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»Ja.«

»Sie haben gedacht: Ich kenne sie, wie sie lustig in der Apotheke stand. Mein Gott, was ist aus ihr geworden! - Nicht wahr, das haben Sie gedacht.«

»Nein.«

»Ich weiß, daß Lügen barmherzig sein können -«

»Ich habe an etwas anderes denken müssen.«

»Und an was?«

»Ich habe gedacht: Warum versucht man nicht alles, wenigstens ein Auge zum Sehen zu bringen?!«

»Wir haben alles getan. Zuletzt in Münster. Immer mißlang es. Jetzt haben wir resigniert. Und ehrlich: Ich habe mich damit abgefunden. Man soll nicht auf Unmögliches hoffen. Es gibt keine Wunder mehr -«

»Mir ist, als ich Sie ansah, etwas eingefallen.« Robert Sanden sah auf die träge ziehenden, geballten Wolken. Sie verdeckten jetzt die Sonne, aber Lichtbündel stachen von allen Seiten aus ihnen hervor, goldene, gleißende Strahlenkränze. »Irgendwo habe ich einen Artikel gelesen über solche Hornhautoperationen. Es gibt da einen Chirurgen, der eine ganze Erfolgsserie vorweisen kann. In Italien war es, glaube ich. Es stand in einer Zeitung -«

»In der Zeitung!« Luise Dahlmann lächelte. »Lieber Herr Sanden . wie oft steht in den Zeitungen: Mittel gegen Krebs gefunden! Man weiß jetzt, wie Krebs entsteht! - Und was ist dahinter? Nichts! Es gibt noch kein Allheilmittel gegen den Krebs, und man weiß auch noch nicht, wie er entsteht. Nur falsche Hoffnungen werden erzeugt ... und das ist gefährlich! Mit Ihren Hornhautoperationen wird es nicht anders sein -«

»Es war ein Bericht, ein ernsthafter Bericht. Warten Sie mal . ich muß mich erinnern.« Robert Sanden schloß die Augen und dachte angestrengt nach. Der Artikel hatte vor gar nicht langer Zeit in der Zeitung gestanden, und er hatte ihn mit Interesse gelesen, weil es immer hieß, daß die viele Arbeit unter den starken Bühnenscheinwerfern den Augen auf die Dauer schadet. »Ein Professor in Italien war es.«, sagte Sanden langsam. »Ja, in Italien. Ich glaube, in Padua oder Bologna, aber irgendwo in dieser Ecke. Er hatte einen ganz kurzen Namen . ich komme nur nicht mehr darauf. Es stand sogar in dem Artikel, daß bei ihm die Erfolgschancen bei 95 Prozent liegen.«

»Ich gehöre zu den restlichen fünf Prozent.«

»Man sollte es versuchen. Ich werde sehen, ob ich den Artikel irgendwo bekomme. Ich werde nachher alle Zeitungen ablaufen und in den alten Ausgaben blättern. Ich werde den Artikel finden. Wo kann ich Sie morgen treffen, Frau Dahlmann?«

»Wenn es schön ist, wieder hier auf der Bank ... wenn es regnet, sitze ich meistens zu Hause. Meine Schwester oder Fräulein Plesch-ke werden Sie zu mir führen.«

»Ich werde sofort die Suche nach dem Artikel aufnehmen.« Robert Sanden sprang auf. Luise faßte seinen Rockärmel und hielt ihn fest. Sie krallte sich in den Stoff, und plötzlich war ihr Gesicht wie aufgelöst. Die erloschenen Augen starrten Sanden mit einer schrecklichen Leere an.

»Ist ... ist dieser Artikel wirklich nicht nur eine der üblichen Übertreibungen, um die Zeilen zu füllen -?«

»Diesen Eindruck hatte ich nicht.«

»Sie glauben, daß dieser Professor in Italien mir eine Chance gibt?«

»Bestimmt.«

»Sie wollen mich nicht nur trösten . weil . weil ich Ihnen leid tue?«

»Nein.« Robert Sanden schluckte. Er war versucht, die Hand auszustrecken und ihr über das schöne braune Haar zu streicheln. »Mitleid hilft Ihnen nicht mehr . es wäre dumm, sich damit abzufinden. Sagen wir: Morgen um die gleiche Zeit - hier oder bei Ihnen zu Hause?«

Sanden zögerte einen Augenblick, dann ergriff er Luise Dahlmanns Hand, führte sie zu den Lippen und küßte sie. Ihre nächsten Worte hörte er schon nicht mehr ... er lief davon, als habe er etwas Unrechtes getan.

»Jetzt habe ich wieder Hoffnung«, hatte Luise gesagt. Sie wußte nicht, ob es Sanden noch hörte, aber Fräulein Pleschke, die endlich mit dem Eis zurückkam, hörte, wie sie leise sagte: »Mein Gott ... wenn er mir helfen könnte.«

Kapitel 8

Am Abend saßen sie allein im Wohnzimmer und hörten im Fernsehen eine Oper. Monika war hinauf in ihr Atelier gegangen, um einige Entwürfe fertig zu machen. Dahlmann hatte sie an der Tür geküßt und ihr ins Ohr geflüstert: »Ich bringe sie früh ins Bett und komme dann zu dir hinauf. Soll ich eine Flasche Sekt mitbringen?« Monika hatte stumm genickt und war davongelaufen.

