«Kann ich irgend etwas tun, Sir?«fragte Ozzard leise.
Bolitho sah zum Skylight auf und hörte die dumpfen Hammerschläge, mit denen die Gräting aufgeriggt wurde, an der dieser Mann festgebunden und ausgepeitscht werden sollte.
«Ja! Machen Sie das verdammte Skylight zu!«Er runzelte die Stirn.»Pardon, ich wollte Sie nicht anschreien.»
Er schritt zur anderen Seite. Hole der Satan Gilchrist und seine Strafen! Was wollte er damit beweisen, und wem?
Vorsichtig sagte Ozzard:»Ihr Schreiber ist draußen, Sir.«»Soll 'reinkommen!»
Moffitt trat in die Kajüte und blinzelte in das gespiegelte Sonnenlicht.»Ich habe den ersten Teil fertig, Sir, und dachte…»
«Warten Sie. «Bolitho sprach lauter, um das Klatschen der Peitsche auf eines Mannes nacktem Rücken zu übertönen.»Ich diktiere Ihnen einen Brief.»
An Deck ein kurzer Trommelwirbel, dann wieder der flache, klatschende Schlag der neunschwänzigen Katze auf nackter Haut.
«Wollen Sie anfangen, Sir?»
Ebenso wie Ozzard, der seelenruhig vor sich hin summend nebenan in der Schlafkajüte wirtschaftete, war Moffitt von dem langwierigen Ritual des Strafvollzuges völlig unbeeindruckt. Während er…
«An Captain Charles Farquhar von Seiner Britannischen Majestät Schiff Osiris.»
Bolitho legte die Stirn an die sonnenwarme Fensterscheibe und blickte auf das schäumende Wasser unterm Heck. Wie einladend das war. Kühl. Reinigend. Hinter sich hörte er Moffitts Federkiel über das Papier kratzen. Er stockte durchaus nicht beim Wirbel der Trommel, beim Schlag der Peitsche. Farquhar würde gute Gründe dafür haben, daß er seine Position verlassen hatte, ganz bestimmt.
«Sir?»
Bolitho preßte die Fäuste gegen die Oberschenkel, bis der Schmerz stärker war als seine Nervosität.
«Bei Empfang dieser Order werden Sie auf das Flaggschiff Lysander versetzt…«Er zögerte wieder und kämpfte mit sich selbst… »um dort die mit Ihrer Ernennung zum Flaggkapitän verbundenen Pflichten zu übernehmen.»
Diesmal stockte der Kiel. Bolitho fuhr fort: «Ihr gegenwärtiges Kommando übernimmt Captain Thomas Herrick.»
Er schritt zum Tisch und sah Moffitt über die schmale Schulter.»Zwei Kopien. Gleich. «Er nahm dem Schreiber die Feder aus der Hand, der sie anstarrte, als wolle er sie bannen. Mit fast wütendem Schwung setzt er unter den Text: «Eigenhändig unterschrieben an Bord Seiner Majestät Schiff Lysander, gezeichnet Richard Bolitho, Commodore.»
Es war getan.
Thomas Herrick hatte die Mannschaft nach dem Strafvollzug wegtreten lassen. Die näherkommenden Schiffe waren als Osiris und Nicator identifiziert worden. Nun trat Herrick wieder in Bo-lithos Kajüte, um Meldung zu machen.
Bolitho saß unter den großen Fenstern und blickte auf die lebhaft schwingenden Rahen der Osiris hinaus, deren Segel den Wind aufnahmen, so daß sie sich wieder auf ihre Position achteraus von der Lysander begeben konnte.
«Beide Kommandanten sollen sofort an Bord kommen«, sagte er.
«Jawohl, Sir«, antwortete Herrick müde.»Ich habe schon signalisiert. Wenn alle Schiffe auf ihren Positionen sind, drehe ich bei. Die Osiris will schnellstens berichten.»
Bolitho nickte. Farquhar mußte Neuigkeiten haben, wichtige Neuigkeiten, deretwegen er das vereinbarte Treffen nicht eingehalten hatte. Bolitho sah nicht nach dem versiegelten Umschlag hin. Die Neuigkeit, die er hatte, würde selbst den blasierten Farquhar überraschen.
Er sagte:»Ich habe das, was Sie mir vorhin anvertraut haben, in meinem offiziellen Logbuch nicht erwähnt, auch nicht in meinem Bericht an den Admiral.»
Er sah, wie Herrick die Schultern sinken ließ.»Aber ich nehme es selbstverständlich zur Kenntnis. «Oben klapperten Blöcke und knarrten Taljen, denn das Schiff rollte schwer unter verringerten Segeln; jede Minute konnten die anderen Kommandanten eintreffen. Dann ging es noch einmal von vorn los. Er sprach weiter:»Ich könnte meinen Stander auf einem anderen Schiff hissen, Thomas. Aber ich habe so etwas schon einmal erlebt und erinnere mich nur zu gut daran, welche Folgen das hatte. Die ganze Besatzung empfand das als einen persönlichen Vorwurf, als ein Mißtrauensvotum des Admirals. Ich hielt das damals für unfair und tue es heute noch.»
