«Und dann?»
Farquhar zupfte ein Kuvert aus seinem eleganten Rock.»Dem Führer meines Enterkommandos ist es gelungen, diesen Brief aus dem Panzerschrank des Kommandanten zu retten, ehe das Schiff kenterte und sank. Er ist an einen gewissen Yves Gorse adressiert, der anscheinend in Malta wohnt. Dieser Gorse soll Ankermöglichkeiten schaffen. «Er warf den Brief auf den Tisch.»Für normale Handelsschiffe, oder so ähnlich wird es ausgedrückt. Ich nehme an, der Text ist verschlüsselt; aber der Kommandant war ein solcher Dummkopf, daß ich nichts aus ihm herausbringen konnte. Das kleine Geleit kam aus Marseille. Eskorte war eine französische Korvette, nicht weil sie sich irgendwie von uns bedroht fühlten, sondern wegen der Berberpiraten und dergleichen. «Das Wichtigste hob sich Farquhar bis zuletzt auf.»Mein Erster hat etwas herausbekommen, Sir. Ich habe mehrere französische Matrosen für meine Mannschaft gepreßt; und einer von ihnen hat gehört, wie einer der Überlebenden behauptete, dieser Brief sei auf persönlichen Befehl von Admiral Brueys an Bord gebracht worden!»
Überrascht sah Bolitho auf. Brueys war vielleicht der beste und fähigste Admiral der französischen Flotte. Vielleicht sogar aller Flotten.
«Das haben Sie gut gemacht. «Bolitho rieb sich die Hände an den Schenkeln trocken.»Dieser Gorse muß ein Spion oder Agent sein. Vielleicht haben die Franzosen einen Angriff auf Malta vor.»
«Oder auf Sizilien?«überlegte Farquhar stirnrunzelnd.»Bonaparte soll Absichten auf das Königreich haben. Sie sind im Frieden miteinander; aber wahrscheinlich denkt er, daß man sich im Kriege einen Luxus wie Neutralität nicht leisten kann — womit er meiner Ansicht nach recht hat.»
«Mag sein. «Bolitho versuchte, nicht an Herrick zu denken.»Wir segeln möglichst schnell nach Toulon und Marseille. Auf Grund Ihres Fundes können wir uns jetzt ein Bild davon verschaffen, wie weit sie mit ihren Vorbereitungen sind.»
«Und Ihre Prise, Sir«, fragte Farquhar,»was hat sie geladen?»
«Pulver und Munition. Und Futtermittel.»
«Futter?»
«Ja. Mich beunruhigt das auch. Alle Vorbereitungen der Franzosen und Spanier deuten auf einen Angriff großen Stils. Aber Futter? Das sieht nicht nach einem örtlich begrenzten Angriff aus. Mehr nach Kavallerie und schwerer Artillerie mit den nötigen Männern und Pferden.»
Farquhar bekam glänzende Augen.»Dieses Schiff hatte ebenfalls Futter geladen. «Er sah sich in der Kajüte um.»Entschuldigen Sie, Sir — aber sollten wir nicht auf die anderen warten? Es würde Zeit sparen.»
Bolitho wies mit den Augen auf den versiegelten Umschlag.»Das ist für Sie, Captain Farquhar. «Er trat ans Fenster und sah auf die anderen Schiffe hinaus. In seinem Rücken hörte er das Kratzen des Federmessers, mit dem Farquhar das Kuvert aufschnitt. Nach ein paar Sekunden sagte dieser:»Das überrascht mich sehr. «Aber sein Ton war seelenruhig.
Bolitho wandte sich um und musterte ihn nachdenklich.»Es war eine schwere Entscheidung.»
«Und Captain Herrick, Sir?«Farquhars Gesicht war wie eine Maske.»Ist er krank?»
«Nein«, erwiderte Bolitho kurz.»Treffen Sie sofort alle notwendigen Arrangements. Das Geschwader soll noch vor Sonnenuntergang wieder Segel setzen.»
Farquhar, den Brief in der Hand, sah Bolitho immer noch an.»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Sir.»
Bolitho nickte nur.»Sie sind offensichtlich der Meinung, daß ich die richtige Entscheidung getroffen habe.»
Farquhar hatte auch blaue Augen wie Herrick, aber in dem schwachen Licht von See her wirkten sie kalt wie Eis.»Nun, Sir, da Sie mich fragen — jawohl.»
«Dann sorgen Sie dafür, daß man es auch im Geschwader merkt«, erwiderte Bolitho unbewegt.»Captain Herrick ist ein ausgezeichneter Offizier.»
Wieder dieses leichte Heben der Brauen.»Aber?»
