Mitternacht war vorbei, soweit er schätzen konnte; doch seit jenem Trompetenruf herrschte pausenlos Betriebsamkeit in Lager und Umgebung.
Jetzt war es etwas ruhiger, doch über dem Vorland ließen sich ein paar helle Laternenpünktchen erkennen; wahrscheinlich war die Batterie voll bemannt und traf alle Vorbereitungen für das Bombardement bei Morgengrauen. Ein glutroter Schein waberte ein paar Sekunden lang am Himmel und erstarb dann ebenso schnell. Allday fühlte, wie ihm Schweiß über Hals und Brust rann: dort wurde die Tür einer Feueresse auf- und wieder zugemacht. Sie erhitzten also Kanonenkugeln, um das Schiff in Brand zu schießen.
Er glitt zu Boden. Sie lagen beide nebeneinander, beinahe berührten sie ihre Gesichter.
«Die Batterie macht Kugeln heiß«, flüsterte Allday.»Deswegen haben wir auch einen Eingeborenen als Wachtposten. Die Spanier hier sind bestimmt alle Artilleristen und werden bei diesen verdammten Kanonen gebraucht.»
Pascoes Gesicht leuchtete bleich in der Dunkelheit.»Was machen wir bloß?»
Allday deutete zur Zeltklappe.»Steht da nur ein Mann?»
«Aye. Die denken, wir sind ihnen sicher.»
Trotz seiner steigenden Spannung grinste Allday.»Mit gutem Grund, Mr. Pascoe. Viel Schaden können wir ja nicht anrichten, selbst wenn wir abhauen, nicht wahr?»
«Ich weiß. «Es klang wie ein Schluchzen.
«Sachte!«Er faßte Pascoe an die Schulter und fühlte die vom Sonnenbrand wunde Haut.»Wenn wir was explodieren lassen, wie wir das besprochen haben, dann können wir damit das Schiff warnen.»
Entschlossen nickte Pascoe.»Aber wie kommen wir durch das Lager? Es muß mindestens eine Meile bis zur anderen Seite sein.»
Allday blickte zum Hintergrund des Zeltes.»Wenn mehr als ein Mann Wache steht, sind wir verloren. «Er ließ die Worte einwirken.»Aber wenn wir uns den da schnappen, ehe er um Hilfe rufen kann, dann kann sich einer von uns seine Uniform anziehen.»
Pascoe kroch auf dem Bauch zum Eingang.»Er hat sich hingesetzt. «Lautlos wie ein Wilddieb schlich er sich wieder zu Allday und tippte ihm auf den Arm.»Ich glaube fast, er schläft, aber sehen Sie sich vor. Es könnten noch andere Wachen in der Nähe sein.»
Allday prüfte sein primitives Messer und sagte:»Wenn ich geschnappt werde, ehe ich was unternehmen kann, verhalten Sie sich still und tun, als ob Sie schliefen. Lassen Sie sich nicht anmerken, daß wir das zusammen geplant haben.»
Pascoe zeigte grinsend die Zähne.»Ach, hol Sie der Teufel, Mutter Allday!»
Allday lächelte.»Das hört sich schon besser an, Mr. Pascoe.»
Adam blieb an der Zeltklappe stehen und versuchte, sein Gehör dem gleichmäßigen Kratzen von Alldays Messer zu verschließen, der die Zeltleinwand durchschnitt. Der Posten rührte sich nicht. Pascoe glaubte, die da draußen müßten sein Herz gegen die Rippen hämmern hören. Das Geräusch verstummte, und er warf einen raschen Blick über die Schulter.»Fertig, Allday?»
Aber er war schon allein. Er hob sich auf ein Knie und hielt den Atem an, als Allday wie ein Schatten um die Zeltecke glitt; seine bloßen Füße waren im Sand nicht zu hören. Es war, als hätte er sich in einen alles verbergenden Mantel gewickelt. Einen Moment stand er hoch über dem dösenden Soldaten. Dann stürzte er sich auf ihn und über ihn; ihre Schatten vermengten sich, aber außer einem kurzen Keuchen war nichts zu hören.
Pascoe hielt Allday die Zeltklappe auf, der den reglosen Posten durch den engen Eingang zerrte.
«Zünden Sie bloß nicht die Laterne an«, zischte Allday.»Sie müssen sich im Dunkeln umkleiden, so gut es geht. Los, ziehen Sie ihm die Jacke aus; Sie nehmen auch seine Hose. Stinkt säuisch, der Kerl. «Er tastete rasch nach dem Koppel.»Ah, 'ne Pistole hat er auch.»
Pascoe fühlte die Haut des Mannes unter seinen Fingern. Sie war feucht und heiß, aber unbewegt.
«Ich glaube«, murmelte Allday,»ich habe dem Bastard das Genick gebrochen.»
Pascoe starrte ihn durch das Dunkel kurz an und riß sich dann die Hose herunter. Eine Sekunde lang stand er nackt da und zog dann mühsam die Hose des toten Soldaten an. Seine eigene war zwar zerfetzt, aber immerhin eine letzte Verbindung zu dem Schiff. Er preßte die Lippen zusammen. Weg damit.
