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Zwei Minuten später hielten wir vor einem niedrigen Zaun.

Bisher hatte ich geglaubt, jede Irrenanstalt sei so gut gesichert wie das berühmte Zuchthaus Nunda in Gugland. Was ich nun vorfand, widersprach meinen Erwartungen ganz und gar: Nicht einmal der Eingang der Anstalt war geschlossen, und der Zaun ließ sich spielend leicht überwinden.

Wir gingen durch einen schönen, angenehm verwahrlosten Park und landeten vor einem Gebäude, an dessen Vorderseite zwei große Fenster leuchteten.

»Ah, wir werden erwartet«, meinte Juffin und hielt eifrig auf das Haus zu wie ein Nachtfalter, den es zum Licht drängt.

»Warum gibt es hier keine Schutzmauer? Kennt man so was in Echo nicht?«

»Natürlich nicht«, sagte mein Chef und hob erstaunt die Brauen. »Warum auch? Wer sollte diese armen Menschen überfallen?«

»Aber sie könnten weglaufen!«, rief ich.

»Warum sollten sie? Schließlich geht es ihnen hier sehr gut. Die Heiler helfen ihnen, und manche Kranke können sogar ins normale Leben zurückkehren. Ist es in deiner alten Heimat etwa üblich, die Verrückten wegzusperren?«

»Natürlich. Sie schauen sich doch regelmäßig meine DVDs an - sind Sie da nie an Einer flog über das Kuckucksnest geraten? Diesen Film kann ich Ihnen sehr empfehlen, er wird Ihren Horizont erweitern. Nicht mal der legendäre Verbrecher Lojso Pondochwa hätte sich so etwas ausdenken können.«

Jetzt erst merkte ich, dass ich vor ohnmächtiger Wut zitterte, als hätte ich schon in so einer Anstalt gesessen. So stark kann große Filmkunst auf den Menschen wirken!

»Nimm das alles nicht so ernst«, riet mir mein Chef. »Schließlich gehen wir jetzt zu einem Heiler. Dieser kluge Mann braucht dich nur anzusehen, um bei dir etwas Verdächtiges festzustellen. Dann bekommst du ein paar Sorgenfreie Tage, und meine Probleme werden noch größer. Also reiß dich zusammen.«

Ich unterdrückte meinen Zorn, seufzte tief und sagte dann ruhig: »Psychisch Kranke einzusperren, ist mitunter notwendig. Sicher erinnern Sie sich noch an meinen verrückten Landsmann, der Frauen die Kehle durchgebissen hat. Was hätte man mit so einem Kerl tun sollen? Ihn mit Pillen beruhigen? Oder ihn in diesem Park spazieren gehen lassen?«

»Auch mit diesem Fall wären unsere Heiler rasch fertig geworden«, sagte Juffin leichthin. »Man hätte ihm Kristalle der Demut verabreicht. Die beruhigen.«

»So einfach ist das hier?«

»Einfacher geht's kaum, was?«

Da die Fenster im ersten Stock so einladend leuchteten, gingen wir die breite Treppe hinauf, deren weicher Teppich eventuelle Sturzgelüste der Insassen sanft abfangen sollte.

»Guten Abend, Sir Juffin. Sie sind es wirklich, Sir Max! Wie schön, dass Sie unsere Irrenanstalt besuchen und ich mich Ihnen vorstellen darf: Slobat Katschak, Oberster Beschützer des Seelenfriedens. Sollte Ihnen dieser Titel zu pompös sein, können Sie mich gern Obernachtheiler nennen«, sagte der zart wirkende Jüngling im türkisfarbenen Lochimantel.

»Slobat ist außerdem ehemaliger Magister des Ordens der Stachelbeere«, ergänzte Juffin. »Und er ist ein Nachtmensch wie du, Max.«

Der kleine Heiler war ungemein gastfreundlich. »Machen Sie es sich bequem, meine Herren. Wenn Sie meine bescheidene Bewirtung ablehnen, bricht mir das Herz.«

»Seit wann lassen wir vom Kleinen Geheimen Suchtrupp uns nicht mehr zum Essen und Trinken einladen? Das wäre ganz was Neues«, sagte Juffin. »Keine Sorge, Slobat: Max und ich werden nicht einen Krümel dessen verschmähen, was Sie uns servieren.«

Sofort zeigte sich, dass Slobat stark untertrieben hatte, denn auf uns warteten zahlreiche Tabletts. Trotz Juffins gefräßig klingender Ankündigung dauerte unser Mahl nur eine Viertelstunde. Mein Chef wollte offenbar zur Sache kommen.