«Kein Aber, Captain Farquhar. Ich will, daß er sich auf einem gut ausgebildeten Schiff, wo er bisher keine privaten Kontakte hat, seiner Kraft bewußt wird. Er wird vollauf zu tun bekommen. Das sollte ihm guttun — und dem Geschwader auch.»
Farquhar lächelte.»Mein Erster Offizier wird sehr überrascht sein. Auch ihm wird das guttun.»
«Der Erste Offizier dieses Schiffes ist Mr. Gilchrist. Ich schlage vor, Sie machen unverzüglich seine Bekanntschaft.»
Bolitho hatte irgendeine Reaktion erwartet, aber Farquhar sagte lediglich:»Gilchrist? Kenne ich nicht. Aber schließlich muß man ja solche Leute auch nicht kennen.»
«Ich würde es begrüßen«, sagte Bolitho,»wenn Sie Ihre persönlichen Abneigungen beiseite ließen.»
Farquhar stand auf.»Selbstverständlich, Sir. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nie etwas gegen Captain Herrick hatte, obschon mir seine feindselige Haltung mir gegenüber durchaus bekannt ist. «Er lächelte sein dünnlippiges Lächeln.»Keine Ahnung, warum er mich nicht mag.»
Bolitho sah Ozzard an der Tür stehen.»Bitten Sie die anderen Kommandanten herein, Ozzard«, sagte er.»Und dann können Sie Wein bringen. «Es sollte so beiläufig klingen, als stünde er über allem.
Ozzard, mit einem scheuen Blick auf Farquhar, deutete einen Bückling an.»Aye, aye, Sir.»
Bolitho trat auf die Galerie und starrte auf die Wellen hinaus, die wie kleine, weißbemähnte Pferde von der Kimm herangesprungen kamen. Jedes Bruchstück einer Information, jedes noch so fadenscheinige Gerücht führte das Geschwader immer tiefer in das Mittelmeer hinein. Und immer war es seine Entscheidung. Ein Brief, der ihm in die Hände gefallen war, hatte ihn in eine Bucht geführt;
dort mußten Männer sterben, und Schiffe wurden vernichtet. Jetzt ging es durch Farquhars Zufallsfund noch weiter nach Nordosten, zu den Häfen der französischen Flotte. Stücke eines Puzzlespiels lagen auf der einen Seite, die Seekarte und das gnadenlos rinnende Stundenglas auf der anderen.
Die Tür ging auf, Bolitho wandte sich um und sah Herrick mit Probyn eintreten. Er wartete, bis sie Platz genommen hatten, und winkte dann Ozzard zum Weinschrank.
In diesem Moment klopfte es; Gilchrist steckte den Kopf herein und blickte sich suchend um. Er sah Herrick und sagte:»Entschuldigen Sie die Störung, Sir, aber ich möchte den Flaggkapitän sprechen. «Doch er fuhr überrascht herum, denn es war Farquhar, der ihm antwortete: «Ich bin der Flaggkapitän, Mr. Gilchrist. Ich darf Sie bitten, das nicht zu vergessen!«Eine peinliche Stille trat ein, und Farquhar fuhr fort:»Ich darf Sie außerdem bitten, die Räume des Kommodore nicht ohne meine Erlaubnis zu betreten!»
Die Tür fiel zu, Farquhar beugte sich vor und betrachtete den Weinschrank. Seine Stimme war wieder völlig normal.»Ein schönes Stück, Sir. Ich kenne die Arbeiten dieses Tischlers gut.»
Bolitho sah zu Herrick hinüber; doch den konnte er bereits nicht mehr erreichen.
IX Wein und Käse
Captain Charles Farquhar schritt nach achtern, um Bolitho, der an Deck gekommen war, zu begrüßen. Obwohl er ohne Rock und Hut war, schaffte er es doch, so elegant wie immer zu wirken; sein gefälteltes Hemd sah aus wie frisch gewaschen.»Kurs Ostnordost, Sir«, meldete er dienstlich.
Bolitho nickte und schaute zu seinem breiten Stander und den Rahen empor. Der Wind war in der Nacht leicht ausgeschossen,[19] und es gab Anzeichen, daß er abflaute.
Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es über die Backbordnetze. Es war, als stünde die Umgebung fest, und die Segel täten nur so, als bewegten sie das Schiff. Und doch war es schon drei mühselige Wochen her, seit er zugesehen hatte, wie
Herrick sich zur Osiris hinüberrudern ließ; zwei dieser Wochen hatten sie hier vor diesem Küstenstrich verbracht. Er studierte das nun schon vertraute haifischblaue Stück Land. Es war so irritierend, sich klarzumachen, daß eben da drüben der geschäftige Hafen von Toulon und hinter seinen schützenden Mauern die Antwort auf seine Spekulationen und Zweifel lag.