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»Man kann doch ein Blatt Papier oder einen Taschenrechner zur Hilfe nehmen.«

»Einen Taschenrechner? Was soll das denn sein?«, fragte Lonely-Lokley naserümpfend.

»Ach, Schürf, es gibt sehr viel mehr seltsame Dinge auf der Welt, als du dir träumen lässt.«

Nun erst vermochte ich ihn anzusehen und war erleichtert: Das war tatsächlich mein guter Freund Schürf. Wie immer war er ruhig und unerschüttert, und wie immer ließ er keine Gelegenheit aus, sein ohnehin enzyklopädisches Wissen zu erweitern. Also war das Leben wieder wie früher. Obendrein hatte ich gelernt, nie wieder einen anderen das Himmelsgewölbe tragen zu lassen. Man kann jedem vertrauen, aber glauben darf man nur an sich allein. Jeder von uns ist sein eigener Globus und Atlas zugleich. Und wer außer mir konnte schuld daran sein, dass ich schon mehr als dreißig Jahre auf der Welt war und nun erst ihre Regeln zu verstehen begann?

Sir Juffin unterbrach meine Überlegungen. »Weißt du, Max, mit dem Taschenrechner hast du ein sehr gutes Bild gefunden. Wenn ein Magier erkennt, dass er das Tor zwischen den Welten nicht allein durchqueren kann, nennt er sich Reiter. Na ja, das ist nur ein Name. Tatsächlich aber sucht er sich einen Menschen, der zu dieser Reise fähig ist, und ergreift von seiner Seele Besitz. Für jemanden, der Offenkundige Magie beherrscht, ist das ein Kinderspiel. Am leichtesten lässt sich die Seele von Dummköpfen lenken, denn sie sind oft begabt, haben aber häufig keine Ahnung von ihrem Potential. Außerdem gehört die Seele niemandem.«

Mein Chef legte eine kurze Pause ein, musterte Lonely-Lokley und setzte seine Ausführungen zufrieden fort. »Aber ein wirklich guter Magier kann auch den Körper eines Fremden beherrschen. Und wenn er sich sehr anstrengt, dringt er sogar in das Bewusstsein seines Reittiers ein. Wenn es dann stirbt, gehen all seine Talente und Fähigkeiten auf den Reiter über. Menschen wie du und ich sind dafür unbrauchbar und für diese Wesen sogar gefährlich, denn wir wissen, was wir tun, und können uns verteidigen.«

Juffin machte erneut eine Pause und musterte diesmal mich. »Weißt du, eigentlich wollte ich es dir nicht erzählen, um dich nicht zu erschrecken, doch auch dich hat so ein Lump beherrschen wollen, als du das Tor zwischen den Welten benutzt hast. Das ist ihm aber misslungen, und gnädigerweise hast du keine Erinnerungen an diese Attacke. Wie gefällt dir das?«

Schockiert sah ich meinen Chef an, gewann aber bald die Beherrschung zurück. Langsam konnte mich nichts mehr in Erstaunen versetzen.

»Ach, deshalb kann ich mich an meine Anfänge in Echo nicht erinnern! Und ich dachte schon, sie seien nur ein Traum gewesen. Aber warum haben Sie mir das verschwiegen, Sir Juffin? Es ist doch besser, so etwas von sich zu wissen.«

»Wenn ich dir gesagt hätte, wie es war, hättest du dich erschrocken und jede Reise zwischen den Welten abgelehnt. Ich wollte deinen seltsamen Begleiter eigentlich ausfindig machen, aber weil du nie in echter Lebensgefahr warst, habe ich es gelassen.«

»Schon gut. Zu den Magistern mit Ihnen«, seufzte ich. »Und mit diesen seltsamen Trittbrettfahrern«, fügte ich hinzu und wandte mich dann an Lonely-Lokley. »Du hast also auch die seltene Gabe, zwischen den Welten zu reisen? «

»Noch nicht, aber irgendwann schaffe ich es bestimmt. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt abwarten. In meinem Leben geht alles sehr langsam - das ist nun mal mein Schicksal.«

»Sie müssen sich wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass Ihre Zeit inzwischen gekommen ist«, meinte Juffin lächelnd. »Es war anders gedacht, Schürf, aber dieser rastlose Junge«, fuhr mein Chef fort und wies auf mich, »hat Sie früher als geplant auf die Reise in eine andere Welt mitgenommen.«

»Ich habe niemanden mitgenommen«, rief ich beleidigt. »Wann hören Sie endlich auf, in Rätseln zu sprechen?«

