»Was willst du Luise sagen?« fragte er tonlos.
»Alles.«
»Und warum?«
»Ich will einen Schlußstrich ziehen unter ein Leben, das gemein war. Ich will neu beginnen. Vielleicht verzeiht mir Luise, vielleicht auch nicht. Aber das ist unwichtig. Ich will den Druck von mir haben, dieses Wissen einer ungesühnten Sünde, ich will mich freireden ... verstehst du das nicht?«
»Nein.«
»Es ist meine Schwester, die ich betrogen habe. Ehe ich für immer aus eurem Gesichtskreis verschwinde, soll sie keinen Haß mehr haben.«
»Haß! Haß! Sie weiß doch nichts von uns!« schrie Dahlmann.
»Sie weiß alles.«
»Dummheit!«
»Sie kann sehen!«
»Nein!« Dahlmann trank wieder aus der Flasche. Der starke Kognak begann, in seinem Hirn Nebel zu bilden und seinen Körper leicht werden zu lassen. Es war ihm, als gehe er auf Wolken. Und mutig wurde er, schrecklich mutig. »Heute noch habe ich sie geprüft. Du bist eine hysterische Ziege!«
»Wenn schon. Ich will mit ihr sprechen.« Monika beugte sich vor. »Ich habe mir überlegt, was du mir gesagt hast. Luise will dir alles schenken. Dieser Entschluß wäre für mich der einzige Beweis, daß sie wirklich blind ist. Und wie ich dich kenne, bist du jetzt besonders lieb zu ihr, bist du der liebevollste Ehemann, wie er sonst nur in Märchenbüchern der Erwachsenen, den Schnulzen, vorkommt.«
»Allerdings -«
»Siehst du, und das will ich dir versalzen. Luise soll dich sehen, wie du bist.« Sie lehnte sich zurück. Ihr schöner, schlanker Körper lag fast auf der Couch. »Gib zu, daß du am Ende bist.«
»Noch nicht. Wenn ich deinem merkwürdigen Julius Salzer sage, daß du.«
Monika winkte ab. »Zu spät. Ich habe es ihm gestern abend selbst gesagt.«
Auf Dahlmanns Hirn fiel eine Bleiplatte. Er lehnte sich an die Wand. »Und -?« fragte er.
»Er hat mir den Mund zugehalten. Er will nicht wissen, was war . ihn geht nur die Zukunft an.« Monika lächelte. »Du siehst, die Sache wird einseitig. Ich habe nichts mehr zu verlieren.«
Dahlmann tappte in die Mitte des Zimmers. Er war betrunken und doch wieder so klar, daß er Monikas Lächeln sah und die Gefahr, die von ihr ausging.
Was soll ich tun, dachte er immer wieder. Was soll ich bloß tun? Sie darf Luise nicht sprechen! Er sah auf die Uhr. In zwei Stunden kam Luise zurück. Sie kam immer pünktlich, keiner wußte es so gut wie er und Monika. Sie hatten ein Jahr lang nach diesen Zeiten ihre Liebe eingeteilt. Liebe -
»Willst du Geld?« fragte er heiser.
»Nein. Ich kann mich selbst ernähren.«
»Willst du Anteile?«
»Sie stehen mir sowieso zu.«
»Willst du mehr Anteile?«
»Nein.«
»Was willst du denn?« brüllte Dahlmann voller Panik.
»Ein reines Gewissen . und das kannst du mir nicht geben! Das muß ich mir selbst holen.«
Das war der Augenblick, in dem bei Dahlmann der letzte Rest Vernunft zerbrach. Es geschah alles so schnell, so tierhaft, so lautlos, daß er nachher nie mehr sagen konnte, wie es gekommen war.
Er machte einen taumelnden Satz, er fiel mit seinem ganzen Gewicht über Monika, drückte sie in die Kissen, seine breite Hand preßte sich auf ihren zum Schreien aufgerissenen Mund, die andere Hand griff an ihre Kehle ... sie trat ihn in den Unterleib, er spürte es nicht, sie biß in seine Hand, er merkte keinerlei Schmerz ... er lag über ihr, fühlte ihren zuckenden Körper und drückte ihr die Kehle zu.
Als er sich erhob, lag sie mit bläulichem Gesicht in den Kissen. Er beugte sich über Sie ... ihr Herz schlug noch.
»Mein Gott -«, sagte er. »Mein Gott - jetzt muß ich etwas tun -«
Und er wurde schlagartig nüchtern.
