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»Keine Ahnung. Ich hörte ein Schnarchen und Röcheln, ging dem Geräusch nach und fand einen Mann hier liegen. Ich rieche, daß er total betrunken ist. Mein Mann muß ihn mitgebracht haben.« Sie setzte sich und sah Dr. Kutscher an. Der Anwalt hatte sich über Salzer gebeugt und suchte in dessen Rocktasche nach einem Ausweis. Er fand eine Kennkarte und las sie.

»Der junge Säufer heißt Julius Salzer, ist in Bremen geboren und hat als letzten Wohnsitz Lüneburg im Ausweis stehen. Hat Ihr Mann Bekannte in Lüneburg?«

»Ich weiß nicht. Ich kenne keinen.«

Dr. Kutscher steckte die Kennkarte wieder in Salzers Rocktasche. Er drehte den Kopf Salzers hin und her, klopfte gegen seine Backen, schob ein Augenlid herunter und schüttelte ihn an der Schulter.

»Der Kerl ist total besoffen. Es riecht nach Whisky. Trinkt Ihr Mann Whisky?«

»Ja. Ab und zu.«

»Sie ahnen, warum ich hier bin?«

»Nein -« Luises durch die dunklen Gläser geschützte Augen wurden lauernd.

»Ihr Mann war vor einer Stunde bei mir.«

»Ach -«

»Er hat mir da eine Räuberpistole erzählt, was Sie alles angestellt haben sollen.«

Luise schwieg. Dr. Kutscher lächelte mokant und setzte sich vor sie in den Sessel.

»Ihr Mann befindet sich in einer Art Aufregung, die es physikalisch möglich machen würde, ihn als Treibsatz einer Rakete zu benutzen.«

Luise schwieg. Sie wußte nicht, was Dr. Kutscher wollte, sie wußte vor allem nicht, warum er lächelte. Da auch er annahm, daß sie blind war, brauchte er sein Mienenspiel nicht zu beherrschen.

»Er sagt, Sie hätten ihn betrogen. Sie hätten einen Geliebten.«

»Ja -«

Dr. Kutschers Lächeln wurde breiter. »Warum lügen Sie?«

»Ich lüge nicht!«

»Ihrem Mann können Sie dieses Märchen von der gestrauchelten Prinzessin vorspielen, aber nicht mir, Ihrem Anwalt.«

Luise spürte, daß sie rot wurde. Sie kämpfte dagegen an, aber noch keinem ist es gelungen, das Blut aus dem Kopf zurückzudrängen, wenn es einmal emporsteigt. Dr. Kutscher betrachtete sie mit einem Blick, der mehr Fragen enthielt als Feststellungen.

»Soll ich Ihnen sagen, was ich weiß?«

»Bitte.«

»Sie hatten eine Begegnung mit dem Schauspieler Robert Sanden. Übrigens ein netter Kerl. Dem haben Sie Kakao über den Anzug gegossen. Dann sind Sie mit ihm zurück nach Hannover gefahren und waren bis zum Abend bei ihm in der Wohnung. Aber in allen Ehren. Dort haben Sie mit ihm besprochen, daß Ihr Mann erschreckt werden sollte. Herr Sanden brachte Sie um 22.17 Uhr in das Hotel >Atlantic<, dort bezogen Sie das Einzelzimmer Nr. 285 im zweiten Stock, Herr Sanden fuhr ab, und Sie wurden nicht mehr gesehen. Sie gingen brav, wie es sich gehört, schlafen. Und während Sie schliefen, saß Ihr Mann hier am Telefon und machte Polizei und alle Krankenhäuser verrückt. Stimmt's?«

Luise nickte stumm. Dr. Kutscher atmete hörbar auf.

»Und nun die unvermeidliche Frage: Warum?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Eine andere, sehr indiskrete Frage, nach der Sie mich hinauswerfen können: Sind Sie die Geliebte Sandens geworden?«

»Nein -«, sagte Luise leise.

»Aber Sie lieben ihn, heimlich?«

»Ja.«

»Er weiß nichts davon?«

»Er darf es vorläufig nicht erfahren.«

»Was heißt vorläufig?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen.«

»Sie haben etwas vor?«

»Nein.«

»Sie lügen wieder.«

Luise schwieg. Dr. Kutscher sprang auf. »Zu seinem Anwalt sollte man Vertrauen haben und ihm die Wahrheit sagen!« rief er. »Wie soll ich Ihnen helfen, wenn Sie einsame Entschlüsse treffen, die vielleicht völlig dumm sind? Ich würde wesentlich klarer sehen, wenn Sie mir erklärten, warum Sie Ihrem Mann diese Farce mit dem Geliebten vorspielen.«

