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Luise blieb sitzen und sah ungerührt geradeaus ins Leere. Ja, sie neigte den Kopf sogar nach vorn, als böte sie ihren Nacken dem Schlag dar.

»Wer singt denn da?« fragte sie unbefangen. »Diese Stimme kenne ich noch nicht -«

Ernst Dahlmann stellte den Leuchter auf den Tisch zurück und lächelte. Kraftlos fielen die Hände Monikas auf die Polster zurück. Sie ist blind, sie muß blind sein ... so kann sich kein Mensch beherrschen. Kein Augenzucken, keine Abwehr, keinerlei Regung ... nur das Lauschen auf die Stimme, während über ihrem Kopf..

»Das Mädchen heißt Daniela Duvar«, sagte Dahlmann. »Ein neuer Name. Gefällt sie dir?«

»Ja, sehr.«

»Wir hätten sie aufs Band aufnehmen sollen.«

»Ja.«

Die fröhliche Musik tönte weiter, aber es kam im Zimmer keine Gemütlichkeit mehr auf. Monika war von Dahlmann abgerückt, der mißmutig neben Luise hockte und wortlos auf den Bildschirm stierte. Sie alle spürten, daß in diesen Minuten ein Bruch zwischen ihnen entstanden war, daß sie alle drei isoliert im Raum saßen, jeder allein mit sich, und daß zwischen jedem von ihnen ein Graben aufgerissen war, über den im Augenblick kein Schritt mehr führte, sondern nur noch der Klang ihrer Stimmen.

»Du bist so still, Ernsti.«, sagte Luise mit bohrender Zärtlichkeit. »Und auch Moni sagt nichts. Ist das Programm so schön anzusehen?« »Ja.« Dahlmann atmete tief durch. Seine Stimme hatte rauh geklungen. »Eine verschwenderische Ausstattung.«

»Wie schön. Ich kann es mir vorstellen.« Sie legte den Kopf zurück an die hohe Sessellehne. Dabei zeigte das Fernsehbild eine dunkle, kahle Bühne mit drei Scheinwerferklecksen. In diesen Klecksen hüpften drei Balletteusen. Plötzlich krallte sie die Finger in Dahlmanns Arm. Er zuckte zusammen und versuchte, sich zu befreien.

»Was ... was ist denn, Luiserl?«

»Ich höre ja nichts mehr.«

»Was?« Er sprang auf und beugte sich über sie. »Du hörst nichts mehr? Du hörst mich jetzt nicht.? Luiserl.« Er sah schnell zu Monika hinüber, auch sie war aufgesprungen. »Luiserl . Luiserl . hörst du mich.«

Sie nickte und lächelte. »Wie groß deine Sorge ist, Ernsti.« Sie tastete nach seinem Gesicht, fuhr über die Stirn, die Augen, die Nase, den Mund, das Kinn hinab zum Hals. Dort ließ sie die Finger liegen, genau auf der Kehle. Jetzt zudrücken, dachte sie. Könnte mir das jemand übelnehmen? Gäbe es einen Richter, der mich verurteilen könnte ohne den Gedanken: Ich hätte es auch getan?! »Dein Hals zittert.«, sagte sie leise.

»Der Schreck, Luiserl.«

»Ich wollte sagen: Ich höre das Ticken nicht mehr.«

»Welches Ticken?«

»Dieses ewige Tick-tick-tick . als wenn immer etwas tropft.«

»Es war doch nie da, Luiserl. Wir haben es dir doch gesagt.«

»Ihr seid so gut zu mir.« Sie sah dabei Monika an. Groß und klar. Monika Horten senkte den Kopf. Du bist die schwache Säule in dem gemeinen Betrugsgebäude, dachte Luise. Mein liebes Schwesterchen, an dir wird Ernst Dahlmann zerbrechen, nicht an mir. Ihr hattet einen schönen Plan, einfach, genial und von einmaliger Gemeinheit. Eine Blinde zu betrügen, genügte nicht . sie stört, sie ist im Weg, ihre Gegenwart ist ständige Mahnung. Wie einfach ist es, sie wahnsinnig zu machen. Nun wird es anders sein, Monika. Von Zweifeln und Angst zerfressen, wirst du herumirren, und ich werde um dich sein, immer um dich sein, wie ein Schatten, den du nicht abschütteln kannst... und du wirst nicht wissen: Kann sie sehen, oder ist sie noch blind?! Ich werde dir Gelegenheiten geben, zu glauben, daß ich sehen kann ... und dann werde ich dir eine Blinde vorspielen, hilfloser als ein Säugling. So lange, bis du zusammenbrichst, bis du zerrieben wirst in den Mahlsteinen von verbotener Liebe und Angst, von der Sünde, die zuviel für dich ist, und dem Gewissen, dem du nicht entfliehen kannst, weil du kein schlechter, sondern nur ein haltloser Mensch bist. Ein höriger Mensch, hörig einem Mann, den ich einmal so liebte, wie du jetzt ihn liebst ... und den ich jetzt hasse mit einem Haß, wie ihn nur eine Frau gebären kann. Glaube mir, Monika ... es gibt auf der Welt kein stärkeres Element als den Haß einer verratenen Frau.