Herricks Stimme war heiser.»Ich verstehe. Der Gedanke an mein Versagen und was es bedeutet, ist mir alles andere als angenehm. Aber ich will auch nicht gegen etwas protestieren, das meine Schuld ist. «Hilflos zuckte er die Achseln.»Meine Einstellung zur
Marine und zu Ihnen ist derart, daß ich mich lieber umbringen würde, als Menschenleben und die Interessen meines Landes zu gefährden, um meine Fehler zuzudecken.»
Bolitho sah ihn mitleidig an.»Ich habe nicht die Absicht, Sie Ihres Dienstes zu entheben.»
Herrick fuhr auf.»Warum haben Sie mich dann…»
Bolitho stand rasch auf.»Was hätte ich denn machen sollen? Gilchrist das Kommando übergeben und Sie nach Hause schicken? Oder Sie vielleicht gegen Javal austauschen, obwohl wir bloß eine Fregatte für die ganze Mission haben?«Er blickte zur Seite.»Ich gebe Ihnen die Osiris. Sie ist ein gutes Schiff mit hohem Ausbildungsstand. «Herrick atmete heftig ein, aber Bolitho achtete nicht darauf und fuhr fort:»Sie brauchen sich dann nicht mehr mit Geschwaderangelegenheiten herumzuärgern, sondern können Sich auf Ihr Schiff konzentrieren. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache. Aber Ihnen traue ich zu, mehr als jedem anderen, daß Sie voll und ganz Ihre Pflicht tun.»
Langsam drehte er sich wieder um und sah zu seiner Bestürzung, daß Herrick, genau wie vorher, unnatürlich ruhig war.»Farquhar wird hier vorläufig Ihren Dienst übernehmen, bis.»
Herrick nickte.»Wie Sie befehlen, Sir.»
«Befehlen?«Bolitho trat einen Schritt zu ihm hin.»Glauben Sie, ich mute Ihnen zu, daß Sie Tag für Tag den Offizieren und Mannschaften ins Gesicht sehen müssen, die Sie ausgebildet und befehligt haben, seit Sie auf der Lysander sind? Und daß Sie dabei in jeder Sekunde Angst haben, Sie könnten ihnen auf irgendeine We i-se nicht gerecht werden?«Er schüttelte den Kopf.»Das mache ich nicht. Ebensowenig will ich die Kampfkraft des Geschwaders aufs Spiel setzen, weil Ihre Freundschaft mir kostbar ist.»
Herrick blickte sich in der Kajüte um.»Gut. Ich packe dann meine Sachen und gehe von Bord.»
«Kein Schatten wird auf Sie fallen, Thomas. Dafür sorge ich. Aber lieber sähe ich Sie als Kommandanten einer uralten Brigg, als daß Ihnen an Land das Herz bricht, weil Sie dem einzigen Leben entrissen sind, das Sie lieben und für das Sie so viel geopfert haben.»
Anscheinend war Herrick im Moment etwas verwirrt.»Farquhar!«sagte er.»Den habe ich nie leiden können. Schon als Mids-hipman nicht. «Er wandte sich zur Tür.»Daß es so enden würde, hätte ich nie gedacht.»
Bolitho kam quer durch die Kajüte auf ihn zu und reichte ihm die Hand.»Nicht enden, Thomas!»
Aber Herricks Hände blieben unten.»Wir werden ja sehen, Sir. «Er ging hinaus, ohne sich umzusehen.
Dann kam Allday. Nach kurzem Zögern nahm er den Degen von seinem Gestell und prüfte ihn.
Bolitho setzte sich wieder auf die Fensterbank und sah ihm trübselig dabei zu.
«Käpt'n Herrick geht also von Bord, Sir?«Aber Alldays Augen ruhten auf dem Degen.
«Fangen Sie nicht auch noch mit mir an, Allday!«Aber es klang keineswegs gereizt.»Ich habe die Nase voll für diesen Tag. Für tausend Tage.»
Alldays Augen waren sehr klar in dem reflektierten Licht.»Sie haben das Richtige getan, Sir. «Er lächelte melancholisch.»Ich bin bloß ein einfacher Seemann, und wenn Sie nicht wären, arbeitete ich im Mast und könnte für jede lausige Kleinigkeit ausgepeitscht werden. Aber ich habe meine festen Ansichten über die, denen ich diene und — «, er schien das richtige Wort nicht zu finden — ,»für die ich was übrig habe. «Sorgfältig zog er den alten Degen aus der Scheide und hielt die Klinge in die Sonne, als prüfe er die Schneide.»Käpt'n Herrick ist ein guter Mann. Auf einem anderen Schiff wird er sich schon wieder fangen. «Mit scharfem Klicken stieß er die Klinge wieder hinein.»Und wenn nicht — dann ist das Flaggschiff erst recht nicht der Ort für ihn.»