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»Ich glaube, unser Gespräch ist beendet«, sagte Robert Sanden. Dahlmann schrak aus seinen Gedanken auf.

»Sie lassen nicht von Luise?«

»Nein. Nie mehr.« Sanden lächelte maliziös. »Warum lassen Sie sich nicht von ihr scheiden?«

»Das geht Sie nichts an!«

»Was haben Sie davon, sich an eine Frau zu klammern, die Ihnen nie mehr gehören wird?«

»Das bleibt abzuwarten.«

Robert Sanden zog die künstlichen, buschigen Augenbrauen hoch. Jetzt war er der Bettler, der seinen kranken König mit aufklärenden Worten belehren wollte.

»Warten Sie bitte nicht«, sagte er langsam. »Luise wird in einer Woche von Ihnen weggehen. Sie zieht zu mir.«

Er drehte sich schroff um und verließ die Kantine. Dahlmann blieb wie auf den Stuhl genagelt sitzen. In seinen Schläfen hämmerte und drückte das Blut. Er hatte das Gefühl, sein Kopf müsse explodieren.

In einer Woche zieht Luise zu ihm, durchjagte es ihn. In einer Woche ist alles vorbei. In einer Woche. So kann ein Leben zu sechs Tagen zusammenschrumpfen, ein Leben, das man glaubte, bis zum späten Ende gesichert zu haben.

Eine Woche noch. Dahlmann stand auf, legte eine Mark neben das halb getrunkene Bier und verließ die Kantine des Theaters. Der Portier sprach ihn an, er hörte nicht auf die Worte und ging stumm vorbei. Er stieg wie ein Schlafwandler in seinen Wagen und fuhr durch die Straßen. Kreuz und quer durch Hannover ... vom Hauptbahnhof zum Maschpark, vom Welfengarten bis zum Eilenrieder Wald, von der Rennbahn bis zum Güterbahnhof, hin und her, automatisch fast, mit leeren Augen und einem brennenden Gehirn.

Es muß etwas geschehen . das war das einzige, was er dachte. In dieser Woche muß etwas geschehen.

Zum erstenmal dachte er an den eigenen Untergang. Das war für ihn so ungeheuerlich, daß er selbst seine Angst vergaß. Mit mir werden sie alle untergehen, dachte er in wahnsinniger Verbitterung. Es war ihm so elend, daß er sich zwang, nicht über sich selbst zu weinen. Sie alle . alle . ein Teufel stirbt nicht allein!

Noch eine Woche.

Die Rechnung und Logik Luises, daß sie nur lebend für Dahlmann etwas wert sei, zerfiel zu Staub.

Ihr Leben war nur noch sieben Tage wert.

Sie wußte und ahnte es auch nicht -

Kapitel 20

Der letzte, verzweifelte Versuch, etwas zu retten, galt Monika Horten.

Dahlmann jagte nach seinen sinnlosen Runden durch Hannover wieder hinaus zu der kleinen Waldhütte. Er war sich klar darüber, daß Sanden sofort nach seinem Weggang Luise angerufen hatte. Viel-leicht war sie jetzt schon aus dem Haus. Das kümmerte ihn in diesem Augenblick nicht, man konnte sie zurückholen, wenn es gelang, was ihm als letzter Ausweg in den Kopf geschossen war.

Ein Ausweg über die Straße der Seele.

Wenn es ihm gelang, Monika umzustimmen, wenn er bescheiden wurde und nur einen Bruchteil des Geldes mitnahm, soviel, daß er sich im Ausland eine andere Existenz gründen konnte, ja, selbst wenn es ihm gelang, sein Ziel unter Zwang zu erreichen. Monika mußte einen Brief schreiben! Nichts als einen Brief an ihre Schwester Luise, abgeschickt aus Köln. Sie sollte darin schreiben, daß sie gehört hätte, Luise wolle sich von Ernst abwenden. Der Text flog Dahlmann durch den Kopf, als er auf der Landstraße nach Osten jagte.

».ich habe dich im Leben noch nie um etwas gebeten, Luise, aber nun flehe ich dich an, beim Andenken an Vater und Mutter, bleib bei Ernst, verlaß ihn nicht, er liebt dich doch.«

Dahlmann war sich nicht klar, ob dieser Brief bei Luise wirken würde . aber er zögerte wieder hinaus, er machte Luise nachdenklich, vielleicht kam es zu einer klärenden Aussprache . jede Stunde war Dahlmann wichtig, die er für sich gewann, denn er war von früheren Monaten her noch im Besitz von zwei Blankoschecks, die er einlösen wollte, wenn auf den Bankkonten die Mittel vorhanden waren. Es könnten fünfzigtausend Mark sein, dachte er. Ein Fünftel dessen, was ich haben könnte. Man wird bescheiden wie der Teufel, der in der Not Fliegen frißt.

