Es war pures Glück, dass Scherkaner Unterberg die schönsten Tage des Schwindens für seine erste Fahrt zum Landeskommando ausgewählt hatte. Bald stellte er fest, dass sein Glück Kontra bekam: Die gewundenen Küstenstraßen waren nicht für Automobile gebaut worden, und Scherkaner war kein annähernd so geschickter Automobilist, wie er geglaubt hatte. Mehr als einmal raste er in eine Haarnadelkurve, für die der Treibriemen des Autos falsch eingestellt war und nichts als Lenken und Bremsen ihn daran hindern konnten, ins neblige Blau des Großen Meeres zu fliegen (obwohl er zweifellos nicht so weit gekommen und in den Wald weiter unten gestürzt wäre, doch mit ebenso tödlicher Wirkung).
Scherkaner gefiel es. Binnen weniger Stunden hatte er den Dreh raus, wie er mit der Maschine umgehen musste. Wenn er jetzt auf zwei Räder hochging, geschah es fast absichtlich. Es war eine schöne Fahrt. Die Einheimischen nannten diese Route den ›Stolz des Einklangs‹, und die Königliche Familie hatte es nie gewagt, sich deswegen zu beschweren. Dies war der Höhepunkt eines Sommers. Der Wald war ganze dreißig Jahre alt, ungefähr so alt, wie Bäume überhaupt werden konnten. Sie ragten gerade und hoch und grün empor und wuchsen bis an den Rand der Landstraße.
Der Duft von Blumen und Baumharz strich kühl an seinem Sitzgitter im Auto vorbei.
Er sah nicht viel andere zivile Autos. Es gab eine Menge Osprech-Zugkarren, ein paar Lastwagen und unangenehm viele Armeekonvois. Die Reaktionen, die er bei den Zivilisten auslöste, waren eine wunderbare Mischung: irritiert, amüsiert, neidisch. Mehr noch als in der Umgebung von Weißenberg sah er Weibsbilder, die schwanger aussahen, und Kerle mit Dutzenden von Babyschnüren auf dem Rücken. Wenn sie winkten, schienen manche Scherk nicht nur um sein Automobil zu beneiden. Und manchmal bin ich ein wenig neidisch auf sie. Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, ohne zu versuchen, ihn vernunftmäßig zu betrachten. Instinkt war so etwas Faszinierendes, vor allem, wenn man ihn von innen betrachtete.
Die Meilen glitten vorbei. Während Körper und Sinne die Fahrt genossen, driftete der Hintergrund von Scherkaners Denken weg: die Hochschule, wie er dem Landeskommando seine Pläne beibringen sollte, die wahrlich vielfältigen Wege, wie dieses Automobil verbessert werden konnte. Spät am ersten Nachmittag kam er in eine kleine Waldstadt. OB DER TIEFE stand auf dem altertümlichen Schild; Scherkaner war sich nicht sicher, ob das ein Ortsname oder einfach eine Beschreibung war.
Er hielt beim örtlichen Grobschmied an. Der Schmied hatte dasselbe sonderbare Lächeln wie manche Leute an der Straße. »’n schönes Auto-Mobil haben Sie da.« Es war tatsächlich ein sehr hübsches und teures Automobil, ein brandneuer Relmeitch. Es überstieg bei weitem die Mittel eines durchschnittlichen Studenten. Scherkaner hatte es zwei Tage zuvor in einem Kasino außerhalb des Campus gewonnen. Das war eine riskante Sache gewesen. Scherkaners Anblick war in allen Spielhäusern ring um Weißenberg wohlbekannt. Die Gilde der Eigentümer hatte ihm gesagt, sie würden ihm jeden Arm einzeln brechen, wenn sie ihn jemals wieder in der Stadt beim Spielen erwischten. Aber er war ja sowieso bereit gewesen, Weißenberg zu verlassen — und er wollte wirklich gern mit Automobilen experimentieren. Der Schmied umrundete das Automobil und tat so, als bewundere er die silbernen Zierleisten und die drei rotierenden Kraftzylinder. »So. Sin’ wohl von weit her, was? Was wer’n Sie machen, wenn das Ding nich mehr funktioniert?«
»Etwas Kerosin kaufen?«
»Ach, das ham wir. Manche Landmaschinen brauchen welches. Nein, ich meine, was is, wenn Ihr Vehikel kaputtgeht? Das machen die alle, wissen Sie. Sind ziemlich zerbrechlich, nich wie Zugtiere.«
Scherkaner grinste. Er sah mehrere Autowracks im Walde hinter der Schmiede. Das war der rechte Ort. »Das könnte ein Problem sein. Aber sehen Sie, ich habe da ein paar Ideen. Es ist Arbeit mit Leder und Metall, die Sie interessieren könnte.« Er umriss zwei von den Ideen, die ihm am Nachmittag gekommen waren, etwas, das leicht zu machen sein müsste. Der Schmied war einverstanden, immer froh, Geschäfte mit Verrückten zu machen. Doch Scherkaner musste ihn im Voraus bezahlen; zum Glück wurde die Währung der Bank von Weißenberg akzeptiert.
