»Warum hast du Monika geschlagen?« fragte sie.
Julius Salzer hieb mit der Faust auf den Tisch. »Jawohl! Ich habe alles erzählt. Dr. Ronnefeld hat mich durch Spritzen wieder fit gemacht. Wo ist Moni?« brüllte er plötzlich und sprang auf.
»Ich habe Monika geohrfeigt, weil sie zu mir frech wurde. Sie hat mich beleidigt. Sie hat mich einen Schmarotzer der Ehefrau genannt. Da gingen die Nerven mit mir einfach durch -«
»Das ist nicht wahr!« schrie Salzer. Dr. Kutscher hielt ihn am Rock fest, sonst wäre er vorgestürzt. »Monika war Ihre Geliebte!«
Ernst Dahlmann hatte es erwartet. Er nahm es hin und lächelte sogar, so, wie man über einen miesen Clown lächelt, dessen Späße angestanden sind. Luise starrte ihn verwundert an. Die große Überraschung war mißlungen.
»Stimmt das?« fragte sie hart.
»Nein!«
»So ein Feigling!« schrie Salzer.
»Du leugnest es ab?«
»Ich leugne nicht ... ich halte diese Verdächtigung für so absurd, daß ich nur noch aus Höflichkeit darauf antworte. Es erschreckt mich fast, daß du so etwas glauben kannst. Monika und ich ... das ist doch lächerlich!«
Du Lump, dachte Luise und legte die Hände in den Schoß. Du erbärmlicher Schuft. Auch Julius Salzer strich sich mit zitternder Hand die Haare von den Augen.
»Sie hat es mir selbst gesagt.«, keuchte er. »Sie hat es mir unter Tränen gebeichtet.«
»Dann hat sie gelogen und Ihnen eine schöne Szene vorgespielt.«
»Lassen Sie mich los, Doktor!« schrie Salzer und zerrte an seinem Rock.
»Es wäre am einfachsten, Monika selbst zu fragen«, sagte Dahlmann völlig ruhig. »Hier, vor Ihnen allen, in meiner Gegenwart. Ich glaube kaum, daß sie dann ihre Behauptung wiederholt.«
»Wo ist Monika -«, fragte Luise wieder. Die Sicherheit Dahlmanns war ihr unheimlich.
»Ich weiß es nicht.« Dahlmann hob bedauernd beide Arme. »Mir läge jetzt sehr viel daran, Monika hier zu haben, um diese Infamie aufzuklären!«
»Wenn Ihre Schwägerin nicht bis heute abend neunzehn Uhr aufgetaucht ist, werden wir die Polizei einschalten«, sagte Dr. Kutscher. Dahlmann schüttelte den Kopf.
»Nein! Ich bin dafür, daß dies sofort geschieht! Sofort! Man wird nur auf der Polizei darüber lachen, daß aus der Mohren-Apotheke die Frauen verschwinden und sich nachher in anderen Betten wiederfinden. Doch das ist Geschmackssache! Ich bitte Sie, Doktor, die Polizei umgehend zu benachrichtigen.«
»Ich rufe erst in Soltau an.« Julius Salzer machte sich mit einem Ruck frei und ging zum Telefon. Luise starrte noch immer ihren Mann an. Er leugnet Tatsachen, als seien es Utopien. Und er läßt es darauf ankommen, daß man ihm Monika gegenüberstellt. Welch ein Mensch ist das bloß?! Wie kann so viel Gemeinheit in einem Körper wohnen?! Ernst Dahlmann blickte von einem zu anderen. Seine Mundwinkel zogen sich herab wie bei einem schmollenden Kind.
»Ich nehme an, daß Sie vorhaben, sich noch länger in diesem Raum aufzuhalten. Da Sie Gäste meiner Frau sind, bin ich so unhöflich, mich von Ihrer Gegenwart zu befreien. Wenn irgend etwas ist -, ich bin unten in der Apotheke. Sie können mich dort sprechen, wenn ich die nötige Zeit dazu frei habe.«
In stolzer Haltung verließ er die Wohnung. Die große Schau, die Luise geben wollte, war vertan. Sie sank zurück in den Sessel, noch einmal für kurze Zeit die Blinde, die nur hört und fühlt. Und noch etwas hielt sie ab, ihre dunkle Brille abzunehmen und zu sagen: »Dr. Ronnefeld . sie haben auf dem linken Revers Ihres Anzuges einen kleinen Fleck.« - die unverständliche Sicherheit Dahlmanns, mit der er eine Situation, aus der es für ihn keinen Ausweg mehr gab, souverän überging, als gäbe es diese Situation gar nicht. Er nahm den Schauspieler Sanden hin, die Scheidung, den Verlust der Apotheke, des Vermögens, des Erbes . er gab alles auf mit gleichgültiger Miene, ja fast befriedigt darüber, worum er noch vor einem Tag mit der Erbitterung eines Irren gerungen hatte.
