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Schwer legte sich die Lysander auf die Seite, der Anker kam aus dem Wasser, der Wind füllte bereits die Marssegel; langsam drehte sie durch die kabbelige See.

«An die Brassen!»

Nackte Füße schlidderten über die nassen Planken; vom Ankerspill rannten Männer herbei.

Eins nach dem anderen, wie mächtige Tiere, gingen die drei Linienschiffe vor den Wind; weiter draußen setzten die Fregatte Buz-zard und Inchs Schaluppe bereits mehr Segel, um sich von den großen Schiffen freizuhalten.

Ein» Starter«, der kurze Tampen eines Maaten, klatschte auf einen nackten Rücken, und der Mann schrie auf. Hoch über Deck wetteiferten die Toppsgasten miteinander, um die anderen Schiffe des Geschwaders zu übertreffen.»Setzen Sie die Breitfock, Mr. Gilchrist!«befahl Herrick.»Und sagen Sie diesem Bootsmannsmaaten, er soll sparsamer mit seinem Tampen umgehen!»

Bolitho ging auf die andere Seite, wo soeben die Osiris das Kielwasser der Mcator kreuzte. Sie bot einen schönen Anblick mit ihren steif und voll stehenden Marssegeln, unter denen sie so stark überholte, daß die Bugsee beinahe über die unteren Stückpforten wusch. Fock und Großsegel schlugen einmal und füllten sich dann; hart glänzten sie im Sonnenlicht wie Silber.

«Die Nicator fällt zurück«, sagte Bolitho.»Signalisieren Sie ihr, mehr Segel zu setzen!»

Vielleicht hatte Kapitän Probyn so viel zu tun, daß er nicht merkte, wie sein Schiff bereits aus der Formation der Vierundsiebziger ausbrach. Es konnte aber auch sein, daß er testen wollte, ob sein Kommodore ein gutes Auge hatte und schnell in die Schiffsführung eingriff.

«Nicator bestätigt, Sir!«rief der Signalgast.

Probyns Leute setzten bereits das Vorbramsegel. Das ging fast zu schnell, fand Bolitho. Probyn hatte ihn also testen wollen.

Grubb sah nach oben in die Takelage, dann auf den Kompaß und nach seinen Rudergasten, ohne daß sich ein Muskel seines Gesichts bewegte. Nur die Augen huschten auf und nieder, nach vorn und nach achtern, wie zwei Leuchtfeuer auf einer verwitterten roten Steilküste.

Nach einer knappen Stunde war das Geschwader klar von den Ansteuerungstonnen, und die drei Linienschiffe boten unter etwas reduzierter Leinwand einen stolzen Anblick, als sie von Land we g-strebten. In Lee kreuzten Buzzard und Harebell hastig unter vollen Segeln, deren bleiche Pyramiden bereits im Dunst verschwammen, um ihre Stationen weit vor dem Geschwader einzunehmen.

«Also gut, Mr. Grubb«, rief Herrick,»Kurs Ostsüdost. «Dann kam er zu den Netzen hinüber, wo Bolitho stand, einen Fuß auf die Lafette eines Achterdeck-Neunpfünders gestützt.

Leise lächelnd blickte Bolitho ihm entgegen.»Na, Thomas, wie fühlen Sie sich?»

Die Falten in Herricks Gesicht glätteten sich etwas. Als ob eine Wolke abzieht, dachte Bolitho.

«Besser, Sir«, antwortete Herrick und atmete tief aus.»Ein ganzes Ende besser!»

Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und sah zum Land hinüber. Wahrscheinlich ritten schon in dieser Minute Kuriere in gestrecktem Galopp über die Küstenstraßen. Aber es hätte keinen Sinn gehabt, wie Strauchdiebe im Schutz der Dunkelheit durch die Straße von Gibraltar zu schleichen. Zwar hatte er seine Befehle, doch der Earl of St. Vincent hatte ihm auch klargemacht, daß es seine Sache war, wie er sie interpretierte und ausführte. Es konnte gar nichts schaden, wenn der Feind wußte, daß wieder ein starker britischer Verband ins Mittelmeer segelte. Bolitho blickte zum Großmasttopp hinauf, zu dem langen, gespaltenen Wimpel, der jetzt steif wie ein Brett im steten Wind stand. Seine Flagge. Dann ließ er den Blick über das von Menschen wimmelnde Deck schwe ifen, über die emsigen Matrosen, die in großen Duchten aufgeschossenen Taue, die dem Binnenländer wie ein hoffnungsloses Gewirr vorkommen mußten. Und dann weiter vor zum Klüverbaum, unter dem er gerade noch eine der breiten Schultern des spartanischen Heerführers sehen konnte. Inchs Schaluppe, ihre ganze Vorhut, war nur noch ein we ißes Federchen an der dunstigen Kimm. Bolitho lächelte in sich hinein. Genauso hatte auch er damals mit seinem ersten Schiff operiert, in der Chesapeake Bay. Doch nun: ein anderes Schiff — ein anderer Krieg.[6]

«Irgendwelche Instruktionen, Sir?«fragte Herrick. Drüben an der Leereling stand Pascoe, eine Hand in die Hüfte gestützt, und sah zu ihnen herüber.

