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In dieser Nacht schlief sie nicht. Sie lag im Bett, umklammerte den Brustbeutel und hatte den Wunsch, jetzt sterben zu können. Einschlafen . und nicht mehr aufwachen . wie herrlich mußte das sein. Und man würde Ruhe haben . endlich Ruhe . köstliche Ruhe vor den Menschen -

Als um halb acht Uhr morgens Fräulein Pleschke kam, hatte Luise nicht eine Stunde geschlafen. Aber sie war sich einer Erkennt-nis sicher geworden: Sie hielt die nervliche Belastung des grausamen Spieles nicht länger mehr aus -

Das Verhör durch den dicken Faber hatte Dahlmann mit neuer Energie geladen. Er wußte, daß die Kriminalpolizei jetzt die Jagdhütte Meter um Meter untersuchen würde, aber er war sich sicher, daß er keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Nicht einmal Fingerabdrücke ... er hatte alles am Bett, was mit Monika in Berührung gekommen war, mit einem nassen Tuch abgewischt. Sie würden nichts finden, aber ebenso sicher war es, daß er in den Kreis der Verdächtigen einbezogen war. Die Zeit war also kostbar . er mußte ihr entgegenlaufen, um nicht von ihr überrollt zu werden.

In der Nacht nach dem Besuch des dicken Faber im Krankenhaus erlebte die Nachtschwester einen kleinen Schock.

Bei der Kontrolle der Zimmer fand sie das Bett des Herrn Dahlmann leer. Statt seines Kopfes, der um diese Zeit Schnarchlaute von sich geben mußte, lag ein Zettel auf dem Kissen, dessen Text durchaus nicht zur Beruhigung der Nachtschwester beitrug:

»Liebe Schwester Innozenzia,

keine Sorge, ich bin nicht weg, ich mache nur einen kleinen Ausflug und bin am Morgen wieder da. Bitte, schlagen Sie keinen Lärm ... mir geschieht nichts.

Ihr Dahlmann.«

Schwester Innozenzia nahm den Zettel und rannte mit fliegenden Kleidern und wehender Haube zum Zimmer des diensttuenden Arztes. In dieser Nacht hatte ein junger Stationsarzt Dienst, der ungehalten über die Klopferei an der Tür lange brauchte, bis er endlich durch einen Türspalt hinaus auf den Flur spähte. Weiter konnte er die Tür nicht öffnen, denn er war nicht allein. Die Schwesternhelferin Marianne brachte ihn menschenfreundlich über die langen Nachtstunden.

Der junge Arzt nahm den Zettel, las ihn, lachte und gab ihn an die entsetzte Schwester Innozenzia zurück.

»Seien Sie ruhig, Schwester«, sagte er voll Verständnis. »Der Dahlmann ist einen saufen gegangen. Kein Grund zur Aufregung -«

»Aber mit seinen Rippenbrüchen -«

»Er hat Bandagen um, und wer weiß, wie Durst schmerzen kann.« Der junge Arzt grinste. »Schwester Innozenzia . je weniger Sie darüber sprechen, um so besser! Sie haben einfach nichts gesehen. Gute Nacht.«

Er schloß die Tür, reckte sich, gähnte und setzte die vergnügliche Nachtwache mit Marianne fort. Schwester Innozenzia aber gehorchte dem Rat der Vernunft, zerriß den Zettel Dahlmanns, spülte ihn im Klo weg und nahm sich vor, wirklich nichts gesehen zu haben.

Sauflöcher, diese Männer, dachte sie bloß. Selbst gebrochene Rippen halten sie nicht von der Theke ab -

Um diese Zeit befand sich Ernst Dahlmann bereits in seinem Haus. Nachdem er aus seinem Parterrefenster geklettert und durch den Krankenhausgarten geschlichen war, hatte er ein Taxi genommen und sich geradewegs zur Mohren-Apotheke fahren lassen. Der Taxifahrer, an vieles gewöhnt, übersah, daß sein Fahrgast im Schlafanzug und mit einem Bademantel darüber eingestiegen war . es gab so viele Situationen, die es erforderten, in ausgefallenen Bekleidungen ein Taxi zu nehmen. Auch daß er vor dem Haus warten sollte, verwunderte ihn nicht; ein alter Taxifahrer ist ein Lexikon an Lebenserfahrung.

Ernst Dahlmann stand vor der Wohnungstür und lauschte. Das Problem, ohne Schlüssel in die Wohnung zu kommen, gab es für ihn nicht. Im Labor hing in einem Schlüsselkasten für alle Schlösser der Reserveschlüssel, säuberlich beschriftet, wie es eine mustergültige Ordnung erfordert. Der Hofeingang war immer unverschlossen ... vom Hof ging man in einen Zwischenflur, von dem Apotheke und Wohnhaus getrennt wurden.

