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»Ich habe Angst, Ernst. Ich habe Angst, irrsinnig zu werden.«

»Du darfst an so etwas nie denken, Liebes!«

»Auch Dr. Vierweg sagt, daß.«

»Ich werde mit diesem grünen Jungen einmal reines Deutsch sprechen. Er soll als Psychiater heilen, aber nicht Psychosen noch fördern!«

Dahlmann hörte in der Küche Fräulein Pleschke wirtschaften. »Was soll die Pleschke hier?« fragte er.

»Sie macht Kaffee. Ich habe die ganze Nacht wach gesessen, du weißt es doch. Trinkst du mit? Bitte, bitte, sag nicht nein . trink mit mir Kaffee.«

»Solltest du dazu nicht lieber Herrn Sanden holen?« fragte er giftig.

»Ach, laß ihn doch, Ernst. Ich mache mir solche Sorgen um Monika.« Sie beobachtete ihn dabei. Dahlmann zeigte keinerlei Bewegungen, sein Gesicht war nachdenklich und noch immer von dem Rätsel gefangen: Wie kommt die Klopfmaschine auf das Büfett?!

»Monika geht es vielleicht besser als uns.«, sagte er beiläufig.

»Bleib heute bei mir, ja?« bettelte Luise.

»Aber die Apotheke. Ich muß noch in die Stadt, ich habe eine Verabredung mit einem pharmazeutischen Fabrikanten.«

»Sag ab ... verschieb es. Ich habe ein dumpfes Gefühl, daß Monika etwas zugestoßen ist. Und da möchte ich, daß du bei mir bist . noch bist du mein Mann, Ernst.«

»Ja. Noch -«, sagte er bitter.

»Ich habe in dieser Nacht manches eingesehen.«

»Ach -«

»Ja.« Luise nickte und lehnte den Kopf an Dahlmanns Hüfte. »Zugegeben - ich war einmal nicht stark genug . ich habe mich verirrt . heute weiß ich gar nicht, wie das vorkommen konnte. Wenn du mir diesen einen Fehltritt verzeihen könntest, Ernst.«

Dahlmann hielt den Atem an. O verdammt, dachte er.

»Was dann?« fragte er kaum hörbar.

»Wenn du zu mir sagen kannst: Luiserl, ich vergesse es. Ich weiß es gar nicht mehr . wenn du das sagen kannst, und wenn Monika zurückkommt, dann will ich nur noch für dich leben. Ich will dir und Monika alles schenken, was ich von Vater habe.«

Dahlmann kam sich vor, als habe man ihn in glühendes Öl ge-taucht und dann mit einem Eiswasserstrahl wieder abgespritzt.

»Und ... und Sanden.«, stammelte er.

»Ich werde diesen Namen nie mehr nennen.«

»Luiserl . verzeih, aber mir fehlen die Worte.«

Sie fehlten ihm wirklich. Am Ziel, dachte er und konnte sich zerreißen. Am Ziel! Und doch so weit entfernt wie nie. Nicht nur entfernt . es war nun unerreichbar geworden.

»Weißt du, was ich mir ausgedacht habe?« Luise zog Dahlmann an der Hand zu sich. »Komm, setz dich zu mir ... hier, auf die Lehne. So ... so fühle ich dich. Ich habe mir gedacht, daß wir hier in Hannover alles aufgeben.«

»Aufgeben?«

»Wir verpachten die Apotheke. Wir haben Geld genug auf der Kasse, die Pacht sichert uns den täglichen Unterhalt, unsere Medikamente bringen Lizenzgebühren. Wir ziehen irgendwohin, wo es besonders schön ist . an die Ostsee, an einen Holsteinischen See, an den Rhein, an einen bayerischen See, in ein Bad . die Welt ist ja so groß, und wir haben das Glück, uns davon ein kleines Stück zu kaufen. Ein winziges Stück, aber es soll unser Paradies werden. Was hältst du davon?«

Es war eine grausame Angel, die Luise auswarf. Dahlmann starrte in die Blumenecke und in die Morgensonne, die sie mit hellstem Gold übergoß.

»Das . das wäre wunderschön.«, sagte er leise, weil er einfach keinen Atem mehr für lautes Sprechen hatte. Ihm war die Brust zugedrückt, als läge ein Felsen darüber. »Aber was soll Monika dabei?«

»Das ist die einzige Bedingung . nein, keine Bedingung, das ist meine große und letzte Bitte ... daß Monika mitkommt.«

»Und dieser Jammerjüngling Salzer?«

»Sie wird ihn vergessen. Wenn sie es nicht kann oder will . gut, dann zahlen wir sie aus. Sie kann dann leben nach ihrer Fasson. Aber erst müssen wir sie ja finden.«

Sie sah zu ihm hoch. Sein Gesicht zuckte heftig. Er sprang auf und rannte im Zimmer hin und her. »Es ist zum Kotzen!« sagte er heiser. »Verzeih, Liebling, den Ausdruck, aber es ist so. Erst läuft sie uns weg, jetzt läuft sie diesem Salzer weg ... und du nimmst noch Rücksicht auf sie und machst unser Glück von ihren Launen abhängig.«

Wie schön du das wieder gesagt hast, dachte Luise. Wie glatt und gewandt. Jede Blinde müßte es glauben.