»Slobat - Sir Max und ich müssen die Zimmer Ihrer Patienten sehen, und womöglich brauchen wir Ihre Hilfe. Darum möchte ich Sie bitten, sich im Korridor in Bereitschaft zu halten. Das ist zwar keine angenehme Art, die Nacht zu verbringen, aber Sie haben heute leider kein Glück.«

»Es gibt Schlimmeres«, meinte der Heiler stoisch. »Wo wollen Sie Ihren Rundgang beginnen?«

»Bei den hoffnungslosen Fällen, deren Seele durchs All treibt wie eine Nussschale im Sturm der Traurigen Zeit«, sagte mein Chef.

»Sündige Magister, Juffin, ich wusste gar nicht, dass Sie auch Dichter sind!«, erklärte ich respektvoll und erhob mich.

»Unsinn, Junge. Es ist nur das Haus, das mich in diese Stimmung versetzt.«

Wir verließen das Gebäude, gingen durch den Park und landeten vor einem Flachbau.

»Hier leben die hoffnungslosen Fälle, bei denen das Licht der Vernunft endgültig erloschen ist«, sagte unser Cicerone. »Schauen Sie sich ruhig um. Ich warte derweil.«

Wir betraten einen dunklen Flur. Ich hatte längst gelernt, mich auch im Finsteren leidlich zu orientieren, und Sir Juffin war als Kind des Vereinigten Königreichs ohnehin in der Lage, sich sogar in tiefster Nacht zurechtzufinden.

»Was soll ich tun? Welche Rolle haben Sie mir bei dieser Untersuchung zugedacht?«, flüsterte ich.

»Achte zuerst nur darauf, was ich tue. Vielleicht findest du allein heraus, wie so eine Befragung funktioniert. Übrigens kann es sein, dass wir hier nichts zu tun bekommen. Immerhin gibt es keine Garantie, dass wir ausgerechnet hier den finden, den wir suchen. Zum Glück brauche ich die Zimmer nur zu betreten, um zu wissen, ob der jeweilige Bewohner für uns von Interesse ist oder nicht.«

»Warum sind wir eigentlich ausgerechnet in diese Anstalt gefahren? Ist sie anders als die übrigen?«

»Natürlich. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Echo. Die anderen liegen weit draußen in der Provinz. Und auch diese Anstalt wird womöglich bald geschlossen, denn manche einflussreichen Heiler behaupten, der Aufenthalt in Echo sei der Seelenheilung abträglich. Außerdem braucht jeder, der das Tor zwischen den Welten durchqueren will, die Kraft der Hauptstadt. Sollte sich unser Reiter also die Seele eines Verrückten gesucht haben, dann hier und nicht in Uriuland.«

Wir betraten das erste Zimmer. Der Teppich war so weich, dass er auch als Bett diente. An der gegenüberliegenden Wand atmete jemand laut unter einer dicken Bettdecke.

»Diese Lady ist für uns nicht interessant«, sagte Juffin schnell. »Ihre wahnsinnige Seele irrlichtert zwar durchs Weltall, hat aber nicht genug Kraft, das Tor zwischen den Welten zu durchqueren. Lass uns weitergehen.«

»War das wirklich eine Lady?«, fragte ich überrascht und schloss die Tür hinter mir.

»Sogar eine wunderschöne Lady. Warum erstaunt dich das? Nett, dass du Frauen für anbetungswürdig hältst, aber auch sie werden mitunter verrückt.«

»Das weiß ich längst«, flüsterte ich aufgebracht. »Sind wir etwa in die Frauenabteilung geraten?«

»Was redest du da schon wieder? Wir sind hier doch nicht im Stadtteil Rendezvous! Oder trennt man in deiner alten Heimat die verrückten Männer von den verrückten Frauen?«

»Allerdings«, bestätigte ich.

»Warum hat man dort bloß solche Angst vor Verrückten?«, fragte mein Chef erstaunt. »Je mehr ich über deine Heimat erfahre, desto mehr fürchte ich, dass auch du irgendwann in so einer streng abgeschirmten Anstalt gelandet wärst.«

»Vielleicht«, antwortete ich lächelnd. »Allerdings habe ich ziemlich überzeugend den Normalen gespielt.«

»Na schön, wir finden sicher einmal Zeit, deine verlorene Jugend näher zu besprechen. Jetzt haben wir leider Wichtigeres zu tun.«

Wir sahen uns weitere Zimmer an.

»Das bringt nichts«, murmelte mein Chef, doch wir machten weiter. Als wir gut die Hälfte der Räume inspiziert hatten, empfand ich an einer Tür ein Unbehagen.

Irgendwie spürte ich, dass der Mensch in diesem Zimmer sich unfassbar einsam und von aller Welt verlassen fühlte. Auch mich überkam ein Gefühl absoluter, eisiger Isolation, einer Einsamkeit, die keine Chance bot zu begreifen, was einem widerfuhr - und keine Möglichkeit, je wieder ins normale Leben zurückzukehren. Etwas Ähnliches hatte ich gespürt, als ich in meinem Dienstwagen im Wald von Mahagon eingenickt war und kurz das Tor zwischen den Welten geöffnet hatte. Wie sehr hatte ich mich damals erschrocken!