Später fuhr Unterberg durch die kleine Stadt und suchte ein Gasthaus. Auf den ersten Blick war das ein friedlicher, zeitloser Ort zum Leben. Es gab eine traditionalistische Kirche des Dunkels, so einfach und verwittert, wie sie es in diesen Jahren sein sollte. Die Zeitungen, die das Postamt anbot, waren drei Tage alt. Die Schlagzeilen waren zwar groß und rot und kreischten von Krieg und Invasion, doch selbst als ein Konvoi zum Landeskommando durchfuhr, wurde er nicht besonders beachtet.
Wie sich erwies, war Ob der Tiefe zu klein für Gasthäuser. Der Besitzer des Postamtes wies ihm den Weg zu ein paar Häusern, wo er Unterkunft bekommen könnte. Während sich die Sonne zum Ozean senkte, fuhr Scherkaner über Land, verirrt und auf Erkundung. Der Wald war schön, ließ aber nicht viel Platz für Landwirtschaft. Die Einheimischen verdienten sich ihren Lebensunterhalt zum Teil durch Arbeit und Handel außerhalb, doch sie arbeiteten hart an ihrem Berggarten — und sie hatten höchstens noch drei gute Jahre, bevor die Fröste tödlich werden würden. Die örtlichen Erntespeicher wirkten gut gefüllt, und ein stetiger Strom von Wagen pendelte zu den Bergen und zurück. Die Gemeindetiefe lag etwa fünfzehn Meilen weiter dort oben. Es war keine große Tiefe, doch sie genügte für den größten Teil der Leute hier draußen. Wenn diese Leute nicht genug gespart hatten, würden sie in den ersten, harten Jahren des Großen Dunkels sicherlich Hunger leiden; sogar in einer modernen Zivilisation gab es ziemlich wenig Nächstenliebe für gesunde Leute, die nicht für jene Jahre vorgesorgt hatten.
Der Sonnenuntergang überraschte ihn auf einem Landvorsprung mit Blick auf den Ozean. Der Boden fiel auf drei Seiten ab, im Süden zu einem kleinen, baumbestandenen Tal. Auf der Anhöhe jenseits des Tales stand ein Haus, das wie eines der vom Postmeister beschriebenen aussah. Doch Scherk hatte es nicht eilig. Dies war der schönste Anblick des Tages. Er sah zu, wie die Kuntertöne sich zu ärmeren Farben verschoben, wie die Spur der Sonne am fernen Horizont verblasste.
Dann wendete er sein Automobil und fuhr die steile, unbefestigte Straße ins Tal hinab. Das Dach des Waldes schloss sich über ihm — und er geriet in die schwierigste Fahrt des Tages, obwohl er langsamer fuhr, als ein Kupp gehen konnte. Das Auto kippte und rutschte in fußtiefe Rinnen. Es waren hauptsächlich die Schwerkraft und Glück, die ihn davor bewahrten, festzusitzen. Als er das Bachbett am Grunde erreicht hatte, fragte sich Scherkaner ernstlich, ob er seine blanke neue Maschine hier unten würde zurücklassen müssen. Er starrte voraus und nach den Seiten. Die Straße war noch in Gebrauch; jene Wagenrinnen waren frisch.
Der leichte abendliche Windhauch trug den Gestank von Mist und faulendem Müll heran. Eine Müllgrube? Ein sonderbarer Gedanke in der Wildnis. Es gab Haufen von nicht auszumachendem Unrat. Doch es gab auch ein baufälliges Haus, halb zwischen den Bäumen versteckt. Seine Wände waren krumm, als wären die Balken nie getrocknet worden. Das Dach war eingesackt. Löcher waren mit Strauchwerk zugestopft. Der Boden zwischen der Straße und dem Haus war abgegrast. Das erklärte vielleicht den Mist: Beim Bach waren ein paar Osprechs angebunden, knapp oberhalb des Hauses.
Scherkaner hielt an. Die Rinnen der Straße verschwanden zwanzig Fuß weiter im Bach. Einen Augenblick lang starrte er überwältigt hin. Das mussten echte Hinterwäldler sein, so fremdartig wie nur irgend etwas, das der in der Stadt aufgewachsene Scherkaner Unterberg jemals gesehen hatte. Er erwog auszusteigen. Die Sichtweisen, die sie haben würden! Was er alles lernen könnte. Dann ging ihm auf, dass, wenn ihre Sichtweise fremdartig genug war, diese Leute von seiner Anwesenheit vielleicht nicht so erbaut waren.