Als er das Waldhaus sah, wurde er ganz ruhig. Aus dem Kamin stieg kein Rauch auf, er hörte keinen Lärm, kein Hämmern an die Läden, denn Monika mußte das Kommen des Wagens ja gehört haben.

Hunger wird sie haben, dachte Dahlmann. Fast vierundzwanzig Stunden nur mit Kakao! Er schleifte die beiden Kartons mit Lebensmitteln zur Tür und schloß auf.

Wieder schlug ihm der schimmlig-süße Geruch entgegen, er ließ die Tür offenstehen und drückte die Kartons in den großen Raum.

In der Hütte brannte kein Licht, die Petroleumlampen standen noch so, wie er sie hingestellt hatte. Auch der Zettel mit seiner Nachricht stak noch am geblümten Schirm.

Ernst Dahlmann ließ den Karton mit Büchsen, den er trug, auf den Tisch fallen.

»Monika.«, rief er. Und dann lauter, mit zitternder Stimme ... »Monika -«

Mit ein paar großen Sätzen sprang er zum Alkoven und riß den Vorhang zurück.

Monika Horten lag in dem breiten Bett, wie er sie gestern hingelegt hatte. Bis zum Hals zugedeckt, das blonde Haar um den Puppenkopf, weggestrichen von der Stirn. Nur das Gesicht war jetzt gelb, die Nase stach spitz und weiß hervor, die Augen waren unter den geschlossenen Lidern eingesunken. Aus den ein wenig geöffneten Lippen kam kein Atem mehr. Als Dahlmann die Hand auf ihre Stirn legte, zuckte er entsetzt zurück. Sie war eiskalt.

»Monika.«, stammelte er. »Monika . das ist doch nicht wahr. Moni. Mein Gott, mein Gott ... das ist nicht wahr.«

Als er das Unabänderliche erkannte, als er ihren Tod bestätigt fand, nachdem er sie abgehorcht und den Puls gefühlt hatte, als er begriff, daß sie an seiner Morphiuminjektion gestorben war, an einer zu hohen Dosierung, die ihr Herz nicht verarbeiten konnte, als ihm bewußt wurde: Du bist ein Mörder! Nun ist es soweit. Du hast einen Menschen getötet . mit deinen Händen . da brach er zusammen und fiel ohnmächtig neben dem Bett auf den Dielenboden.

Wie lange er gelegen hatte, wußte er nicht. Seine Gedanken richteten sich nicht nach der Uhrzeit, als er erwachte und sich neben dem Bett mit der Toten fand. Die Ohnmacht hatte das Entsetzen nicht gemildert, aber sie hatte den Kopf frei gemacht für schnelle Entschlüsse.

Die Tatsache war nicht mehr zu ändern. Hier lag eine Tote, und sie war getötet worden durch Ernst Dahlmann. Wenn es auch ein Versehen war, wenn es auch keine Absicht gewesen war, also kein

Mord, so war es doch ein Tod durch die Injektion, ein Totschlag, ein Unfall, den er herbeigeführt hatte.

Das erste Problem hieß: Wie kann man Monika Horten wegbringen? Und wohin? Es war Ernst Dahlmann unmöglich, sie irgendwo in dem dichten Wald, der sie umgab, zu verscharren, so wie man einen tollwütigen Hund unter die Erde bringt. Es war aber auch unmöglich, sich der Polizei zu stellen. Und da war dieser junge Schriftsteller Julius Salzer, der keine Ruhe geben würde und Monika suchte, da war Luise, die nach ihr fragen würde, da war vor allem der Rechtsanwalt Dr. Kutscher, der sich durch ausweichende Reden nicht abschütteln lassen würde.

Es gibt keinen perfekten Mord, das hatte Dahlmann immer gelesen. Und es würde auch keinen perfekten Totschlag geben. Monika war zuletzt bei ihm gesehen worden ... also würde man die Spur der Verschwundenen zuerst bei ihm aufrollen. Er wußte nicht, ob er die Nerven besaß, die Rolle des Unwissenden zu spielen. Er glaubte es nicht, vor allem nicht mehr in den Sekunden, in denen sein Blick zu der lang hingestreckten Gestalt zuckte, zu dem hübschen Gesicht mit den langen goldblonden Locken, das jetzt ein wenig spitz geworden war und sehr ernst.

Zunächst setzte er sich an den schweren Tisch und stützte den Kopf in beide Hände. Ihm war speiübel, er würgte und fühlte, wie sein Herz schmerzte. Die Angst überkam ihn wieder, jene schreckliche Lebensangst, die ihn von jeher gepeinigt und zu Taten getrieben hatte, die oft jenseits aller Vernunft standen.