»Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Dr. Kutscher fast gleichgültig.
»Darum komme ich ja zu Ihnen, Doktor!«
»Wie ich richtig vermute, soll das aber alles geschehen, ohne daß
Ihre Frau merkt, daß sie entmachtet wird.«
»Ja.«
»Sehen Sie, und da wird es utopisch. Man kann keinen in den Hintern treten, ohne daß er es merkt. Erklären wir Ihre Gattin aufgrund ihrer Blindheit, die zudem noch als endgültig bescheinigt werden muß, für nicht mehr geschäftsfähig, dann merkt sie, wie der Hase läuft. Noch schlimmer ist es, wenn Sie daran denken, sie entmündigen zu lassen ... denn dann müßten wir ihr nachweisen, daß sie neben der Blindheit noch bösartig oder wahnsinnig oder trübsinnig oder verschwenderisch ist, alles Dinge, die ausschalten und einen Riesenskandal entfesseln. Was bleibt, ist eine gütige Einigung zwischen Eheleuten.«
»Das ist unmöglich. Alle Versuche in dieser Richtung schlugen bisher fehl. Sosehr meine Frau und ich miteinander verbunden sind und wir uns lieben ... beim Letzten Willen ihres Vaters hört es auf. Ja, sie sagt sogar: >Wir sollten ein Kind haben ... dann würde ja alles ihm gehören, wie es Vater gewollt hat.<«
»Na und? Warum beweisen Sie nicht väterliche Qualitäten?!«
»Ich bin der Ansicht, daß wir über dieses Alter hinaus sind, noch ein Kind großzuziehen.«
»Dummheit, mein Lieber. Ich habe einen Klienten, der ist mit 78 Jahren noch unehelicher Vater geworden! Machen Sie doch aus sich keinen biologischen Zwerg!«
»Es ist schwer, Ihnen ohne Ausfälle zuzuhören«, seufzte Dahlmann. »Denken Sie doch mal reaclass="underline" Welche Möglichkeiten schließen sich auf, durch die Blindheit meiner Frau die Geschäftsführung an mich zu übertragen?!«
»Eine Einsicht Ihrer Gattin, weiter nichts. Ich werde mit ihr sprechen, wenn sie aus Montreux zurückkommt. Ich werde auf sie einsprechen wie der Verführer auf eine Jungfrau. Vielleicht sieht sie es ein.«
»Und wenn nicht?«
»Dann heißt es weitermachen wie bisher . oder es kommt zu unschönen Szenen, an denen die eheliche Gemeinschaft scheitern kann.«
»Was halten Sie von einer Einweisung in ein Sanatorium?«
Dr. Kutscher zog die Augenbrauen hoch, die einzige Regung auf diesen Vorschlag. Du bist mir ja ein glatter Lump, dachte er. Ein aalglatter Scheißkerl, der über Leichen geht. Das hätte ich nicht von dir gedacht ... aber so ist es: Hinter den schönen Fassaden stinkt es oft nach Kloake.
»Wenn Sie nachweisen', daß Ihre Gattin einen Nervenknack hat ... daß sie, sagen wir, manisch-depressiv ist oder unter schizophrenen Komplexen leidet, unter Halluzinationen, unter Psychosen ... aber das dürfte schwer sein, mein Bester. Soviel ich Ihre Gattin kenne, ist sie kerngesund ... bis auf das verlorene Augenlicht.« Dr. Kutscher hob die Schultern. »Wie gesagt... ich komme auf mein erstes Wort zurück, das Nein lautete. Ich weiß Ihnen da keinen Rat zu geben. Der Vorteil ist, daß ich deshalb auch kein Honorar verlange -«
»Und wenn ich nachweisen kann, daß meine Frau psychisch nicht mehr gesund ist?« fragte Dahlmann heiser. Dr. Kutscher sah ihn mit großen Augen, ehrlich verblüfft an.
»Ja ... dann - aber ich weiß nicht, wie Sie -«
»Warten Sie ab, Doktor.« Dahlmann legte die halbgerauchte Virginia in den großen Aschenbecher und erhob sich wie erlöst. »Machen Sie sich schon Gedanken darüber, was in einem solchen Falle zu tun ist. In zwei Monaten etwa kommt meine Frau zurück ... ich nehme an, daß Ende des Jahres die ersten Anträge gestellt werden können -«
Dr. Kutscher verzichtete darauf, seinen Klienten Dahlmann bis an die Tür seines Büros zu bringen, wie er es sonst mit allen seinen Klienten tat. Er blieb sitzen und kratzte sich das Kinn.