Dahlmann wartete im Hof und sah durch die Fenster in den Waschraum der Apotheke. Der Provisor vom Nachtdienst war im Laden und bediente einen Kunden . es war die beste Gelegenheit, durch den Flur ins Labor zu huschen, den Schlüssel für die Dielentür wegzunehmen und über den Stichflur ins Wohnhaus zu rennen.

Nun stand Dahlmann vor der Wohnungstür und schloß ganz langsam und leise auf. Er zog hinter sich die Tür wieder zu, horchte am Zimmer des Hausmädchens, hörte sie tief im Schlaf atmen, schlich weiter zum Schlafzimmer und zog vorsichtig die Tür auf.

Auch Luise schlief fest, auf die Seite gedreht. Ihr Atem war regelmäßig und ruhig. Leise öffnete Dahlmann den Schrank, nahm einen Anzug heraus, Unterwäsche, ein Oberhemd, Krawatte, Strümpfe und Schuhe, ging ins Bad und packte sein Rasierzeug zusammen, trug das Bündel hinaus in die Diele und legte es auf einen Stuhl. Dann begann auch er zu suchen, aber planmäßig, nach kurzer Überlegungspause.

Wo hebt man einen Anzug auf, den man zur Reinigung bringen will, dachte er. Und wenn er schon weggebracht ist . wo legt man den Tascheninhalt hin?

Nach dreimaligem vergeblichem Nachsehen im Bad, im Schlafzimmer und in der Küche fand er in der Besenkammer seinen blutverschmierten Anzug. Er ließ alles in den Taschen, nur die Brieftasche steckte er in den Bademantel. Dann rannte er zurück zu seinem Kleiderhaufen, packte ihn unter den Arm, verließ die Wohnung, schloß wieder ab und ging zum wartenden Taxi zurück. Der Fahrer krauste zwar die Stirn, aber er fragte nicht. Verrückte gibt's überall, dachte er. Der da kommt aus dem Krankenhaus und holt in der Nacht seine Klamotten . was geht's mich an?! Diese Ansicht vertrat er besonders, als Dahlmann ihm vor dem Krankenhaus aus der Brieftasche einen Zwanzigmarkschein in die Hand drückte und dazu sagte: »Ist gut so ... aber Mund halten, Kumpel!«

Da dies alles schnell ging, bemerkte Dahlmann nicht das Fehlen der Schecks in der Brieftasche. Außerdem lagen die Geldscheine in einem Nebenfach.

Durch den Garten schlich er wieder zurück zu seinem Zimmerfenster, warf die Kleider in das Zimmer und kletterte ächzend und mit starken Schmerzen in der Brust hinterher. Dann saß er eine Zeitlang keuchend auf dem Bett und unterdrückte einen in der Brust bohrenden Husten.

Gewonnen, dachte er bloß. Ich habe das Rennen gewonnen. Morgen spaziere ich aus dem Krankenhaus, gehe zur Bank, löse die Schecks ein und fahre mit dem nächsten Zug nach Basel. Ehe sie merken, was geschehen ist, bin ich über die Grenze. Mit sechzigtausend Mark! Ein freier Mann!

Er war so froh bei dem Gedanken, daß er leise vor sich hin pfiff, die Kleidung in den schmalen weißen Schrank räumte und sich zufrieden ins Bett legte.

Bei der zweiten Nachtrunde fand Schwester Innozenzia ihren verlorengegangenen Patienten Dahlmann wieder im Bett vor. Er schlief fest und selig lächelnd.

»Saufloch!« sagte Schwester Innozenzia und verließ wütend und doch erleichtert das Zimmer.

Dahlmann aber träumte vom Süden, von Palmen und blauem Meer, von weißen Segeln und hübschen, langbeinigen Mädchen. Und sie alle hatten das Gesicht von Monika . aber das störte seinen Traum nicht ... er war viel zu glücklich -

Am nächsten Morgen, gleich nach der Visite, zog er sich an.

Das neue Leben konnte beginnen.

Es fiel nicht auf, daß er das Krankenhaus verließ. Die Stationsschwester machte mit der Schwesternhelferin in einem anderen Zimmer die Betten, die Pfortenschwester ließ ihn passieren, ohne ihn überhaupt anzusehen ... er war für sie ein früher Besucher, wahrscheinlich von der Entbindungsstation. In der Nacht waren sechs Kinder geboren worden.

Vor dem Krankenhaus nahm Dahlmann wieder ein Taxi und ließ sich zur Bank fahren. Er war in fröhlicher Stimmung, lehnte sich weit in die Polster zurück und fühlte sich so losgelöst und glücklich wie selten in seinem Leben. Auch wenn er nur einen Teil dessen erreicht hatte, was sich ihm geboten hätte, wenn die widrigen Verwicklungen nicht dazwischengekommen wären, hatte er doch das