»Salzer. Der hat doch erst die Anzeige gemacht und uns alarmiert.«
»Ja.«
»Er rief zusammen mit Dr. Kutscher an.« Faber nahm ein Notizbuch aus der Tasche und beleckte nach alter Sitte die Spitze seines Bleistiftes. »Salzer wohnt auch in Soltau, nicht wahr?«
»Ja. Im >Grünen Krug<. Er ist dort Hausbursche und Kalfaktor für alles.«
»Ich denke Schriftsteller?«
»So nennt er sich. Was er schreibt, muß nach dem, was er erzählt, völlig versponnen sein! Keiner druckt es.«
»Also ein armes Schwein.«
»Eine verhungerte Kirchenmaus.«
»Und Ihre Schwägerin hatte Geld?«
»Sie erwartete es.«
»Das ist ja alles Dummheit, Dummheit!« rief Luise dazwischen. »Salzer ist ein völlig harmloser Junge.«
»Woher willst du das wissen? Du hörst ihn ja nur, Luiserl.« Dahlmann legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte sie ab wie ein ekliges Insekt. »Natürlich ist dieser Julius Salzer, der sich Jules Salaire nennt, ein harmloser Bursche.« Aber es klang so, als wollte er sagen: Auch ein Wolf in Schafskleidern bleibt immer noch ein Wolf.. Der dicke Faber erhob sich ächzend. Der Sessel war tief und weich, man versank darin. Faber war nur harte Beamtenstühle gewöhnt, auf denen man in strammer Haltung sitzen mußte, sichtbares Denkmal deutscher Obrigkeit. Aus tiefen Sesseln mußte er sich immer mit einem Klimmzug befreien.
»Das war's also«, sagte er schnaufend, als er stand.
Dahlmann sah ihn verwundert an.
»Mehr wollten Sie nicht wissen?«
»Nein. Warum? Gibt's mehr?«
»Ich wüßte nicht.«
»Also!« Faber nahm seine Zigarre wieder zwischen die Finger. »Was sagte Ihre Schwägerin, als sie von Ihnen wegging?«
»Guten Tag. Und grüß mir Luise. Ich komme am Abend wieder.«
»Und dabei blieb es?«
»Wie Sie sehen -«
»Danke.«
Der dicke Faber verabschiedete sich und ging. Dahlmann kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er fand Luise in der Blumenecke. Sie weinte still. Er sah es an den Zuckungen ihrer Schulter.
»Verstehst du das, Luiserl?« fragte er leise.
Sie schwieg. Fräulein Pleschke blickte herein und fragte:
»Kann ich den Kaffee bringen?«
»Ja doch.« Dahlmann wandte sich ungnädig herum. »Das nächste Mal klopfen Sie an.«
Erna Pleschke verzog den Mund. »Er hat mich übrigens auch gefragt.«
»Der Kommissar?«
»Ja.«
»Was denn?«
»War Herr Dahlmann in letzter Zeit verreist.«
Nach Dahlmanns Herz griff eine eiskalte Hand. »Und was haben Sie geantwortet?«
»Was wahr ist. Ich weiß es nicht.«
Dahlmann nickte mehrmals. »Es ist gut, Fräulein Pleschke. Bringen Sie den Kaffee. Und machen Sie ihn schön stark ... wir haben es nötig -«
Kapitel 22
Es ist das Recht der Polizei, alle Spuren, selbst die dümmsten, zu verfolgen, wenn es um die Aufklärung eines angenommenen Verbrechens geht. Nichts kann dumm und absurd genug sein, als daß es im menschlichen Leben nicht eine wesentliche Rolle spielen könnte.
Ludwig Faber rief daher zunächst Dr. Kutscher an und erfuhr, daß Julius Salzer nach Soltau zurückgekehrt sei. Auf den Rat Dr. Kutschers hin. Er sollte in Soltau warten - vielleicht schickte Monika Horten eine Nachricht.
»Machen wir'n Ausflug, Leute«, sagte der dicke Faber zu seinem Sekretär und seinem Wachtmeister, der den Dienstwagen fuhr. »Kennt ihr die Heide? Nicht? Herrlich, sag' ich euch! Wacholderbüsche, Birken, Weiden, Heidekraut, Stille, Frieden, das Gefühl, am Rande der Welt zu sein, jenseits von Gut und Böse.«
»Und dahin fährt nun die Mordkommission -«, sagte der Sekretär sinnig. Faber lachte breit.
