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»Eine Lauerstrategie kann trotzdem beibehalten werden«, sagte die Stimme eines männlichen Aufsteigers. »Wir können die Talwände sprengen und es so aussehen lassen, als ob ein massiver Bergrutsch das Dorf am Grunde zerstört hätte.«

»Ha, diese Kerle gehen wirklich locker ran«, drang Benny Wens Stimme über den privaten Kanal an sein Ohr. Ezr antwortete nicht. Der Vorschlag der Aufsteiger war nicht direkt irrational, nur… fremdartig. Die Dschöng-Ho-Leute trieben Handel. Die sadistischeren unter ihnen genossen es vielleicht, wenn sie die Konkurrenz an den Bettelstab brachten, doch fast alle wollten, dass sich die Kunden darauf freuten, das nächste Mal ausgenommen zu werden. Einfach nur kaputtmachen oder stehlen war… roh. Und wozu es tun, wenn sie doch wiederkommen konnten, um weiter zu sondieren?

Hoch oben wurde der Vorschlag der Aufsteiger höflich abgelehnt, und eine Nachfolgemission in dieses glorreiche Tal wurde obenan auf die Liste für künftige gemeinsame Unternehmungen gesetzt.

Diem schickte Benny und Ezr Vinh los, die Regale auszukundschaften. Diese Bibliothek enthielt vielleicht einhunderttausend Bände, nur ein paar Gigabyte, doch für die verbleibende Zeit war das viel zu viel. Am Ende würden sie vielleicht eine Auswahl treffen müssen, in der Hoffnung, den heiligen Gral solch einer Operation zu finden — eine illustrierte Kinderfibel.

Während die Kilosekunden vergingen, ließ Diem seine Truppmitglieder abwechselnd den Scanner füttern, zu lesende Bücher von den oberen Etagen herabholen und sie wieder an ihren ursprünglichen Platz stellen.

Als Vinhs Essenspause kam, war der EinAus von seiner Stellung nahe beim Zenit herabgeglitten. Jetzt stand er knapp über den Felszacken am anderen Ende des Tals und warf Schatten der Gebäude die Straße entlang. Ezr fand ein schneefreies Fleckchen Boden, warf eine Isolationsmatte darauf und setzte sich. Oh, das tat gut. Diem hatte ihm fünfzehnhundert Sekunden für diese Pause gegeben. Er hantierte an seinem Speisespender und kaute gemächlich ein paar Fruchtriegel. Er hörte Trixia, doch sie war sehr beschäftigt. Sie hatten noch keine ›illustrierte Kinderfibel‹, doch sie hatten etwas fast ebenso Gutes gefunden, einen Haufen Physik- und Chemie-Lehrbücher. Trixia schien zu glauben, dies sei eine Art technische Bibliothek. Gerade jetzt diskutierten sie über eine Beschleunigung des Scans. Trixia meinte eine korrekte graphische Analyse der Schrift zu besitzen, also konnten sie jetzt zu klügeren Lesemethoden übergehen.

Ezr hatte von dem Augenblick an, da er Trixia begegnete, gewusst, dass sie klug war. Aber sie war nur eine Vertreterin einer Kundenzivilisation, die sich auf Linguistik spezialisiert hatte, ein Gebiet, in dem die Wissenschaftler der Dschöng Ho brillierten. Was konnte sie wirklich beisteuern? Jetzt… nun ja, er hörte das Gespräch dort oben. Die anderen Sprachspezialisten bezogen sich immer wieder auf Trixia. Vielleicht war das keine Überraschung. Die gesamte Zivilisation von Triland hatte im Wettbewerb um die begrenzte Anzahl von Plätzen in der Expedition gestanden. Wenn man unter fünfhundert Millionen Menschen den besten auf einem Fachgebiet auswählte…, dann würde dieser Ausgewählte wirklich verdammt gut sein. Vinhs Stolz, sie zu kennen, schwand für einen Moment: Eigentlich war er es, der seine Position im Leben überschätzte, indem er sie begehrte. Ja, Ezr war ein wichtiger Erbe der Familie Vinh.23, doch er selbst… war durchaus nicht so klug. Schlimmer noch, er schien seine ganze Zeit mit Tagträumen von anderen Orten und anderen Zeiten zu verbringen.

