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Scherkaner ging voran zum Ufer des Sees, gefolgt von Unnerbei, während Nishnimor und Haven den Schlitten zogen. Abseits von ihrem U-Boot hüllte sie die Dunkelheit ein. Es gab noch Schimmer von rotem Licht, wo sich Exotherms über den Boden verteilt hatten; das U-Boot hatte Tonnen von Brennstoff verbraucht, während es sich seinen Weg zur Oberfläche schmolz. Der Rest des Einsatzes musste mit den Exotherms bestritten werden, die sie mit sich führen konnten, und mit dem Brennstoff, den sie unter dem Schnee zu finden vermochten.

Mehr als alles andere waren die Exotherms der Trick, der diesen Gang durchs Dunkel ermöglichte. Vor der Erfindung des Mikroskops behaupteten die ›großen Denker‹, den Unterschied zwischen höheren Tieren und dem übrigen Leben mache ihre Fähigkeit aus, als Individuen das Große Dunkel zu überstehen. Pflanzen und einfachere Tiere starben; nur ihre in Zysten eingeschlossenen Eier überlebten. Heutzutage war bekannt, dass viele einzellige Tiere das Gefrieren bestens überlebten, und das, ohne sich in Tiefen zurückziehen zu müssen. Noch seltsamer — und das war von Biologen an der Königsschule entdeckt worden, als Scherkaner noch in den ersten Semestern studierte — waren die Formen der Niederen Bakterien, die in Vulkanen lebten und das ganze Dunkel über aktiv blieben. Scherkaner hatten diese mikroskopischen Wesen sehr beeindruckt. Die Professoren nahmen an, solche Wesen müssten in Starre fallen oder Sporen bilden, wenn ein Vulkan erkaltete, doch Scherkaner fragte sich, ob es nicht Abarten geben könnte, die Kälteperioden überstanden, indem sie ihre eigene Wärme erzeugten. Immerhin gab es auch im Dunkel noch eine Menge Sauerstoff — und an den meisten Orten lag eine Schicht organischer Rückstände unter dem Luftschnee. Wenn es einen Katalysator gäbe, der die Oxidation bei supertiefen Temperaturen in Gang brächte, könnten die kleinen Biester zwischen Vulkanausbrüchen vielleicht einfach Vegetation ›verbrennen‹. Solche Bakterien wären am allerbesten an ein Leben nach Beginn des Dunkels angepasst.

Im Rückblick gesehen war es hauptsächlich Scherkaners Unwissenheit, die es ihm erlaubte, den Einfall zu verfolgen. Die beiden Lebensstrategien erforderten völlig unterschiedliche Chemismen. Die Wirkung äußerer Oxidation war sehr gering und kam in warmer Umgebung nicht vor. In vielen Situationen war der Trick ein ernstes Handicap für die kleinen Biester; die beiden Metabolismen waren füreinander im Allgemeinen giftig. Im Dunkel gewannen sie einen sehr kleinen Vorteil, wenn sie sich nahe an einem vulkanischen Hot-Spot befanden. Es wäre niemals bemerkt worden, hätte Scherkaner nicht danach gesucht. Er hatte ein Biologielabor für Studenten in einen gefrorenen Sumpf verwandelt und war dafür (vorübergehend) von der Schule geworfen worden, doch da waren sie: seine Exotherms.

Nach sieben Jahren selektiver Züchtung durch die Abteilung für Materialforschung hatten die Bakterien einen reinen, schnelloxidierenden Metabolismus. Wenn Scherkaner also Exothermschlamm in den Luftschnee fallen ließ, gab es einen Ausbruch von Dampf und dann ein winziges Leuchten, das schwächer wurde, während das noch flüssige Tröpfchen herabsank und sich abkühlte. Eine Sekunde verging, und wenn man sehr genau hinsah (und wenn die Exotherms in dem Tröpfchen Glück gehabt hatten), sah man ein schwaches Leuchten unter dem Schnee, das sich über die Oberfläche von allem fraß, was da an organischem Material verschneit sein mochte.

Das Glühen breitete sich zu seiner Linken stärker aus. Der Luftschnee zitterte und sackte ein, und eine Art Dampf stieg daraus auf. Scherkaner ruckte an dem Kabel zu Unnerbei und führte die Gruppe zu dichterem Brennstoff. So schlau der Einfall auch war, Exotherms zu verwenden war immer noch eine Art Feuermachen. Luftschnee gab es überall, doch die brennbaren Stoffe waren verborgen. Es war nur das Werk von Billionen Niederer Bakterien, das es erlaubte, den Brennstoff zu finden und zu nutzen. Eine Zeit lang war sogar die Materialforschung von ihrer eigenen Schöpfung eingeschüchtert. Wie die Mattenalgen der Südlichen Sandbänke waren diese winzigen Wesen in gewissem Sinne sozial. Sie bewegten und vermehrten sich so schnell wie nur je eine Matte, die die Sandbänke überzog. Was, wenn diese Exkursion die Welt in Brand steckte? Doch in Wahrheit war der Hochgeschwindigkeits-Metabolismus bakterieller Selbstmord. Unterberg und Begleitung hatten höchstens fünfzehn Stunden, bis die letzten von ihren Exotherms allesamt gestorben sein würden.