Zunächst stellte er fest, daß sein Würgegriff nicht tödlich gewesen war. Das Herz setzte nicht aus, es schlug weiter. Die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn setzte wieder ein, das Bläuliche im Gesicht verlor sich, die geschwollene Zunge ging zurück, die Augenlider begannen zu zittern. Das Leben kehrte zu Monika Horten zurück. Ein Leben, das den Untergang Ernst Dahlmanns bedeutete. Es gab gar keinen Zweifel ... die größte Gefahr bedeutete sie. Luise war blind und hilflos, aber hier war ein Mädchen, das nach dieser Stunde nur einen Gedanken haben würde: Vernichte ihn!
Dahlmann stand vor der Couch und starrte Monika an. Er sah in ihr nicht mehr die Geliebte, eine tiefe Gleichgültigkeit gegenüber den weiblichen Reizen hatte ihn ergriffen. Er sah in Monika nunmehr nur noch den Feind.
Die Frau, die alle Mittel in der Hand hielt, ihn um den Traum seines Lebens zu bringen. Um Geld, um Unabhängigkeit, um männliche Stärke, gestützt durch vergoldetes Ansehen.
Dahlmann wartete nicht ab, bis Monika aus ihrer Besinnungslosigkeit erwachte. Er holte aus seiner kleinen Hausapotheke eine Injektionsspritze und eine kleine 2-ccm-Ampulle mit Morphin, zog die wasserhelle Flüssigkeit auf und stach die Hohlnadel in den Oberschenkel Monikas. Sie zuckte ein wenig; es war in dem Augenblick des Hinübergleitens in das Bewußtsein. Dann streckte sich der Körper wieder, die Lider flatterten nicht mehr, die Atmung war normal, aber flacher ... sie schlief fest, betäubt und für Stunden gefahrlos.
Dahlmann spülte die Ampulle und die Hohlnadel durch das WC weg. Die Spritze steckte er in die Rocktasche. Er würde sie in der Apotheke mit anderen Spritzen auskochen und neu sterilisieren. Dann ging er hinauf ins Atelier.
Der Lastwagenfahrer saß auf einer Kiste und trank eine Flasche Bier.
»Was ist?« fragte er und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Alles ist aufgeladen. Können wir fahren?« Er drückte den Klemmkorken auf die Flasche und steckte sie in eine ausgebeulte, alte Aktentasche. Dabei fiel ihm ein, daß er vor Zeugen Alkohol getrunken hatte. Er lächelte verlegen und wedelte mit der Hand.
»War nur 'ne halbe Flasche Bier, Meister. Das macht mir nichts aus. Ich fahre trotzdem wie aus dem Bilderbuch für Kraftfahrer.« Er tippte auf die Kiste und stand auf. »Nur noch diesen Brocken, dann sind wir soweit.«
»Sie können schon zurück nach Soltau fahren«, sagte Dahlmann leichthin.
»Und das Fräulein?«
»Fräulein Horten kommt mit der Bahn nach.«
»Aber sie wollte doch mit mir.«
»Sie hat es sich anders überlegt. Fräulein Horten ist meine Schwägerin, die Schwester meiner Frau. Und meine Frau ist noch nicht von einem Ausflug zurückgekommen. Sie will so lange warten, bis meine Frau kommt.«
»Das ist klar.« Der Fahrer grinste. »So schnell kommt man ja auch nicht von Soltau nach Hannover, was? Also denn, ich fahre.«
»Gute Fahrt.«
»Und von dem Bier . das bleibt unter uns, was?«
»Klar.« Dahlmann lächelte. »Ehrensache. Und nun schwirren Sie ab!«
Er wartete, bis der Fahrer die letzte Kiste hinausgetragen hatte. Dann blickte er sich in dem großen, leeren Raum um. Das Fluidum Monikas war verschwunden . es war ein nüchterner, heller, ungepflegter, häßlicher Dachraum, sonst nichts mehr. Der Zauber, den dieses Zimmer einmal auf ihn ausgeübt hatte, war zerstört. Nun sah er die schadhaften Dielenbretter, die häßlichen Flecken, wo einmal Bilder gehangen hatten, Löcher im Putz, Trostlosigkeit des Verfalls.
Dort stand die Staffelei, dachte er. Dort der Hocker mit den Paletten. Dort war ein Tisch, eine Kommode, ein Schrank. Unter dem Fenster standen zwei französische Sesselchen ... dort haben wir oft gesessen, hinausgestarrt in die Nacht, über die Dächer und Häuser, eine Stimmung wie auf Montmartre und doch viel, viel glücklicher, als man es beschreiben kann.
Ernst Dahlmann wischte sich über die Augen. Vorbei! Für immer vorbei! Unten lag Monika Horten in einem tiefen Morphiumschlaf, die gleiche Moni, die einmal dort am Fenster gesessen hatte und ihm ins Ohr flüsterte: »Ich bin so unendlich glücklich. Kann es überhaupt wahr sein ... du und ich.?«