«Es ist Ihr Schiff, Thomas. Was haben Sie vor?»

Herrick versuchte, sich etwas zu lockern.»Ich würde gern Geschützexerzieren ansetzen. Mit der Segelausbildung bin ich soweit zufrieden.»

«Also bitte«, lächelte Bolitho. Da sich Gilchrist in der Nähe herumdrückte, sagte er abschließend:»Ich bin in meiner Kajüte.»

Unterwegs, beim Kompaß, hörte er Gilchrists kalte Meldung an den Kommandanten:»Zwei Mann zur Bestrafung, Sir. Nachlässigkeit im Dienst und Frechheit gegenüber einem Bootsmannsmaaten.»

Bolitho hielt inne. Eine Auspeitschung schon zu Beginn der Reise — das wäre auch unter normalen Umständen ein schlechter Anfang gewesen. Hier bei dem kleinen Geschwader, in feindlichen Gewässern, wo beinahe jedes auftauchende Segel ein Franzose oder Spanier sein mußte, vertrug es sich um so schlechter mit seiner heiklen Mission. Herrick sagte etwas zu Gilchrist, das Bolitho nicht verstand, aber der Leutnant erwiderte rasch: «Mir genügt seine Aussage, Sir.»

Bolitho schritt nach achtern unter die dicken Decksbalken. Er durfte sich nicht einmischen.

Am Abend des zweiten Tages auf See gab es nach dem zunächst schnellen Start zur Reise in den Golfe du Lyon einen Rückschlag. Unberechenbar wie immer, flaute der Wind zu einer schwachen Brise ab, so daß die Lysander auch unter Vollzeug nur knapp drei Knoten schaffte.

Das Geschwader segelte nicht mehr in seiner ursprünglichen Formation, sondern war zerstreut; und alle drei Zweidecker schlichen über ihrem eigenen Spiegelbild langsam und lustlos dahin.

Bolitho hatte die Fregatte losgeschickt, um weit voraus zu rekognoszieren; nun, bei seinem ruhelosen Auf- und Abgehen auf der Kampanje, war er froh, daß er wenigstens diese kleine Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatte. Der Kommandant, Kapitän Javal, würde so den Landwind hoffentlich mit einigem Erfolg ausnutzen können.

Trotz seiner Ungeduld mußte Bolitho lächeln. Er selbst und auch Farquhar waren im Herzen immer noch Fregattenkapitäne; der Gedanke an Javals Unabhängigkeit, das Operieren außer Reichwe i-te jedes Signals, mußte den Neid eines Kommandanten erregen, der an einen gewichtigen Vierundsiebziger gebunden war.

Er hörte, daß Herrick mit seinem Ersten sprach, und dabei fiel ihm die Auspeitschung des Vortags wieder ein. Das wohlbekannte, gräßliche Ritual der körperlichen Züchtigung hatte bei der versammelten Mannschaft keine sonderliche Aufregung verursacht. Doch als Bolitho auf der Kampanje dem Verlesen der Kriegsartikel durch Herrick beiwohnte, hatte er so etwas wie Triumph auf Gilchrists schmalem Gesicht beobachtet. Er hatte eigentlich erwartet, daß Herrick Gilchrist beiseite nahm und ihn auf die Gefahren überflüssiger Bestrafungen hinwies. Gedankenlose Härte konnte Folgen haben, die schlimmer waren als eine unabsichtliche Disziplinlosigkeit. Die Meutereien vor Spithead und bei der Themseflotte hätten eigentlich genügend Warnung sogar für einen Blinden sein sollen. Doch als Bolitho auf das Achterdeck hinuntersah, konnte er an der Unterhaltung der beiden nichts ablesen. Sie sprachen ganz normal miteinander; dann tippte Gilchrist an den Hut und ging weiter nach Luv. Er hatte einen merkwürdig hüpfenden Gang, bei dem seine Sohlen laut auf die Planken schlugen.

Nach kurzer Überlegung stieg Bolitho leichtfüßig die Stufen hinunter und trat neben Herrick an die Luvnetze.»Ein Schnek-kentempo«, sagte er.»Der Himmel möge uns den Wind wiederfinden lassen.»

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6

siehe Kent: Zerfetzte Flaggen