Nun saß Ernst Dahlmann neben seiner Frau und hatte die Zusammenstellung der Gewinnberechnung des letzten halben Jahres vor sich. Was Luise nicht wußte, und was man ihr auch verschwieg, war ein Bauvorhaben, das Dahlmann begonnen hatte . ein siebenstöckiges Appartement-Wohnhaus, eine Straße weiter neben der Apotheke. Der Bau lief auf seinen Namen und wurde mit dem Geld finanziert, das er aus der Apotheke zog, die in weiser Voraussicht des alten Horten bei seinem Tod als Alleinbesitz Luise überschrieben worden war, nachdem er noch vor der Hochzeit mit Dahlmann eine strenge Gütertrennung durchgesetzt hatte. Die Einnahmezahlen, die Dahlmann jede Woche Luise vorlas, waren bereits um die Beträge gekürzt, die er für sich heimlich abzweigte. »Die Leute werden immer gesünder«, sagte er einmal lachend, als Luise meinte, die Einnahmen ließen aber nach. »Uns fehlen wieder ein paar Seuchen. Von Schlaftabletten und Stärkungsmitteln allein raucht kein Schornstein.«

Dieser heimliche Bau wuchs nun aus der Erde; es ging schnell in der modernen Betonschalenbauweise, Etage wurde auf Etage gesetzt, so, wie man früher als Kind mit den Holzklötzchen Häuser baute.

»Wenn das Haus fertig ist, werden wir 42 Appartements vermieten können«, sagte Dahlmann einmal zu Monika und erklärte ihr den Bauplan. »Dann bin ich unabhängig von Luise, und wir werden mit eigenem Geld ein herrliches Leben führen können, du und ich.«

Während die Oper ablief und Luise lauschend im Sessel saß, rechnete Dahlmann wieder durch, wieviel er für seinen Hausbau abzweigen konnte. Die Zahlen, die er vorhin genannt hatte, befriedigten

Luise ... sie wußte nicht, daß der Umsatz fast doppelt so hoch gewesen war und die neu angegliederte kosmetische Abteilung einen großen Gewinn abgeworfen hatte. Erschreckt fuhr Dahlmann deshalb hoch, als Luise ihn an der Schulter griff und zu sich hinüberzog.

»Ernst -«

»Was ist, Luiserl?«

»Ich habe mir etwas überlegt -«

»Bitte.«

»Ob es nicht doch noch eine Chance gibt, daß ich wieder sehen kann?«

Ernst Dahlmann sah seine Frau kritisch an. Ihr Gesicht war ruhig. Dieser Dr. Ronnefeld hat wieder dumm geredet, dachte er. Seit Monaten bohrt er wieder, es erneut mit einer Operation zu versuchen. Es wird so weit kommen, daß man ihn aus dem Hause werfen muß, wenn er den Frieden mit seinem ewigen Hoffnungmachen stört.

»Wir haben alles versucht, Luiserl«, sagte Dahlmann freundlich. »Ich habe dir doch alles vorgelesen ... die Briefe aus London, New York, Paris, Stockholm und sogar Tokio. Ich habe alles getan, was man tun kann.«

»Ich weiß, Ernst.« Sie legte ihre Hand begütigend auf seinen Arm. Es stimmte. Dahlmann hatte ihr alle Briefe vorgelesen, die er von den besten Augenchirurgen aus aller Welt bekommen hatte . nur waren diese Briefe nie geschrieben worden. Dahlmann las ihr Schreiben vor, die er selbst aufgesetzt hatte. Sie glaubte ihm alles, und mit jedem Brief, den er vorlas, wurde in ihr die Gewißheit stärker, daß ihre Blindheit unabänderlich war. »Du glaubst also nicht, daß es Zweck hätte, es noch einmal zu versuchen?«

»Ich bin strikt dagegen.« Dahlmanns Stimme war hart. »Es wird für dich wieder eine Qual sein, eine große seelische Belastung, um so mehr, wenn die Operation wieder mißlingt. Noch hast du deine Augen . willst du sie durch das sinnlose Experimentieren ganz verlieren? Ich werfe jeden hinaus, der mir noch ein Wort von Operation sagt . du sollst endlich deine Ruhe haben!«

Luise Dahlmann nickte und schwieg. Sie wandte sich wieder der Musik zu und lauschte mit geneigtem Kopf der Oper, als habe das Gespräch nicht stattgefunden. Dahlmann sah sie mit gerunzelter Stirn an. Sie darf nicht wieder sehen, dachte er. Jetzt nicht mehr! Hundert Meter weiter wächst ein Haus aus dem Boden, oben unter dem Dach wartet Moni auf mich, in ein paar Monaten werde ich so weit sein, daß sie mir die Apotheke überschreibt - ich habe da schon einen Plan -, sie wird hier sitzen und glücklich sein in ihrer Dunkelheit, und wir werden glücklich sein unter der Sonne, Moni und ich. Nein! Sie darf nie wieder sehen ... unser Schicksal hat jetzt seinen Lauf genommen -