Trixia schwieg einige Zeit, ihre Augen glitten auf Ezrs Gesicht suchend hin und her. Was nun? Vinh erinnerte sich gut an Tante Filipas bitteren Rat in Bezug auf Frauen, die sich an reiche junge Kauffahrer hängen, sie sich angeln und dann glauben, über ihr Leben bestimmen zu können — oder, schlimmer, über das eigentliche Geschäft der Familie. Ezr war neunzehn, Trixia Bonsol fünfundzwanzig. Vielleicht dachte sie, sie könne einfach Forderungen stellen. Oh, Trixia, bitte nicht.
Schließlich lächelte sie, ein sanfteres, kleineres Lächeln als üblich. »Gut, Ezr. Tu, was du tun musst… Aber wenn ich um einen Gefallen bitten darf? Denke über das nach, was ich gesagt habe.« Sie wandte sich herum, streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren und es zärtlich zu streicheln. Ihr Kuss war sacht, zögernd.
Zwei
Das Balg lauerte Ezr in seiner Wohnung auf.
»He, Ezr, ich hab dich gestern Abend gesehen.« Das ließ ihn fast stocken. Sie redet von dem Bankett. Das Handelskomitee hatte es an die Flotte zurück übertragen.
»Klar, Qiwi, du hast mich übers Vid gesehen. Jetzt siehst du mich in Person.« Er öffnete die Tür, trat hinein. Irgendwie klebte das Balg so dicht hinter ihm, dass sie jetzt auch drinnen war. »Und was machst du hier?«
Qiwi war ein Genie, wenn es darum ging, Fragen so aufzufassen, wie es ihr passte. »Wir haben dieselbe Grobarbeits-Schicht, die in zweitausend Sekunden anfängt. Ich dachte, wir könnten zusammen in die Baktrei gehen und Klatsch austauschen.«
Vinh tauchte ins hintere Zimmer ab und sperrte sie diesmal aus. Er zog sich um und Arbeitskleidung an. Natürlich war das Balg noch da, als er herauskam.
Er seufzte. »Ich hab keinen Klatsch.« Das fehlte noch, dass ich wiederhole, was Trixia gesagt hat.
Qiwi grinste triumphierend. »Ich schon. Komm mit.« Sie öffnete die Außentür des Zimmers und machte vor ihm eine elegante Null-g-Verbeugung hinaus in den öffentlichen Korridor. »Ich möchte meine Beobachtungen mit dem vergleichen, was du gesehen hast. Aber eigentlich wette ich, dass ich mehr habe. Das Komitee hatte drei Aufnahmegeräte, auch am Eingang — bessere Bilder, als du gesehen hast.« Sie sprang neben ihm den Korridor entlang, erklärte, wie oft sie sich die Videos angesehen hatte, und erzählte von allen Leuten, mit denen sie seither geschwatzt hatte.
Vinh war Qiwi Lin Lisolet zum ersten Mal seinerzeit während der Flugvorbereitungen begegnet, im Raum bei Triland. Sie war ein acht Jahre altes Bündel purer Unausstehlichkeit gewesen. Und aus irgendeinem Grund hatte sie ihn zum Ziel ihrer Aufmerksamkeit gewählt. Nach einem Essen oder einer Ausbildungsstunde kam sie von hinten angestürzt und haute ihm auf die Schulter — und je wütender er wurde, umso mehr gefiel es ihr. Ein einziger ordentlicher Puff zurück hätte sie vielleicht zu etwas mehr Zurückhaltung bewogen, aber man kann eine Achtjährige nicht hauen. Sie war neun Jahre jünger als das verbindliche Mindestalter für Mannschaftsmitglieder. Kinder hatten ihren Platz vor Reisen und danach — nicht in Besatzungen, schon gar nicht, wenn sie in unerschlossenem Raum unterwegs waren. Aber Qiwis Mutter besaß zwanzig Prozent der Expedition… Die Familie Lisolet.17 war wahrhaft matriarchalisch, ursprünglich von Strentmann, weit entfernt am anderen Ende des Dschöng-Ho-Raums. Sie waren sowohl ihrer Erscheinung wie auch ihren Bräuchen nach sonderbar. Es musste eine Menge Regeln verletzt worden sein, aber am Ende war die kleine Qiwi in der Besatzung gewesen. Sie hatte mehr Jahre der Reise wach verbracht als alle außer der Wachmannschaft. Ein großer Teil ihrer Kindheit war zwischen den Sternen vergangen, wo sie nur ein paar Erwachsene um sich hatte, oft nicht einmal ihre eigenen Eltern. Der Gedanke daran allein genügte, um eine Menge von Vinhs Irritation zu besänftigen. Das arme kleine Mädchen. Und nicht mehr so klein. Qiwi musste vierzehn Jahre alt sein. Und jetzt waren an die Stelle ihrer körperlichen Attacken größtenteils verbale getreten — von Vorteil, wenn man die strentmannische Hochgravitations-Physis bedachte.