»Jedenfalls habe ich es satt, Lösungen zu verkünden. Und von Rätseln kann gar keine Rede sein«, entgegnete Juffin. »Na schön, ich erkläre es dir. Max, du hast Schürf aus Versehen - man könnte auch sagen: aus Dummheit - in einen deiner Träume mitgenommen. Ich hoffe, ihr wisst, wovon ich rede. Dann seid ihr zusammen vor den Toren von Kettari spazieren gegangen, und all das hat dazu geführt, dass Sir Schürf in eine gefährliche, besser gesagt in eine doppelbödige Situation geraten ist. Einerseits kann er das Tor zwischen den Welten schon allein benutzen, andererseits kennt er sich mit seiner Gabe noch nicht richtig aus. Er befindet sich in der gleichen Lage wie so mancher Bewohner unserer Irrenanstalten ... Leute, jetzt hab ich's! Wir sollten ein paar Geisteskranke besuchen. Bis jetzt hab ich nicht gewusst, wo wir geeignete Reittiere finden können, aber einige seiner Opfer sitzen bestimmt in der Irrenanstalt. Jedenfalls waren Sie nicht sein erstes Opfer, Schürf. Auf Ihrem Rücken durch das Chumgat zu reiten, war aber sogar für diesen Routinier mindestens eine Nummer zu groß. Dennoch fürchte ich, dass wir es mit einem sehr gefährlichen Reiter zu tun haben.«

»Das fürchte ich auch«, sagte Sir Schürf. »Wie ärgerlich, dass ich nicht an der Suche teilnehmen kann. Das alles liegt zeitlich nicht gerade günstig.«

»Stimmt«, meinte Juffin. »Bleiben Sie hier? Das wäre mir sehr recht, obwohl Sie im Cholomi-Gefängnis viel mehr Komfort hätten.«

»Natürlich bleibe ich. Komfort ist jetzt wirklich nicht das Wichtigste. Das kleine Zimmer neben Ihrem Büro, in dem Sie früher Verhöre durchgeführt haben, ist von der Außenwelt so isoliert wie die Zellen in Cholomi. Außerdem bin ich dann während der Ermittlungen in Ihrer Nähe. Und wer weiß - vielleicht ist es ganz gut, dass ich den Raum nicht verlasse.«

Ich sah die beiden verständnislos an. Schürf bemerkte meine Verwirrung und lächelte mild. »Dieser gefährliche Reiter kann mich überall aufs Neue erwischen. Ich habe Juffin meine tödlichen Handschuhe gegeben, doch auch ohne sie kann ich viel Unheil anrichten. Ich fürchte, dieser Reiter verspürt dir gegenüber besonderen Hass. Immerhin habe ich seine Gefühle miterlebt. Daher kann ich sicher sagen, dass sein Vorhaben, dich umzubringen, nicht allein aus praktischen Erwägungen rührt. Wenn dieser Lump wirklich befürchtet hätte, dass du Sir Juffin von meinen Problemen erzählst, hätte er mich sofort zum Schweigen gebracht. Mächtig genug dazu ist er ja. Wenn er zu mir kommt, kann ich keinen Widerstand leisten. Das ist ein furchtbares Gefühl der Ohnmacht. Darum ist es wohl am besten, eine Zeit lang in der Zelle neben eurem Büro einzusitzen. Jedenfalls, solange ihr in dieser Sache ermittelt. Du bist nicht der Einzige, der bei diesem Abenteuer an die Grenzen seiner Möglichkeiten geraten ist. Ich begreife noch immer nicht, warum du so großzügig warst und mich nicht mit deinem Gift bespuckt hast. Diese Waffe wendest du doch so oft an.«

»Das war keine Großzügigkeit. Um großzügig sein zu können, hätte ich nachdenken müssen, doch dazu hatte ich keine Zeit. Irgendwie wusste ich, dass mir nur die Flucht blieb, dass ich also etwas tun musste, womit du ganz und gar nicht gerechnet hast. Allerdings muss ich sagen, dass ich mir nicht erklären kann, warum genau ich mich so verhalten habe. Vielleicht habe ich rein intuitiv gehandelt.«

»Ich kann dir nur versichern, dass ich mich gegen dein Gift nicht hätte wehren können. Nur mein Handschuh hätte mich zu schützen vermocht. Dem Lump, der von mir Besitz ergriffen hatte, war mein Leben ganz egal. Wäre ich gestorben, hätte er sich eben jemand anderen für sein Vorhaben gesucht. Du hattest jedenfalls die besten Aussichten, mich umzubringen.«

»Du hättest stattdessen auch mich umbringen können. Oder es wäre etwas noch Schlimmeres passiert.«

»Es gibt nichts Schlimmeres als den Tod«, belehrte mich Schürf. »Andere Ereignisse können deine Welt beschädigen, aber vernichtet wird sie nur durch den Tod.«

»Schön, meine Herren, genug philosophiert!«, rief Juffin. »Schürf, Sie bleiben brav in Ihrer freiwilligen Haft. Ich glaube kaum, dass Ihr Reiter Sie hier wird besuchen wollen. Bei guter Führung dürfen Sie von Zeit zu Zeit einen Spaziergang machen. Nur schlafen dürfen Sie nicht.«