Brughel mit schärfer werdender Stimme: »Sie haben doch sicherlich Reservekanäle?«
Der Dschöng-Ho-Techniker antwortete nicht.
Eine dritte Stimme: »Wir haben gerade einen EM-Impuls abgekriegt. Ich denke, ihr seid mit dem Absprengen an der Oberfläche fertig?«
»Sind wir auch!« Brughel klang gereizt.
»Also, wir haben gerade noch drei Impulse gekriegt. Ich… Jawohl!«
Elektromagnetische Impulse? Vinh versuchte sich aufzusetzen, doch die Beschleunigung war zu stark, und plötzlich schmerzte sein Kopf ärger als je zuvor. Sag noch was, verdammt! Aber der Bursche, der gerade »jawohl« gesagt hatte — dem Klang nach ein Dschöng-Ho-Waffenführer —, war nicht mehr auf Sendung, oder wahrscheinlicher hatte er den Modus gewechselt und sich verschlüsselt.
Die Stimme des Aufsteigers kam abgehackt und wütend: »Ich will mit jemandem mit Befehlsgewalt reden. Sofort! Wir erkennen Zielsuchlaser, wenn sie auf uns gerichtet werden. Schalten Sie sie ab, oder wir werden es alle bereuen.«
Ezrs Datenbrille wurde volldurchsichtig, und er schaute auf die Schotts des Landers. Das Hintergrunds-Backup flackerte auf, aber das Bild war eine Abfolge zufälliger Notprozeduren.
»Scheiße!« Das war Jimmy Diem. Vorn in der Kabine hämmerte der Truppführer auf einem Schaltpult herum. Irgendwo hinter Vinh war zu hören, wie sich jemand übergab. Es war wie in einem von diesen Albträumen, wo alles auf einmal verrückt spielt.
In diesem Augenblick erreichte der Lander den Brennschluss. Binnen drei Sekunden wich der schreckliche Druck von Vinhs Brust, und es gab die tröstliche Vertrautheit von Null-g. Er löste seine Liegehalterung und glitt nach vorn zu Diem.
Von der Decke her war es leicht, mit dem Kopf nahe an Diems Kopf zu stehen und die Notbildschirme zu betrachten, ohne dem Truppführer in den Weg zu kommen. »Wir schießen wirklich auf sie?« Gott, aber mein Kopf tut weh! Als er versuchte, die Anzeigen auf Diems Steuerpult zu lesen, verschwammen die Zeichen vor seinen Augen.
Diem wandte den Kopf ein kleines Stück, um Ezr anzuschauen. Qual stand ihm ins Gesicht geschrieben; er konnte sich kaum bewegen. »Ich weiß nicht, was wir tun. Ich kriege keine Gemeinbilder mehr. Schnall dich fest…« Er beugte sich vor, um den Bildschirm genauer zu studieren. »Das Flottennetz ist auf Verschlüsselung geschaltet, und wir stecken im letzten Sicherheitsniveau«, was bedeutete, dass sie kaum Informationen bekommen würden, ausgenommen direkte Befehle von Parks Waffenführern.
Die Decke verpasste Vinh einen kräftigen Schlag auf den Hintern, und er begann ins Hintere der Kabine zu gleiten. Der Lander wendete — irgendeine von außen eingegebene Notprozedur; der Autopilot hatte nicht vorgewarnt. Höchstwahrscheinlich bereitete sie das Flottenkommando auf eine neue Antriebsphase vor. Er schnallte sich hinter Diem fest, gerade, als das Haupttriebwerk des Landers mit etwa einem Zehntel g zu arbeiten begann. »Sie führen uns auf eine niedrigere Bahn… aber ich sehe nichts, was zu einem Rendezvous käme«, sagte Diem. Er tippte ungeschickt auf dem Passwort-Feld unter dem Bildschirm. »In Ordnung, jetzt schnüffle ich selber ein bisschen… Ich hoffe, Park ist nicht zu sauer…«
Hinter ihnen hörte man wieder jemanden sich erbrechen. Diem setzte dazu an, den Kopf zu drehen, zuckte zusammen. »Sie sind der Bewegliche, Vinh. Kümmern Sie sich darum.«
Ezr glitt die Leiter des Hauptgangs entlang und ließ die Zehntel-g-Schwere die Arbeit für ihn machen. Bei der Dschöng Ho verbrachte man sein Leben bei wechselnden Beschleunigungen. Medizin und gute Zucht sorgten dafür, dass Orientierungskrankheit bei ihnen selten vorkam. Aber sowohl Tsufe Do als auch Pham Patil hatten sich übergeben, und Benny Wen krümmte sich zusammen, soweit die Halterungen es zuließen. Er hielt sich die Schläfen und wiegte sich in sichtlicher Qual hin und her. »Der Druck, der Druck…«
Vinh schob sich an Patil und Do heran und saugte mit dem Schlauch sanft das Erbrochene weg, das an ihren Overalls herabtropfte. Tsufe schaute zu ihm auf, Peinlichkeit stand in ihren Augen. »Ich hab noch nie gereihert…«
»Das liegt nicht an dir«, sagte Vinh und versuchte, an dem Schmerz vorbei zu denken, der immer schlimmer zudrückte. Dumm, dumm, dumm. Wie konnte es so lange dauern, es zu begreifen? Es war nicht die Dschöng Ho, die die Aufsteiger angriff; irgendwie war es genau das Gegenteil.