Jetzt gingen die beiden die Hauptachse des Temps hinab. »He, Raji, wie läuft’s?« Qiwi winkte jedem zweiten Passanten zu und grinste ihn an. In den Megasekunden vor der Ankunft der Aufsteiger hatte Kapitän Park fast die Hälfte der Flottenbesatzung aufgetaut, genug, um alle Fahrzeuge und Waffen zu bemannen, plus Ersatzleute. Im Temp seiner Eltern wären fünfzehnhundert Leute nicht mehr als eine große Gesellschaft. Hier waren sie eine Menschenmenge, selbst wenn sich die meisten während ihres Dienstes an Bord der Schiffe befanden. Bei so viel Leuten bemerkte man wirklich, dass die Wohnräume Provisorien waren, wenn für diesen Trupp und für jenen neue Trennwände aufgeblasen wurden. Die Hauptachse war nichts als die Ecken, wo sich vier große Ballons berührten. Die Oberfläche wellte sich gelegentlich, wenn vier oder fünf Leute aneinander vorbeischlüpfen mussten.
»Ich traue den Aufsteigern nicht, Ezr. Nach all dem großzügigen Gerede werden sie uns den Hals abschneiden.«
Vinh stieß ein irritiertes Grunzen aus. »Wieso lächelst du dann so viel?«
Sie schwebten an einem durchsichtigen Gewebeteil vorbei — ein echtes Fenster, keine Bildtapete. Dahinter lag der Park des Temps. Es war kaum mehr als ein großer Bonsai-Garten, enthielt aber wahrscheinlich mehr freien Raum und mehr Lebewesen als das ganze sterile Habitat der Aufsteiger. Qiwi blickte hindurch, und einen kurzen Moment lang war sie still. Lebende Pflanzen und Tiere waren so ziemlich das Einzige, was das bei ihr bewirken konnte. Ihr Vater war Flotten-Lebenserhaltungs-Offizier — und als Bonsai-Künstler im ganzen näheren Dschöng-Ho-Raum bekannt.
Dann schien sie in die Gegenwart zurückzufinden. Ihr Lächeln kehrte wieder, hochnäsig. »Weil wir die Dschöng Ho sind, wenn wir es uns nur ab und zu in Erinnerung rufen! Wir haben diesen Neulingen Jahrtausende an Raffinesse voraus. ›Aufsteiger‹, dass ich nicht lache! Wo sie jetzt sind, sind sie nur deshalb, weil sie den öffentlichen Teil des Dschöng-Ho-Netzes gehört haben. Ohne das Netz würden sie immer noch in ihren Ruinen hocken.«
Der Durchgang wurde enger, krümmte sich abwärts zu einer gebogenen Spitze. Hinter und über ihnen wurden die Geräusche der Besatzung von der Krümmung des Wandgewebes gedämpft. Es war die innerste Blase des Temps. Neben der Spiere und dem Energiereaktor war es der einzige absolut unerlässliche Teiclass="underline" die Baktrei.
Der Dienst hier war Grobarbeit, so ziemlich das Letze, was vorkam — die Bakterienfilter unter den Hydroteichen zu reinigen. Hier unter rochen die Pflanzen nicht so gut. Eigentlich wurde robuste Gesundheit von einem perfekten Verwesungsgestank angezeigt. Das meiste von der Arbeit konnten Maschinen erledigen, aber es gab Entscheidungen zu treffen, die die beste Automatik überforderten und die auf Fernsteuerung umzustellen sich nie jemand die Mühe gemacht hatte. In gewisser Hinsicht war es eine verantwortungsvolle Aufgabe. Man brauchte nur einen dummen Fehler zu machen, und ein Bakterienstamm konnte durch die Membranen in die oberen Tanks gelangen. Das Essen würde wie Kotze schmecken, und der Gestank konnte ins Belüftungssystem geraten. Doch selbst der schrecklichste Fehler würde wahrscheinlich niemanden das Leben kosten — es gab noch andere Baktreien in den Staustrahlschiffen, alle isoliert voneinander gehalten.
Also war dies ein Ort, wo man lernte, ideal nach den Maßstäben strenger Lehrer: Es war schwierig, es war körperlich unbequem, und ein Fehler konnte eine Peinlichkeit hervorrufen, über die man schwer hinwegkommen würde.
’ Qiwi hatte sich zu zusätzlichem Dienst hier verpflichtet. Sie behauptete, es gefalle ihr hier. »Mein Papa sagt, man muss mit den kleinsten Lebewesen anfangen, ehe man mit den großen umgehen kann.« Sie war eine wandelnde Enzyklopädie über Bakterien, die verschlungenen Wege der Metabolismen, die an Kläranlagen gemahnenden Duftnoten, die den einzelnen Kombinationen entsprachen, die Charakteristika von Stämmen, die von jedem menschlichen Kontakt Schaden nehmen würden (die gesegneten, die sie niemals zu riechen brauchten).