Welch eine Sauerei hat er da vor, dachte er. Verdammt, man sollte die Frau vor ihm warnen. Aber die Schweigepflicht verbietet das. Ich kann dieses Mandat nur ablehnen ... und, lieber Fritz Kutscher, du wirst dir das auch genau überlegen.
Um die Ecke der Straße, in der die Praxis Dr. Kutschers lag, kaufte Dahlmann in einem Blumenladen einen neuen Strauß.
Es waren diesmal blasse rosa Rosen. Langstielig und ohne Dornen.
»Es müssen zweiunddreißig Stück sein«, sagte er.
Sie kosteten 76,80 Mark, das Stück zu 2,40 Mark.
Es war eine Ausgabe, die sich Dahlmann zweimal wöchentlich leisten wollte.
Kapitel 11
Die Tage in Montreux waren ausgefüllt mit Spaziergängen oder Dampferfahrten über den Genfer See. Fräulein Pleschke erlebte zum erstenmal die große Welt, die Atmosphäre eines Luxushotels, das für den Neuling erregende Fluidum des Geldes. Für sie war diese Reise eine Fahrt durch Märchen und Wunder ... für Luise waren es Tage des Wartens und Hoffens, weiter nichts. Zwar spürte sie den Wind, wenn sie oben auf dem Sonnendeck der Schiffe saß und über den See glitt, sie hörte das Rauschen des Wassers am Schiffsrumpf, die Erklärungen des Fremdenführers in drei Sprachen, der über Lautsprecher die Sehenswürdigkeiten an den Ufern schilderte. Es war ihr nichts Neues, sie kannte Montreux von früher her, aus einer Zeit, als sie als junges Mädchen über die Uferpromenade schlenderte und die jungen Männer vor sich hinpfiffen und stehenblieben, um ihr nachzublicken.
Das alles lag weit zurück. Für Luise war Montreux jetzt nur noch eine große Wartehalle, ein Ort der stillen Hoffnung. Wird Professor Siri aus Bologna zusagen, wird er operieren, wird er überhaupt erst einmal untersuchen, ob es sich lohnt, das neue Wagnis einzugehen?
Um Ruhe zu haben, blieb Luise meistens auf ihrem Zimmer, saß auf dem großen Balkon unter einem Sonnenschirm und spielte sich auf dem mitgenommenen Tonbandgerät Opern und Sinfonien vor, ab und zu auch einmal Tanzmusik, wenn die ernste Musik ihr hoff-nungsbanges Herz zu sehr belastete.
Jeden dritten Tag kam ein Brief aus Hannover von Ernst Dahlmann. Er schickte jedesmal eine kleine Tonbandrolle, auf die er seine Grüße sprach. Luise brauchte zum Auflegen dieser Bänder keine Hilfe mehr, sie hatte jeden Handgriff im Gefühl.
»Uns geht es allen gut -«, sprach Ernst Dahlmann auf seinem letzten Tonband mit ruhiger Stimme. »Moni hat ihre Plakatentwürfe verkauft und ist glücklich, wie es ein Künstler sein kann, wenn seine Arbeit Erfolg zeigt. Die Apotheke läuft wie immer gut. Mach dir also um nichts Sorgen, erhole dich, genieße die Sonne und die reine Luft und denke immer daran, daß ich dich liebe -«
An einem Morgen - Luise stand an der offenen Fenstertür zum Balkon und ließ den warmen Wind vom See über ihre Stirn streichen, Fräulein Pleschke war unterwegs, die neuesten Zeitungen zu holen, um sie dann vorzulesen - klopfte es, und das Zimmermädchen trat ein. Auf einem silbernen Tablett brachte es einen dünnen Umschlag.
»Für Sie, Madame«, sagte das Mädchen und knickste, obwohl sie wußte, daß es Madame nicht sehen konnte.
»Was ist es?«
»Ein Telegramm, Madame.«
»Ein -« Durch den Körper Luises fuhr es wie ein elektrischer Schlag. »Bitte, geben Sie es mir ... bitte.«
Sie streckte die Hand aus, das Mädchen drückte ihr das Kuvert in die Finger, Luise riß es auf und entfaltete mit einem plötzlichen Zittern das Formular. Ein Telegramm, dachte sie. Ihre Fingerspitzen glitten über das Papier. Sie spürte die aufgeklebten Telegrammstreifen und tastete sie ab. Fünf Zeilen . ein langes Telegramm.