Auf einmal konnte er wieder nach draußen sehen. »Ich habe ein lokales Gemeinbild«, erklang Diems Stimme in seinen Ohrhörern. Die Worte des Truppführers kamen in kurzen, gequälten Ausbrüchen. »Fünf Hoch-g-Bomben von Aufsteiger-Positionen… Zieclass="underline" Parks Flaggschiff…«
Vinh lehnte sich über die Reihe von Liegen und schaute hinaus. Die Düsenflammen der Projektile zeigten vom Blickpunkt des Landers weg; es waren fünf schwache Sterne, die sich immer schneller über den Himmel bewegten, von verschiedenen Seiten auf die DHS Pham Nuwen zu. Doch ihre Flugbahnen waren keine glatten Bögen. Es waren scharfe Kurven und Schwankungen darin.
»Wir müssen unsere Laser auf ihnen haben. Sie schlagen Haken.«
Eins von den winzigen Lichtern verschwand. »Wir haben eine erwischt! Wir…«
Vier Lichtpunkte explodierten am Himmel. Es wurde immer heller, tausendmal heller als die verblasste Sonnenscheibe.
Dann war das Bild wieder weg. Die Kabinenbeleuchtung erlosch, ging kurz wieder an, wieder aus. Das tiefste Notsystem schaltete sich ein. Es gab ein schwaches rotes Liniennetz, das Ausrüstungsbuchten, Luftschleuse, das Notpult umrahmte. Das System war strahlengeschützt, aber sehr simpel und energiesparsam. Es gab nicht einmal eine Ersatz-Bildanzeige.
»Was ist mit Parks Flaggschiff, Truppführer?«, fragte Vinh. Vier Detonationen in nächster Nähe, so schrecklich hell — die Ecken eines regelmäßigen Tetraeders, die ihr Opfer umkrallten. Das Bild war fort, doch es hatte sich für immer in seine Erinnerung eingebrannt. »Jimmy!«, schrie Vinh nach vorn. »Was ist mit der Pham Nuwen?« Die roten Notlichter schienen um ihn zu schwingen; er verlor fast das Bewusstsein bei dem Schrei.
Dann kam Diems Stimme heiser und laut. »Ich… ich glaube, sie ist weg.« Geröstet, verdampft, keine der Umschreibungen fiel noch leicht. »Ich habe jetzt nichts, aber die vier Sprengköpfe… Gott, die waren direkt drüber!«
Etliche andere Stimmen unterbrachen ihn, doch sie waren sogar schwächer als die von Jimmy Diem. Als sich Vinh wieder auf den Weg nach vorn zu ihm machte, hörte der Zehntel-g-Schub auf. Ohne Licht und ohne Gehirn, was war der Lander anderes als ein dunkler Sarg? Zum ersten Mal im Leben spürte Ezr Vinh das Entsetzen, das der Verlust der Orientierung bei Planetenbewohnern auslöste: Schwerelosigkeit konnte bedeuten, dass sie die vorgesehene Umlaufbahn erreicht hatten oder dass sie in einer ballistischen Kurve fielen, die die Oberfläche des Planeten schnitt…
Vinh unterdrückte sein Entsetzen und glitt vorwärts. Sie konnten das Notpult benutzen. Sie konnten auf eine Nachricht lauschen. Sie konnten den Autopiloten vor Ort benutzen, um zu den überlebenden Dschöng-Ho-Kräften zu fliegen. Der Schmerz in seinem Kopf wuchs über alles hinaus, was Ezr Vinh jemals erlebt hatte. Die kleinen roten Notleuchten schienen immer schwächer zu werden. Er fühlte, wie sein Bewusstsein niedergedrückt wurde, und Panik stieg hoch und würgte ihn. Er konnte nichts tun.
Und kurz bevor alles weg war, erwies ihm das Schicksal eine Gunst, eine Erinnerung: Trixia Bonsol war nicht an Bord der Pham Nuwen gewesen.
Acht
Mehr als zweihundert Jahre lang war das Uhrwerk unter dem gefrorenen See getreulich weitergelaufen, hatte Federwindung um Federwindung sich entspannt. Der Mechanismus tickte verlässlich bis zum Ablauf der letzten Feder — und dann blieb der eigentliche Auslösehebel an einem Fleckchen Luftschnee hängen. Dort hätte er bis zum Beginn der Neuen Sonne festhängen können, wären nicht gewisse andere unvorhergesehene Ereignisse eingetreten: Am siebten Tag des zweihundertundneunten Jahres breitete sich eine Serie heftiger Erdstöße von gefrorenen Meer her aus und rüttelte den Auslöser frei. Ein Kolben stieß einen Schaum von organischem Schlamm in einen Tank gefrorener Luft. Mehrere Minuten lang geschah nichts. Dann breitete sich ein Glühen durch den organischen Stoff aus, die Temperatur stieg über den Gefrierpunkt von Stickstoff und Sauerstoff, sogar über den von Kohlendioxid. Die Ausdünstungen einer Billion knospender Exotherms schmolz das Eis über dem kleinen Fahrzeug. Der Aufstieg zur Oberfläche hatte begonnen.