Das mußte einen Grund haben. Ihn zu erfahren, war nur als Blinde möglich, denn vor ihren toten Augen fielen alle Hemmungen Dahlmanns ab. Sie mußte mit ihm allein sein ... heute und morgen . ihn beobachten, aushorchen, ihm Fallen stellen . die eine Blinde nicht einmal hörte.
Julius Salzer hatte in Soltau angerufen. Da der >Grüne Krug< kein Telefon besaß, hatte er mit dem Metzger gesprochen, der täglich das Fleisch lieferte. Die Möbel waren angekommen und standen vor dem Haus. Niemand wußte, was man mit ihnen machen sollte, keiner wußte, wie man sie aufstellen sollte. Von Monika Horten hatte man seit ihrer Wegfahrt nach Hannover nichts mehr gesehen.
»Ihr ist etwas zugestoßen!« rief Salzer völlig gebrochen. »Und ich wette meinen Kopf, daß dieser Dahlmann weiß, was mit ihr geschehen ist.« Dr. Kutscher winkte ihm zu und zeigte kopfschüttelnd auf die Blinde. Mehr Rücksicht, hieß das. Auch wenn die Ehe auseinandergeht, noch ist er ihr Mann. Salzer winkte erregt ab. Rücksicht! Wie kann man von Rücksicht reden, wenn ein Mensch spurlos verschwunden ist? Luise konnte nichts sagen . sie starrte ins Leere und hatte den gleichen Gedanken wie Julius Salzer: Was verbirgt Dahlmann vor uns? Weiß er mehr über Monika?
Dr. Kutscher war der erste, der hinunter in die Apotheke ging. Er fand Dahlmann in den Hinterräumen beim Anrühren einer Schwefelsalbe.
»Ihre Schwägerin ist noch nicht in Soltau«, sagte Dr. Kutscher ernst.
»Haben Sie das erwartet? Sie hat den jungen Spund über und schwirrt als Bienchen durch die Lande.«
»Lassen Sie mal alle Gehässigkeiten weg, Dahlmann, und überlegen wir einmal zusammen.«
»Mit Ihnen nicht, Doktor. Sie sehen, ich habe Kundschaft im Laden und muß eine Salbe anrichten. Ich lasse meine Kunden nicht unnötig warten.«
»Wir werden jetzt die Polizei anrufen.«
»Das hätten Sie schon längst tun müssen.«
»Man wird Sie verhören.«
»Wenn die Polizei diese Zeitverschwendung auf sich nehmen will, bitte!«
»Sie haben Monika zuletzt gesehen.«
»Ja. Und? Bitte, Doktor, leiten Sie davon keine Wallace-Geschichte ab.« Dahlmann ließ den Rührer durch die gelbe, zähflüssige Salbe laufen und träufelte aus einer Pipette einige Tropfen in die Masse. Dabei zählte er und winkte ab, als Dr. Kutscher weitersprach. ».neun . zehn . elf . zwölf.. Seien Sie doch still, Doktor. Oder wollen Sie schuld sein, wenn die Salbe zu stark ist und auf der Haut brennt?! Hier geht es um Tropfen . dreizehn . vierzehn.« Er legte die Pipette weg. Dr. Kutscher schnaufte durch die Nase.
»Sie wissen etwas, Dahlmann.«
»Allerdings.«
»Dann sagen Sie es.«
»Ich weiß, daß ich Sie widerlich finde!«
Dr. Kutscher drehte sich schroff um und verließ das Apothekenlabor. Dahlmann füllte die Salbe in einen Porzellantiegel und schob ihn dem wartenden Lehrling zu. Dann setzte er sich hinter die hohen Glaskolben und die unter Glas stehende Feinwaage und dachte nach.
Vor einer plötzlichen Entdeckung Monikas hatte er keine Angst - kritisch war nur die Routinearbeit der Polizei. Bei ihr mußten sie zwangsläufig auf Dr. Forster stoßen, als Angehöriger des Bekanntenkreises Dahlmanns. Mit Dr. Forster kam man auf die Waldhütte, sie wurde besichtigt, nur aus Routine natürlich . der Lauf der Dinge war so logisch und einfach, daß Dahlmann beschloß, am nächsten Morgen mit Monika Horten ins Moor zu fahren.
In der Wohnung hatten sich unterdessen die Herren verabschiedet. Sie fuhren zu Dr. Ronnefeld. Julius Salzer litt unter den Nachwirkungen seines Alkohols . sein Schädel stach an den Schläfen, er konnte kaum noch denken und spürte Gleichgewichtsstörungen, als er ein paar Schritte machte und gegen die Wand taumelte. Dr. Kutscher wollte bleiben, ihm schien es zu kritisch, Luise jetzt allein mit Dahlmann zu lassen. Erst als ihn Luise bat, zu gehen, entschloß er sich dazu schweren Herzens.