»Dazu habe ich meine Gründe.«

Dr. Kutscher kratzte sich über den Nasenrücken. Wie kann man ihr sagen, daß Ernst Dahlmann ein Lump ist, grübelte er. Es gibt da viele Möglichkeiten, aber jede würde die Schweigepflicht verletzen, an die er als ehemaliger Anwalt Dahlmanns gebunden war. Es war, vom Standesrechtlichen aus gesehen, überhaupt eine Unerhörtheit, daß er die Mandantschaft Luises angenommen hatte. Er hätte sie strikt ablehnen müssen. Aber Luise hatte sein volles Mitleid. Aus ihm heraus allein hatte Dr. Kutscher sich über standesethische Bedenken hinweggesetzt. Es war ihm unmöglich, zusehen zu müssen, wie Luises Blindheit zu Schuftereien solchen Ausmaßes ausgenutzt wurde.

»Ich möchte Ihnen einen Rat geben, gnädige Frau.«

»Ich höre.«

»Reichen Sie die Scheidung ein.«

»Das habe ich Ernst bereits vorgeschlagen.«

Dr. Kutschers Kopf zuckte vor. Dahlmann hatte ihm das verschwiegen. »Und wie steht er dazu?«

»Er weicht aus. Er will nicht. Er ist bereit, zu verzeihen.«

»Und genau das wollen Sie nicht?«

»Nein.«

»Ich stehe vor einem Rätsel.« Dr. Kutscher ging im Zimmer auf und ab. Es scheint eine naturgegebene Unart der Männer zu sein, bei Erregungen hin und her zu laufen. Es ist, als ob ihr Gehirn durch die Bewegung durchgeschüttelt werden müßte.

»Sie waren doch bereit, Ihrem Mann für seine Treue und Liebe allen Besitz der Hortens zu schenken?!«

»Ja.«

»Verzeihung, aber hier versagt meine Logik.«

»Das glaube ich.« Luise lächelte nachsichtig. »Es hat sich in wenigen Stunden vieles geändert. Pläne macht man, um sie gegen bessere einzutauschen ... das habe ich jetzt gesehen. Man muß flexibel sein.«

»Gnädige Frau sollten Politikerin werden!« sagte Dr. Kutscher giftig. »Sie würden eine rasante Karriere haben.«

»Warum so sarkastisch, Doktor?«

»Ich komme nicht mehr mit. Bisher glaubte ich immer, kein Dussel zu sein. Anscheinend bin ich einer.«

»Wenn Sie etwas wüßten, was bisher nur eine Handvoll Menschen weiß, und von ihnen ist einer sogar unsicher, ob es wahr ist, würden Sie alles verstehen.«

»Dann weihen Sie mich ein, gnädige Frau.«

»Vielleicht in Kürze.« Luise hob die Hand. »Nein, sprechen Sie nicht, Doktor. Das ist kein Mangel an Vertrauen ... und das wollten Sie mir gerade vorwerfen, nicht wahr? . aber als ehemaligem Anwalt meines Mannes würde Ihnen das Wissen wenig nützen, weil Sie trotzdem schweigen müßten! Sie stehen außerhalb, notgedrungen ... ich werde es mit Herrn Sanden allein schaffen.«

»Schaffen? Was schaffen?« Dr. Kutscher starrte Luise an. Was weiß sie?, dachte er plötzlich. Das klingt so, als wenn sie alles wüßte. Hatte Dr. Ronnefeld etwas verlauten lassen? Dr. Kutscher versuchte es mit einem Test. »Sie sollten sich das alles reiflich überlegen«, sagte er langsam und betont. »Schließlich haben Sie einen Mann, der Sie umhegt und der Sie wahrhaftig liebt.«

Gespannt wartete er auf ihre Reaktion. Luise blieb ganz ruhig. Sie nickte sogar.

»Ja«, antwortete sie. »Ich habe einen solchen Mann.«

Dr. Kutscher verließ seufzend die Wohnung. Ich gebe es auf, die weibliche Psyche zu verstehen, dachte er. In diesem Dahlmannschen Konflikt ist überhaupt keine Logik mehr.

Er ahnte nicht, daß gerade das der große Trumpf in Luises Hand war.

Am Nachmittag fuhr Dahlmann zunächst den noch immer schlafenden Julius Salzer aus dem Haus. Er schaffte ihn in eine billige Pension, bezahlte den doppelten Preis, falls Salzer - was die Wirtin befürchtete - die Bettwäsche vollkotzen würde, wenn er aufwachte, steckte ihm einen Zettel in die Rocktasche mit der Aufschrift: »Monika befindet sich in Köln. Warum, das weiß ich nicht, sie hat vor-hin aus Köln angerufen«, und bezahlte auch noch einen starken Kaffee.

»Gewalttätig ist er nicht«, sagte er auf die diesbezügliche Frage der erfahrenen Wirtin. »Ganz im Gegenteil... er wird sich wie ein Säugling benehmen.«