Diese entmutigende Richtung der Gedanken schwenkte in eine vertraute Richtung ein: Vielleicht würde er hier beweisen, dass er nicht so unpraktisch war. Die Spinnen waren vielleicht lange Zeit von ihrer ursprünglichen Zivilisation entfernt. Ihre gegenwärtige Epoche konnte dem Zeitalter der Morgenröte in vielem ähnlich sein. Vielleicht würde er eine Erkenntnis haben, die den Schatz der Flotte ausmachen — und ihm Trixia Bonsol einbringen würde. Sein Geist glitt in glückliche Möglichkeiten fort, ohne jemals zu den mühseligen Einzelheiten hinabzusteigen…

Vinh warf einen Blick auf sein Chron. Aha, er hatte noch fünfhundert Sekunden! Er stand auf, schaute durch die länger werdenden Schatten zu der Stelle, wo die Straße in die Bergflanke hineinstieg. Den ganzen Tag hatten sie sich so auf die vorrangigen Fragen der Mission konzentriert, dass sie nie Zeit zu einer allgemeinen Besichtigung gehabt hatten. Eigentlich waren sie direkt vor einer Ausweitung der Straße stehen geblieben, fast vor einem Platz.

Während der hellen Zeit hatte es eine Menge Vegetation gegeben. Die Berge waren mit den verdrehten Überresten von Dingen bedeckt, die Bäume gewesen sein konnten. Hier unten war die Natur sorgfältig zurechtgestutzt worden; in regelmäßigen Abständen entlang der Straße fanden sich die organischen Rückstände einer Art von Zierpflanzen. Ein Dutzend solcher Haufen umrandete den Platz.

Vierhundert Sekunden. Er hatte Zeit. Er ging rasch zum Rande des Platzes, begann ihn dann zu umrunden. In der Mitte des Kreises befand sich ein kleiner Hügel, der Schnee bedeckte seltsame Formen. Als er die andere Seite erreicht hatte, schaute er ins Licht. Ihre Arbeit in der Bibliothek hatte den Ort so aufgeheizt, dass ein Nebel von zeitweiliger, örtlicher Atmosphäre aus dem Gebäude drang. Sie wehte über die Straße, kondensierte und sank wieder zu Boden. Das Licht des EinAus schien in rötlichen Balken durch sie hindurch. Abgesehen von der Farbe, hätte es beinahe Bodennebel auf der Hauptebene im Temp seiner Eltern während einer Sommernacht sein können. Und die Talwände hätten Trennwände des Temps sein können. Einen Augenblick lang war Vinh von dem Bild überwältigt, dass ein derart fremdartiger Ort auf einmal so vertraut, so friedlich sein konnte.

Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder der Mitte des Platzes zu. Diese Seite war fast frei von Schnee. Vor ihm lagen seltsame Formen, halb von der Dunkelheit verborgen. Der Boden war frei von Schnee und knirschte wie gefrorenes Moos. Er blieb stehen, holte tief Luft. Die dunklen Dinge in der Mitte — das waren Statuen. Von Spinnen! Noch ein paar Sekunden, und er würde den Fund melden, doch im Augenblick bewunderte er die Szene allein und schweigend. Natürlich kannten sie bereits die ungefähre Form der Einheimischen; die früheren Landeunternehmen hatten ein paar grobe Bilder gefunden. Aber — Vinh schaltete die Bilderfassung höher — dies waren lebensechte Statuen, mit feinsten Einzelheiten aus einem dunklen Metall geformt. Da waren drei von den Geschöpfen, lebensgroß, wie er annahm. Das Wort ›Spinne‹ ist Alltagssprache, die Art Begriff, der sich im Lichte eingehender Untersuchung fast bis zur Nutzlosigkeit auflöst. In den Temps von Ezrs Kindheit hatte es verschiedene Arten von Viechern gegeben, die ›Spinnen‹ genannt wurden. Manche hatten sechs Beine, manche acht, zehn oder zwölf. Manche waren fett und behaart. Manche waren schlank, schwarz und giftig. Diese Wesen sahen ziemlich wie die schlanke, zehnbeinige Sorte aus. Aber entweder trugen sie Kleidung, oder sie waren stacheliger als ihre Namensvettern. Ihre Beine waren umeinander geschlungen, als ob alle nach etwas Verborgenem unter ihnen griffen. Hatten sie Sex miteinander, kämpften sie, oder was? Ezrs Phantasie mühte sich ab.

Wie war es hier gewesen, als die Sonne das letzte Mal hell geschienen hatte?

Vier

Es ist ein abgegriffenes Klischee, dass die Welt in den Jahren einer Schwindenden Sonne am angenehmsten ist. Das Wetter ist nicht mehr so heftig, überall hat man das Gefühl, dass es langsamer geht, und die meisten Orte erleben ein paar Jahre, wo die Sommer nicht heiß und die Winter noch nicht allzu grimmig sind. Es ist die klassische Zeit der Romantik. Es ist eine Zeit, die höheren Wesen verführerisch bedeutet, sie sollten sich entspannen, die Dinge verschieben. Es ist die letzte Gelegenheit, sich auf das Ende der Welt vorzubereiten.