»Sie sehen daraus, daß es keine Paradiese mehr gibt. Die biblische Austreibung ist endgültig! Los, gondeln wir in die Heide.«
Julius Salzer hockte in dem kleinen Zimmer Monikas, als die Beamten aus Hannover im >Grünen Krug< erschienen. Die Möbel Monikas standen noch herum und versperrten Flure und Dielen. Faber schüttelte den Kopf. Ein Mensch besinnt sich nicht anders, wenn er seine Möbel an einen neuen Ort bringen läßt. Vor allem keine Frau! Eine Frau hängt viel zu sehr an Kleinigkeiten, als daß sie diese einfach stehen lassen kann. Faber kannte das, er war seit dreißig Jahren verheiratet. Noch heute verwahrte seine Elfriede den Bronzekopf Dantes, den sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Ein Kopf mit einem Lorbeerkranz, von dem Faber respektlos sagte: »Wenn's wenigstens echter Lorbeer wäre, dann nützte Dante noch was für die Suppe.« Aber da es ein Hochzeitsgeschenk von Tante Sophie, dem Senior der Familie, war, wurde auf Dantes Kopf seit dreißig Jahren auf dem Büfett Staub gewischt.
Die Wirtin vom >Grünen Krug< setzte sich sofort auf die Milchkanne, die vor der Tür stand, als Faber seinen Ausweis zeigte.
»Das ist in der dreihundertjährigen Geschichte des >Grünen Kru-ges< das erste Mal, daß die Polizei.«
Faber winkte lässig ab. »Sie brauchen für dieses Ereignis keine Bronzetafel am Haus anzubringen. So wichtig ist das nicht. Herr Salzer.?«
»Oben -«, stammelte die Wirtin. »Er ist ganz gebrochen.«
»Dann richten wir ihn wieder auf.«
Julius Salzer sah nicht hoch, als Faber in die kleine Stube trat. Er saß vor Monikas Staffelei und starrte vor sich hin. Auf der Staffelei hing ein Entwurf zum Umschlag eines Buches von Jules Salai-re.
>Die Macht der Liebe< hieß es.
Faber nickte gedankenschwer.
»Der Titel ist ein wenig abgeklappert. Ich würde vorschlagen: Liebe ist Macht! Das klingt revolutionär! Das knallt! Heute will man was Hartes lesen.«
Salzer drehte sich langsam herum. »Wer sind Sie denn?« fragte er müde.
»Ludwig Faber von der Mordkommission -«
Salzer schnellte hoch. »Mordkommission!?« schrie er.
»Himmel, wie so ein Name wirkt.« Faber hob beide Hände. »Nun drehen Sie keinen Salto, junger Hemingway. Es ist noch gar nichts passiert! Außer, daß wir Ihre Monika noch nicht haben. Apropos, Ihre Monika. Wie lange kennen Sie sie?«
»Ein paar Tage.«
»Und schon untrennbar?«
»Ich nehme an, Sie halten nicht viel von der großen, aufflammenden Liebe.«
»Warum?«
»Als Beamter.«
»Auch Beamte sind Menschen. Auch der deutsche Beamte. Stimmt ... es ist schwer, manchmal daran zu denken, aber es ist so.« Faber lächelte und setzte sich auf Monikas Bett. Es war der einzige Sitzplatz im Raum außer dem Hocker, der hinter Salzer stand. »Hier wollte also Monika Horten leben! Finden Sie nicht, daß dies eine ungewohnte Umgebung für eine an sich reiche junge Frau ist?«
»Sie war Künstlerin.«
»Das habe ich heute schon oft gehört. Anscheinend haben die doch einen Tick.«
»Was wollen Sie?« Julius Salzer hatte sich gefaßt. Er konnte wieder klar denken. »Wollen Sie mich verhören?«
»Ja«, sagte Faber schlicht. »Das will ich. Wo waren Sie in der Nacht, in der Monika Horten verschwand? Hier?«
»Nein.«
»Wo?«
»In Soltau.«
»Ach. Und warum?«
»Ich erfuhr von dem Transporteur, daß Monika in Hannover geblieben war, um noch ihre Schwester zu sprechen. Sie wollte mit dem Zug nachkommen. Da bin ich nach Soltau gefahren, um sie von der Bahn abzuholen. Ich wollte sie überraschen. Aber sie kam nicht . ich habe bis zum letzten Zug gewartet.«
»Bis wann?«
»Bis gegen neun Uhr abends. Dann bin ich nach Hannover gefahren.«
»Was wollten Sie denn da?«
»Ich wollte zu Dahlmanns gehen und sehen, ob Monika noch dort war. Ich hatte ein unerklärliches Angstgefühl in mir. Ich habe manchmal diese Ahnungen . einmal habe ich einen Brand geträumt, der vier Tage später wirklich stattfand.«
»Das hätte genügt, Sie im Mittelalter zu verbrennen.« Ludwig Fa-ber betrachtete Salzer kritisch. Ein netter, junger Mann, dachte er. Offen und ehrlich. Nach der Physiognomielehre des alten Lombroso mußte Salzer ein wahrer Engel sein. Aber Faber hatte schon Mariengesichter erlebt, hinter denen die Giftmörderin lauerte. »Was haben Sie in Hannover gemacht?«