»Sie ist meine Schwester, Ernst.«

»Benimmt sie sich schwesterlich?!«

»Wenn man einen Menschen immer für sein Benehmen bestrafen wollte, wäre Güte ein Wort aus dem Märchen.«

»Aber wenn sie nicht wiederkommt?«

»Sie kann nicht einfach verschwinden, Ernst.«

»Ins Ausland?«

»Ohne Geld?«

»Mit einem reichen Freund.«

»Den sie innerhalb vier Stunden kennenlernt? Nein! Nicht Monika!«

»Legst du dafür die Hand ins Feuer?«

»Ja!«

»Und wenn sie wirklich nicht wieder auftaucht?«

»Dann hat man sie umgebracht!«

»Unsinn! Wer soll sie umbringen? Und warum?«

»Es gibt genug Sexualmörder.«

»Mein Gott, du hast zuviel Kriminalhörspiele gehört. Monika war so selbständig, daß ein Mörder sich fluchtartig entfernt hätte.«

»Dann muß sie wiederkommen.«

»Hoffen wir es«, sagte Dahlmann heiser vor Erregung.

»Zumindest wird sie schreiben, wo sie ist. Monika wird nie für alle Zeiten aus unserem Leben gehen.«

»Und wenn sie erst in einem Jahr schreibt . in zwei Jahren. Soll unser ganzes ferneres Leben davon überschattet sein?« Dahlmann sah eine große Möglichkeit. Auch Luise hatte daran gedacht und hielt eine Antwort bereit. »Sollen wir immer nur warten, warten und älter werden und uns das Leben stehlen lassen von einem kapriziösen

Mädchen?! Luiserl ... laß uns deinen Plan ausführen ... laß uns alles verpachten, verkaufen und wegziehen. Monikas Anteil hinterlegen wir bei einer Bank . sie kann es sich dort abholen, wann sie will. Wir aber leben nur für uns ... wie du sagst, in einem winzigen Paradies, in das wir niemanden hereinlassen und aus dem uns auch niemand vertreiben kann.« Er ergriff ihre Hände, er wurde von seiner Idee selbst mitgerissen. »Sag ja, Luiserl. Sag ja! Und wenn es jemals eine Krise zwischen uns gegeben hat . sie war nur ein böser Traum, weiter nichts -«

Der Satan mit der Engelstimme, dachte Luise. Sie zog die Schultern hoch. Die heiße Berührung seiner Hände erzeugte in ihr versteinernde Kälte. Als er sie küssen wollte, bog sie den Kopf zurück ... so unwillkürlich, als habe sie einen Laut gehört und lausche danach.

»Wir sollten das alles einmal in Ruhe überlegen, Ernst«, sagte sie leise. »Ich bin jetzt so weit, daß ich, wenn Monika in diesem Augenblick zur Tür hereinkommt, gleich den Notar verständigen würde.«

Ernst Dahlmann schloß die Augen. Was er nie für möglich gehalten hätte, warf ihn jetzt fast nieder: Er hatte sich selbst vernichtet. Er hatte dem Strudel, der sich um ihn gebildet hatte, diesem unverständlichen Strudel menschlicher Leidenschaften und Inkonsequenzen, nicht standgehalten, er hatte nicht die Ruhe gehabt, die nötig gewesen wäre, um abwarten zu können, um genau das zu tun, was er sich immer vorgesagt hatte: Laß die Zeit für dich arbeiten. Dann kam dieser Robert Sanden, und er war der Panik erlegen. Robert Sanden, der - wie sich jetzt herausstellte - nur eine Episode war, eine Verirrung, die Luise selbst nicht mehr verstand. Eine Erkenntnis, die zu spät kam. Monika war geopfert worden.

Dahlmann atmete schwer. Seine Selbstanklagen, die gleichzeitig eine Selbstberuhigung sein sollten, stimmten nicht. Monika war durch ihn getötet worden, bevor er etwas von Sanden wußte . seine verhängnisvolle Morphininjektion und das Fernbleiben Luises in der Nacht waren zusammengefallen, es war ein Tag gewesen. Er hatte Monika nicht geopfert . sie war seiner hündischen Angst erlegen.

»Woran denkst du?« fragte Luise. Dahlmann schrak auf.

»An Monika!« sagte er ehrlich.