Bald hatten sie den See hinter sich gelassen und gingen über ein ebenes Feld, das in den Jahren des Schwindens als Bowlingrasen für den Befehlshaber des Stützpunkts gedient hatte. Hier gab es reichlich Brennstoff; an einer Stelle gerieten die Exotherms in einen zusammengebrochenen Haufen von Vegetation, die Überreste eines Songe-Baums. Der Haufen glühte immer wärmer, bis ein strahlendes smaragdfarbenes Licht durch den Schnee explodierte. Ein paar Augenblicke lang waren das Feld und die Gebäude ringsum deutlich zu sehen. Dann schwand das grüne Licht, und es blieb nur das warmrote Glühen.

Sie waren ungefähr hundert Meter vom U-Boot entfernt. Wenn es keine Hindernisse gab, hatten sie gut viertausend Meter weit zu gehen. Die Gruppe richtete sich auf eine mühevolle Routine ein: ein paar Dutzend Meter gehen, stehen bleiben und Exotherms verstreuen. Während Nishnimor und Haven sich ausruhten, schauten sich Unterberg und Unnerbei um, wo die Exotherms die reichsten Brennstofflager gefunden hatten. An diesen Stellen füllte jeder seinen Schlammkorb auf. Manchmal war nicht viel Brennstoff zu finden (etwa als sie über eine breite Zementplatte gingen), und sie kaum etwas einzuschaufeln hatten als Luftschnee. Den brauchten sie auch; sie mussten atmen. Doch ohne Brennstoff für die Exotherms drang die Kälte rasch so stark durch die Gelenke der Anzüge und von den Fußplatten herauf, dass die Beine gefühllos wurden. Dann hing der Erfolg davon ab, ob Scherkaner richtig erriet, wohin sie sich wenden sollten.

Das fand Scherkaner eigentlich ziemlich leicht. Er hatte seine Orientierung im Licht des brennenden Baumes gewonnen, und inzwischen war offensichtlich, welche Muster des Luftschnees Vegetation verbargen. Es war alles in Ordnung, er fror nicht wieder ein. Der Schmerz an den Spitzen von Händen und Füßen war scharf, und jedes Gelenk schien ein Feuerring zu sein, der Schmerz von druckbedingter Schwellung, Kälte und Scheuern am Anzug. Ein interessantes Problem, der Schmerz. So hilfreich, so widerwärtig. Selbst Leute wie Hrunkner Unnerbei konnten ihn nicht vollends ignorieren; er hörte durch das Kabel, wie Unnerbei schwer atmete.

Anhalten, die Körbe nachfüllen, Luft obendrauf, und dann weiter. Wieder und wieder. Gil Havens Erfrierung schien schlimmer zu werden. Sie blieben stehen, versuchten, den Anzug des Kupps zu ordnen. Unnerbei wechselte mit Haven den Platz und half Nishnimor der Schlitten ziehen. »Kein Problem, sind nur die Mittelhände«, sagte Gil. Doch sein schwerer Atem klang viel schlechter als der von Unnerbei.

Dennoch kamen sie besser voran, als Scherk erwartet hatte. Sie trotteten weiter durchs Dunkel, und bald lief ihre Routine fast automatisch ab. Es blieb nichts als der Schmerz… und das Staunen. Scherkaner schaute durch die winzigen Bullaugen seines Helms nach oben. Hinter dem wirbelnden Nebel und dem Glühen der Exotherms… lagen sanfte Hügel. Es war nicht völlig dunkel. Manchmal, wenn sein Kopf gerade den richtigen Winkel hatte, erhaschte er einen Blick auf eine rötliche Scheibe tief am Westhimmel. Er sah die Sonne des Tiefsten Dunkels.

Und durch das winzige Dach-Bullauge konnte er die Sterne sehen. Endlich sind wir hier. Die Ersten, die jemals das Tiefste Dunkel betrachteten. Es war eine Welt, der manche von den alten Philosophen die Existenz abgesprochen hatten — denn wie kann etwas dasein, das niemals zu beobachten ist. Doch nun wurde es gesehen. Es existierte, Jahrhunderte der Kälte und Stille… und Sterne überall. Selbst durch das dicke Glas des Bullauges, sogar nur mit seinen Oberaugen, sah er dort Farben, die nie zuvor jemand bei Sternen gesehen hatte. Wenn er nur mal eben anhalten und alle seine Augen in den richtigen Winkel zum Beobachten bringen könnte, was könnte er noch alles erkennen? Die meisten Theoretiker waren der Ansicht, die Flecken des Nordlichts würden verschwinden, wenn das Sonnenlicht sie nicht mehr antrieb; andere glaubten, das Nordlicht sei irgendwie von den Vulkanen darunter gespeist. Es könnte hier noch andere Lichter als die Sterne geben…