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«Nicht einmal eine Spur von einem Segel«, brummte Farquhar,»hol sie der Teufel!»

Bolitho legte das Glas wieder zurück und überschaute das Hauptdeck der Lysander. Die Vormittagswache hatte begonnen. Eine Wache wie die vorigen auch. Überall auf dem Deck und hoch oben waren Männer am Werk, spleißten, malten, teerten das stehende Gut, kontrollierten hunderterlei Geschirr auf Fehler und Abnutzung.

Es war beinahe unheimlich, daß der Golfe du Lyon so leer war. Wie zum Hohn. Die Franzosen mußten wissen, daß ein feindliches Geschwader in ihren Gewässern operierte. Jedes Fischerboot konnte es gesichtet und die Nachricht an die nächste Küstengarnison weitergegeben haben. Vielleicht hatten die Franzosen zuviel zu tun, oder sie hatten gar nichts dagegen, daß die Briten lahm hin und her kreuzten, Proviant und Material verbrauchten und nichts damit erreichten.

«Wir müssen uns sehr bald neue Informationen verschaffen oder noch dichter unter Land gehen. «Gelassen erwiderte Farquhar:»Mehr Fregatten sollten wir haben,

Sir.»

Fast wäre Bolitho ihm ärgerlich über den Mund gefahren. Aber Farquhar konnte ja nichts dafür. Bei jeder Mission gab es anscheinend zu wenig Fregatten, doch ohne die war man praktisch blind.

Er spähte nach achtern, wo die große Breitfock der Osiris in dem unsteten Wind abwechselnd voll und wieder leer wurde, als atme das Schiff keuchend. Sie lag eine Meile zurück, und hinter ihr in Lee war die Prise Segura gerade noch zu sehen. Wie mochte Pro-byn wohl mit seiner Patrouille zu den kleinen Inseln östlich von Toulon, welche die Einfahrt schützten, vorankommen? Er hatte Javals Buzzard mit; das restliche Geschwader mußte sich mit der Schaluppe begnügen. Bolitho konnte knapp die gelblichen Marssegel der Harebell ausmachen, die wie Muschelschalen vor der französischen Küste standen. Inch wußte bestimmt, wie wichtig er war. Hoffentlich war er nicht so übereifrig, daß er zu dicht unter Land ging. Dort konnte der Wind ausbleiben oder eine gut plazierte Küstenbatterie ihn erwischen.

Bolitho wandte sich wieder der Osiris zu. Drei Wochen — und jeden Tag hatte er an Herrick denken müssen. Farquhar folgte seinem Blick und sagte:»Sie segelt gut.»

Nur eine beiläufige Bemerkung, aber typisch für diesen eleganten Kapitän. Ganz gleich, wie lange er auf einem Schiff gesegelt war oder welch dramatische Dinge er darauf erlebt hatte — war er erst einmal von Bord, hatte er auch innere Distanz zu dem Schiff. Er war ohne jede Sentimentalität, ihn interessierte nur die Gegenwart und die Zukunft, die aus ihr erwachsen mochte.

Nichtsdestoweniger mußte Bolitho zugeben, daß Farquhars Tüchtigkeit sich im gesamten Schiff auswirkte. Geschützexerzieren mit Wettbewerben zwischen den einzelnen Batterien und Decks hatte die Zeit für Nachladen und Feuern um Minuten reduziert.

Obwohl Farquhar immer genügend Muße für seine Zerstreuung zu haben schien, war er niemals weit weg, wenn er gebraucht wurde. Und seine Offiziere, von Gilchrist bis zu Midshipman Saxby, hatten gelernt, das zur Kenntnis zu nehmen.

Farquhar hatte immer in dem Ruf gestanden, ein harter Mann zu sein. Doch bis jetzt hatte er sich noch nie als Tyrann gezeigt. Gleich nachdem er das Schiff auf Kurs gebracht hatte, sah er innerhalb weniger Stunden sämtliche Schiffsbücher durch, von der Musterrolle und dem Strafbuch bis zu den Listen über die Vorräte an Leinwand und Öl.

Das war eine neue Seite am Charakter Farquhars, und Bolitho kam, als der Mann, der er nun einmal war, gar nicht auf den Gedanken, daß Farquhar diese Dinge von ihm selbst gelernt hatte; jetzt trugen frühere Zeiten ihre Früchte.

