»Danke, General. Danke.« Ezr reckte sich vor, um Ritas Geschenk an sich zu nehmen.
Die Stimme der Spinne ebbte ab, verstummte, setzte dann ruhiger wieder ein; sie klang irgendwie wie Wassertropfen, die von heißem Metall wegspritzen. »Und ich nehme an, Sie gedenken auch Ritser Brughel zu retten?«
»Nicht ihn zu retten, Frau General. Im Laufe der Jahre hat Ritser Brughel wahrscheinlich mehr von unseren Leuten umgebracht als von Ihren. Er hat sich für vieles zu verantworten.«
»Ja. Diesen einen werde ich Ihnen unmöglich überlassen.« Jetzt war Broutes Stimme selbstgefällig, und Ezr ahnte, dass es in diesem einen Punkt keine Meinungsverschiedenheiten auf Seiten der Spinnen gab.
Und vielleicht war es so am besten. Ezr zuckte die Achseln. »Sehr gut. Es ist an Ihnen, ihn zu bestrafen.«
Die Spinne wurde sehr ruhig, sogar ihre Esshände. »Bestrafen? Sie verstehen das falsch. Diese albernen Verhandlungen haben uns einen einzigen funktionierenden Menschen gelassen. Jede Bestrafung kann sich nur nebenher ergeben. Wir erfahren viel, indem wir die Menschenleichen sezieren, aber wir brauchen unbedingt ein lebendes Versuchsobjekt. Wo liegen eure physischen Grenzen? Wie reagiert ihr Wesen auf Extreme von Schmerz und Furcht? Wir möchten Stimuli testen, die wir nicht in Ihren Datenbanken finden. Ich gedenke Ritser Brughel lange, lange Zeit leben zu lassen.«
Ritser Brughel ist so ziemlich der ausgefallenste Typ Mensch, den man finden kann. Doch irgendwie war das vielleicht nicht das Klügste, was er hier und jetzt sagen konnte. Stattdessen nickte Ezr einfach. Und zum ersten Mal sah er eine Möglichkeit, wie Ritser ein Schicksal erleiden konnte, das seinen Verbrechen angemessen war. Der Spinnen-Albtraum des Hülsenmeisters würden sein ganzes restliches Leben sein.
Fünfundsechzig
Ezr Vinh kehrte als Held nach L1 zurück. Möglicherweise war nie ein Eigner oder Flottenpartner mit der Begeisterung begrüßt worden, die er beim Felshaufen vorfand. Er brachte die ersten von den freigelassenen Gefangenen mit, darunter Jau Xin. Er brachte auch die ersten von ihren neuen Partnern mit: die ersten Spinnen, die als Raumfahrer dienen sollten.
Ezr bemerkte es kaum. Er lächelte, er redete, und als er Rita und Jau zusammen sah, empfand er eine ferne Freude.
Als Letzte kam Floria Peres aus dem Landeboot. Sie war eins von den Kälteschlaf-Opfern in Ritsers geheimem Vorrat gewesen, bis ganz zum Schluss unbenutzt aufgespart. Selbst nach zweihundert Kilosekunden machte die Frau einen schrecklichen, verlorenen Eindruck. Als Ezr sie nach draußen führte, fiel Schweigen auf die Menge im Korridor. Qiwi glitt vorwärts. Sie hatte sich erboten, den Opfern zu helfen, doch als sie kurz vor Floria anhielt, bekam Qiwi sehr große Augen, und ihre Lippen zitterten. Die beiden starrten einander einen Moment lang an. Dann bot Qiwi Floria die Hand, und die Menge teilte sich hinter ihnen.
Ezr sah zu, wie sie sich entfernten, doch in Gedanken war er anderswo: Eine Kilosekunde nach seinem Abflug von der Arachna hatte Anne Reynolt mit Trixias Defokussierung begonnen. Während der zweihundert Kilosekunden des Rückflugs zum Felshaufen hatte Pham regelmäßig über ihre Fortschritte berichtet. Diesmal führte kein Weg zurück. Trixia war über das Vorbereitungsstadium hinaus. Zuerst war die Geistfäule stillgelegt und dann Trixia in ein künstliches Koma versetzt worden. Von dort aus wurde das Muster der Drogenabsonderung durch die Fäule allmählich verändert. »Anne hat das jetzt Hunderte von Malen gemacht, Ezr«, sagte Pham. »Sie sagt, es läuft jetzt gut. Trixia müsste ein paar Kilosek nach deiner Rückkehr aus der Klinik kommen.«
Keine Verzögerungen mehr. Endlich würde Trixia frei sein.
Zwei Tage später kam die Nachricht. Trixia ist soweit.
