr ganz so zuversichtlich.»Dennoch, Sir«, sagte er etwas lahm,»ich bin nach wie vor von unserem Sieg überzeugt.»

Herrick wartete, bis er sich gesetzt hatte. Seine blauen Augen waren fragend auf Bolitho gerichtet.»Vielleicht möchten Sie noch einen Moment mit in meine Kajüte kommen, Sir?»

«Ja, danke. «Bolitho nahm seinen Hut auf.»Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet.»

Er ging zwischen den schweigenden Offizieren hindurch — sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, würde sich die allgeme ine Erregung in den wildesten Vermutungen Luft machen.

Draußen sagte Herrick leise:»Lassen Sie mich mit dem Kommando gehen. Ich habe es bereits vorgeschlagen, jetzt bitte ich Sie inständig darum.»

Wortlos gingen sie zur Treppe und zum Hüttendeck hinauf. Herrick öffnete die Tür zu seinem Logis und schickte den Steward hinaus. Während Bolitho sich an den Tisch setzte, öffnete er seinen Schrank und nahm eine Flasche Rotwein heraus.

Bolitho konnte beinahe verstehen, wie sich im Kopf seines Freundes die Argumente aufbauten, während er die Gläser zurechtstellte. Wenn ein anderer Vierundsiebziger den langen Kommodorewimpel geführt hätte, wäre für Herrick die große Achterkajüte frei gewesen. Seltsamerweise konnte Bolitho sich ihn darin nur schwer vorstellen.

Er nahm ein Glas und hielt es gegen die Lampe.»Also, Thomas ich weiß, was Sie sagen wollen. Lassen Sie zuerst mich reden. «Bedächtig nippte er an seinem Rotwein und lauschte den Wellen, die an der Außenplankung entlangliefen, und auf den an die geschlossenen Fenster klatschenden Gischt.»Sie denken, der Verlust meines Neffen hätte mich so getroffen, daß ich mein Leben wegwerfen, mir sozusagen einen heldenhaften Abgang verschaffen will. Ich leugne nicht, daß ich zutiefst bekümmert bin. Ich kann auch nicht behaupten, daß meine Herkunft, meine ganze Lebenshaltung mich von solch eitlem Schritt zurückhalten würden. Ebenso wie Sie, Thomas, habe ich oft genug gesehen, daß gute Männer, schöne Schiffe und hohe Ideale verheizt wurden, bloß wegen des Geltungsbedürfnisses eines Befehlshabers. Ich habe mir geschworen, daß ich niemals andere unter meinen Privatgefühlen leiden lassen würde, und meist habe ich wohl auch danach gehandelt.»