Drüben auf der Leeseite des Achterdecks stolzierte Leutnant Fitz-Clarence geschäftig auf und ab. Das war auch so eine Geschichte. Farquhar hatte den Zweiten Offizier von dem langweiligen Dienst auf der eroberten Segura abgelöst und statt seiner einen Steuermannsmaaten hinübergeschickt, was durchaus richtig war. Und sooft das Wetter es erlaubte, hatte er den Prisenkommandanten ausgewechselt. Midshipmen, Unteroffiziere, sogar Gilchrist (den das mächtig ärgerte) hatten die Segura kommandiert. Das war vernünftig, dabei blieben sie in Form. Aber Farquhar hatte Bolitho nicht etwa um Erlaubnis gefragt. Dergleichen betrachtete er als sein gutes Recht; dafür war er Flaggkapitän.

Er hatte sogar die Anzahl, wenn auch nicht die Strenge der Strafen gemindert, überprüfte jeden Fall persönlich, und wenn der unglückliche Matrose nur etwas verbrochen hatte, weil es über sein Verständnis ging, weil sein Vorgesetzter ungenaue Befehle gegeben oder sonst nicht aufgepaßt hatte, war die Sache für ihn erledigt. Im letzteren Falle verpaßte er sogar dem Ankläger kräftigen Extradienst, damit er sich das nächste Mal vorsah. Lag aber andererseits ein echtes Verschulden vor, dann verhängte Farquhar härtere Strafen, als Herrick jemals zugelassen hätte. Das war anscheinend sein einziger wirklicher Fehler.

Farquhar sagte unvermittelt:»Wir werden in Kürze entweder ohne Harebell oder ohne Buzzard auskommen müssen, Sir.»

«Ja.»

Langsam schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Der Teer in den Ritzen der Planken klebte an seinen Sohlen; die Hitze, vom Schanzkleid zurückgeworfen, fiel ihn an. Und es war noch nicht einmal neun Uhr morgens. Jeden Tag wurde es heißer, es war kaum noch auszuhalten.

Farquhar hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Die Entscheidung ließ sich nicht länger hinausschieben. Bolitho mußte dem Admiral einen Bericht schicken, über seine Einschätzung der Stärke und Absichten des Feindes. Doch sobald er eins der Schiffe dazu abgestellt hatte, die er andererseits zum Rekognoszieren notwendig brauchte, waren ihm die Hände gebunden. Aber das war unwichtig zum Vergleich zu den Folgen, wenn der Admiral aus Mangel an Information die Lage falsch beurteilte.

Wenn es Inch nur geschafft hätte, die spanische Brigg zu kapern, ehe die beiden französischen Schiffe ihn verjagten! Dann hätte er die zum Admiral schicken können.

Bolitho blieb stehen und beschattete die Augen mit der Hand, um nach der Prise Ausschau zu halten. Sie war zu langsam und zu verwundbar. Aber vielleicht konnte man sie zu irgendeinem Täuschungsmanöver gebrauchen. Und auch mit ihrer Ladung war vielleicht etwas zu machen: eine Bestechung zum Beispiel.

Stahl klirrte auf Stahl. Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die wachfreien Midshipmen unter Pascoes Anleitung mit Degen und Entersäbel übten.

Farquhar sah ihn von der Seite an.»Ich dachte, das wäre etwas für Mr. Pascoe, Sir. «Aus seinem Ton ließ sich nicht heraushören, was er wirklich dabei dachte.»Er hat sein Können bereits an einem meiner früheren Leutnants bewiesen. Er hat ein gutes Auge. «Dabei lächelte er flüchtig.

Pascoe hatte hinter zwei Midshipmen, die alle paarweise gegeneinander fochten, Aufstellung genommen, machte ihre Schritte mit und brachte Korrekturen an. Ihre Gesichter waren rot vor Anstrengung; offensichtlich hatten sie gemerkt, daß Kommodore und Kommandant ihnen zusahen.

Kling-klang-kling — schlugen die Waffen ihren Stakkatorhyth-mus. In einem wirklichen Gefecht ist das ganz anders, dachte Bo-litho grimmig. Da ist man wild und will nur seinen Mann niederhauen, ehe der einen auf die Planken streckt.

Unter der Backbordlaufbrücke tauchte Gilchrist auf.»Das muß aber viel besser werden, Mr. Pascoe!»

Farquhar, neben Bolitho, versteifte sich.»Was juckt denn diesen verdammten Kerl?»

Fitz-Clarence marschierte ostentativ an der Leeseite entlang, um Gilchrist anzudeuten, daß er nicht allein war.