Ezr besuchte Qiwi, ehe er in die Defokussierungs-Klinik ging. Qiwi arbeitete mit ihrem Vater an der Wiederherstellung des Seeparks. Die meisten Bäume waren gestorben, aber Ali Lin glaubte, er könnte sie wiederherstellen. Sogar defokussiert hatte Ali Lin wunderbare Ideen für den Park. Doch jetzt konnte der Mann auch seine Tochter lieben. Trixia wird auch so sein, so frei wie vor dem Albtraum.
Qiwi unterhielt sich mit den Spinnen, als Ezr den Weg durch den zerstörten Wald entlangkam. Hoch über ihnen kreisten Kätzchen, in denen Neugier und Arachnophobie kämpften.
»Wir möchten mit dem See etwas Neues machen, eine Art freie Form mit einer eigenen, besonderen Ökologie.« Die Spinnen waren jetzt ein wenig größer als Qiwi. Unter der Mikroschwerkraft waren sie keine niedrigen, breiten Wesen mehr. Die natürliche Spannung in ihren Gliedern erzeugte eine Spinnenversion der Null-g-Hocke; ihre Arme und Beine streckten sich weit unter ihnen und ließen sie groß und schlank erscheinen. Die kleinste — wahrscheinlich Rhapsa Lichtberg — sprach gerade. Die zischelnde Stimme wahr fast musikalisch im Vergleich zu der von Belga Untersiedel.
»Wir werden es sehen, aber ich bezweifle, dass viele von uns hier leben werden wollen. Wir möchten mit unseren eigenen Temps experimentieren.« Broute Zinmin übersetzte, sein Ton war froh und locker. Mittlerweile war er vielleicht der letzte fokussierte Übersetzer.
Qiwi bedachte die Spinnen mit einem Grinsen. »Ja, ich bin so neugierig, was ihr am Ende tun werdet. Ich…« Sie schaute hoch, sah Ezr.
»Qiwi, kann ich mit dir reden?«
Sie bewegte sich bereits auf ihn zu. »Einen Augenblick, Rhapsa, bitte?«
»Klar.« Die Spinnen gingen auf spitzen Füßen beiseite, während Zinmin Ali Lin weiterhin mit Fragen überschüttete.
Ezr und Qiwi waren dreißig Zentimeter voneinander entfernt. »Qiwi. Vor ungefähr zweitausend Sekunden haben sie Trixia defokussiert.«
Das Mädchen lächelte, eine strahlende Geste. Sie verfügte immer noch über eine kindliche Intensität. Irgendwie war Qiwi bei allem, was sie durchgemacht hatte, ein aufgeschlossener Mensch geblieben. Und jetzt befand sie sich im Zentrum der Verhandlungen mit den Spinnen, war der Ingenieur, den sie allen anderen vorzogen. Jetzt sah er wirklich, wie weit sich ihre Klugheit erstreckte, von Dynamik über Biowissenschaft bis zu knallharten Geschäftsabschlüssen. Qiwi kam dem Geist der Dschöng Ho sehr nahe.
»Wird… wird sie in Ordnung sein?« Qiwi machte große Augen und hielt die Hände ineinander verschränkt.
»Ja! Ein wenig Desorientierung, sagt Anne, aber ihr Geist und ihre Persönlichkeit sind intakt, und… und ich kann später hingehen und sie sehen.«
»Oh, Ezr! Ich freu mich so für sie.« Qiwis Hände ließen einander los und streckten sich zu seinen Schultern aus. Plötzlich war ihr Gesicht sehr nahe, und ihre Lippen streiften über seine Wange.
»Ich wollte dich treffen, ehe ich mit ihr rede…«
»Ja?«
»Ich… ich wollte dir einfach danken, dass du mein Leben gerettet hast, uns alle gerettet hast.« Ich wollte dir danken, dass du mir meine Seele zurückgegeben hast. »Wenn Trixia und ich jemals etwas für dich tun können…«
Und sie war wieder auf Armabstand, und ihr Lächeln wirkte etwas sonderbar. »Keine Ursache, Ezr. Aber… du brauchst nicht zu danken. Ich bin froh, dass es für dich glücklich ausgeht.«
Ezr ließ sie los und wandte sich bereits den Führungsseilen zu, die Ali für die Rekonstruktionsarbeiten angebracht hatte. »Es ist eher ein glücklicher Anfang, Qiwi. All die Jahre waren tote Zeit, und jetzt endlich… He, ich rede später mit dir!« Er winkte und zog sich immer schneller voran, zurück zum Eingang der Höhle.
Reynolt hatte den Gruppenraum im Dachgeschoss in eine Rekonvaleszenzstation umgewandelt. Wo Blitzköpfe Wache um Wache fokussiert im Dienste des Hülsenmeisters verbracht hatten, wurden sie jetzt befreit.
Anne hielt ihn im Korridor vor dem Gruppenraum auf. »Ehe Sie hineingehen, vergessen Sie nicht…«