»Ich bin müde«, sagte Monika mit mühsam fester Stimme. »Ich habe heute viel gezeichnet. Entschuldigt mich.«

Sie sah noch einmal Luise starr an. Luise nickte ihr zu, freundlich, lächelnd, so wie man eine liebe Schwester zur Nachtruhe verabschiedet . so wie man Abschied nimmt von einem, den man sieht -

Wie flüchtend, verließ Monika das Zimmer. Ernst Dahlmann trank mit bösem Gesicht seinen Wein aus. Er hatte heute Nachtdienst und nahm sich vor, die ganze Nacht unten in den Apothekenräumen zu verbringen. Ein hysterisches Luder, diese Moni, dachte er wütend. Er räumte die Gläser weg und drehte das Fernsehen aus. Luise sah staunend in den stillen Raum.

»Was ist, Ernsti? Ich bin noch nicht müde. Warum machst du aus?«

»Ich habe Nachtdienst, Luiserl. Ich muß in die Apotheke.«

»Dann warte ich hier auf dich.«

»Es kann spät werden. Vielleicht die ganze Nacht. Geh zu Bett.«

»Noch eine Stunde. Ich stell' mir noch das Tonband an.«

»Gute Nacht.« Ernst Dahlmann ging hinaus. Zum erstenmal vergaß er die Floskel Luiserl, und er war so wütend, daß er die Tür sogar härter zuzog, als er wollte.

Luise stand auf und ging zum Sofa. Auf dem Kissen, neben dem

Monika gesessen hatte, lag ihre kleine Krokotasche. Monika hatte sie bei ihrer Flucht aus dem Zimmer vergessen.

Mit einem harten Lächeln hob Luise die Tasche auf, wog sie in der flachen Hand und krallte dann die Finger um sie. Ein Ruck flog durch ihren Körper, sie warf den Kopf in den Nacken, etwas wie der Stolz eines Siegers strahlte von ihr aus . dann ging sie mit schnellen, festen Schritten aus dem Zimmer und stieg die Treppe empor zum Atelier Monikas.

Kapitel 15

Sie hatte sich noch nicht ausgezogen, sondern stand an dem großen Atelierfenster, hatte eine der verschiebbaren Scheiben zur Seite gedrückt und starrte in die Nacht.

Für Monika Horten war das Leben zu einem Rätsel geworden. Jede Stunde, die sie allein war, füllte sie aus mit dem Willen, wegzugehen, zu flüchten vor ihrer Verstrickung, sich irgendwo zu verkriechen, wo man vergessen konnte und weit, weit weg war von aller Schuld und aller Scham. Aber dann stand Ernst Dahlmann wieder vor ihr, sein Lächeln bezauberte, seine Hände streichelten sie, seine Umarmung war wie ein Hineinziehen in selige Geborgenheit . und wieder fand sie sich in diesem Rätsel, warum sie das alles tat, duldete und mitmachte, warum sie ihre Schwester betrog und ihren eigenen Willen verriet. Sie wußte darauf keine Antwort.

Ein Windzug, der ihre Haare flattern ließ, zwang sie, sich umzudrehen.

Die Tür zur Diele war aufgesprungen. Jemand stand in der Finsternis des Zimmers, vor dem dunkelroten Vorhang, der tagsüber die Bettcouch in der Ecke verdeckte.

»Ernst -«, fragte Monika leise und stützte sich gegen die Glaswand.

»Nein -«

»Luise!« Es war ein erstickter Schrei. »Wie ... wie kommst du hier herauf?! Was willst du.«

Langsam trat Luise Dahlmann aus dem Schatten der Nische. Mit ruhigen, sicheren Schritten ging sie auf ihre erstarrte Schwester zu, hielt ihr die Tasche hin und ließ sie, als Monika nicht zugriff, auf den kleinen Tisch fallen, der neben der Staffelei stand und als Palettenablage diente.

»Deine Tasche, Moni -«, sagte Luise freundlich und nickte ihr zu. »Eine schöne Krokotasche übrigens . sie könnte mir auch gefallen.«

Sie sah ihre Schwester noch einmal an, dieses Mal stumm, mit zur Seite geneigtem Kopf, als betrachte sie ein merkwürdiges Bild, in das man einen Sinn hineinlegen muß. Dann wandte sie sich ab und ging hinaus . ohne Zögern, ohne Tasten, ja, sie machte sogar einen Bogen um einen Stapel Zeichenpapier, der auf dem Boden lag.