Dann die Jacke und das Koppel. Allday hatte recht; dessen kräftiger Körper hätte nie in die Uniform dieses Mannes gepaßt.
Jetzt tappte Allday im Zelt herum, dann hörte Pascoe Wein gluk-kern und wunderte sich, daß Allday ausgerechnet jetzt trinken konnte. Aber schon holte er erschrocken Luft, denn er fühlte All-days tropf nasse Hände auf Gesicht und Hals und unter dem offenen Uniformkragen.»Sie müssen so dunkel wie möglich aussehen«, sagte Allday grimmig.»Gott behüte, wenn man Sie bei Tageslicht sieht, 'ne Rothaut als Soldaten hatten die wahrscheinlich noch nie.»
Er stülpte Pascoe den Fez auf und drapierte das Nackentuch so, daß es möglichst viel vom Gesicht verbarg.
Pascoe nahm die Muskete auf und prüfte sie. Glücklicherweise war sie neu, eine französische vermutlich.
«Fertig.»
Allday zerrte den Toten beiseite und deckte ihn mit einem Stück Zeltleinwand zu.
«Gut. Und jetzt fesseln Sie mir die Hände auf den Rücken. Es muß schön fest aussehen. Nicht zu fest, natürlich; passen Sie auf!»
Stumm sahen sie einander an. Dann sagte Pascoe:»Wenn sie mich lebend kriegen, dann.»
Allday schüttelte den Kopf.»Das werden sie nicht. Mich auch nicht.»
Draußen kam es ihnen fast kühl vor. Die tiefen Schatten der Zelte und Erdwälle wirkten unwirklich und drohend.
Allday überlegte sich, was die Wachen wohl während der Nacht mit den Sklaven und Gefangenen machten. Wenn alles klappte, würde es ein rauhes Erwachen für sie geben, wo sie auch sein mochten.
Es war alles so einfach. Eilig schritten sie den Abhang hinunter, wo die Offizierszelte standen, und auf einen rauhen, teilweise fertiggestellten Pfad zu, der, wie Allday vermutete, zu dem neuen Pier führte. Ein niedergebranntes Lagerfeuer glomm rötlich bei einem unbespannten Wagen, zwischen dessen großen Rädern mehrere schlafende Männer lagen. Er hörte Pascoes Schritte dicht hinter sich und den regelmäßigen Anschlag der umgehängten Muskete an seiner Hüfte.
Bei einem Holzstapel bewegte sich etwas; Allday zischte:»Los, Mr. Pascoe!»
Pascoe riß die Muskete von der Schulter, stieß ihm die Mündung in den Rücken und eilte mit ihm voran, so schnell er glaubte, es riskieren zu können.
«Gut gemacht«, murmelte Allday.»Aber hoffentlich haben Sie Ihren Abzugsfinger unter Kontrolle!»
Sie gingen geradeaus weiter; Sternenlicht wies ihnen den Weg zur Landzunge, Laternen brannten keine mehr. Also würden die Geschützbedienungen jetzt neben ihren Kanonen schlafen. Sie hatten wenig zu befürchten.
Da blieb Allday stehen, Pascoe ebenfalls.
«Was ist?»
«Da steht jemand vor uns. Direkt auf dem Weg.»
«Jetzt können wir nicht mehr zurück«, flüsterte Pascoe,»wir sind auf freiem Gelände.»
«Aye. «Etwas an der vor ihnen stehenden Gestalt beunruhigte Allday.»Wenn er was sagt, lachen Sie einfach und gehen weiter. Ich versuche dann, ihn von hinten zu erledigen.»
Doch der einsame Mann rief sie nicht an und wandte sich auch nicht um, als sie vorbeigingen. Denn er war an einen Pfahl gebunden, und seine leeren Augenhöhlen gähnten groß und schwarz über dem gebleckten Gebiß. Allday ging schweigend vorbei — es war der Anführer der Reiter, der ihn mit der Peitsche geschlagen hatte.
Pascoe sprach es statt seiner aus:»Wenn sie das schon mit ihren eigenen Leuten machen.»
Ein paar Minuten später sagte Allday:»Ich glaube, hier halten wir erst mal und stellen fest, wo wir sind.»
Sie hatten schon fast den Strand erreicht; der Sand war vom Kommen und Gehen vieler Füße zerfurcht, wo Sklaven die ankernden Schiffe beladen hatten.
Das nächstliegende, eine Brigg, war ziemlich deutlich zu erkennen. Die Morgendämmerung mußte also schon näher sein, als sie dachten. Wie einladend diese Brigg aussah. Allday dachte an das, was sie sich vorgenommen hatten, und erschauerte. Unter diesen Umständen hätte jedes Schiff einladend ausgesehen. Er musterte den vor ihnen liegenden Landarm der Bucht. Zwei Erhebungen, etwa eine Kabellänge[12] voneinander entfernt, unterbrachen das sonst ebene Terrain. Also waren zwei Batterien vorhanden, höchstwahrscheinlich aber nur ein Magazin. Der spanische Hauptmann hatte angedeutet, daß er in diesem Stadium auch ohne neue Arbeit genug zu tun hätte.