Выбрать главу

Ich war überglücklich, denn noch nie hatte mich ein derart respekteinflößender Mensch so ehrfürchtig angeredet.

»Ich erlaube es«, antwortete ich mit der Stimme eines Menschen, der Entscheidungen zu treffen gewohnt ist.

»Mein Name ist Barcha Batschoj. Seit drei Jahren bin ich der Anführer der Soldaten des Stammes Chencha«, sagte er.

Chencha also hieß der Stamm, der all diese Schönlinge hervorgebracht hatte. Es war mir unangenehm, mich bisher so ganz und gar nicht für die Verhältnisse meines Landes und meiner Untertanen interessiert zu haben. Was war ich doch für ein Rabenkönig!

Barcha fuhr derweil fort: »Bis zum heutigen Tage habe ich die Verantwortung für dein Volk getragen, oh Fangachra! Nun aber hat der Himmel mein Flehen endlich erhört. Befreie mich nun also von dieser unerträglichen Bürde.«

»Ausgezeichnet«, meinte ich nickend. »Abgemacht. Ab heute wird alles anders. Ich bin bereit, vor dem Himmel für mein Volk die Verantwortung zu übernehmen, und du wirst ab heute mir gegenüber die Verantwortung für mein Volk tragen. Ich kann dir versprechen, dass ich - anders als der Himmel - ab und an auf deinen Rat hören werde.«

Barcha Batschoj leuchtete buchstäblich von innen. Er war begeistert, verbeugte sich dankbar vor mir und murmelte vor lauter Rührung etwas Unverständliches in sich hinein. Er hatte offenbar nicht begriffen, dass sich für ihn nichts geändert hatte. Wenigstens hatte ich ihn davon befreit, vergebliche Kontaktversuche mit dem Himmel aufnehmen zu müssen.

Schließlich zog sich mein neuer Bekannter, den ich in Gedanken »General« getauft hatte, zurück und machte einem etwas älteren, nicht eben großen und ziemlich schlanken Mann Platz, dessen Hände ebenso kräftig und muskulös wirkten wie die des Generals. Überhaupt war dieser ältere Mann eine recht auffällige Erscheinung. Etwas an ihm ließ mich an mächtige Magister längst verbotener Orden denken. Mein zweites Herz erkannte sofort, dass aus diesem Mann ein sehr gefährliches Wesen geworden wäre, wenn sein Leben anders verlaufen wäre.

»Sei gegrüßt, Fangachra!«, sagte der Alte. »Mein Name ist Fajriba, und manchmal besitze ich die Gabe der Klugheit. Ich bin gekommen, um dich bei deinem Wirklichen Namen zu nennen. Wenn dich der Klang dieses Namens erreicht, verschwindet der Fluch, der dein Volk verfolgt, seit wir dich verloren haben. Ich hoffe, deine Gäste werden es mir nicht verübeln, wenn ich dir deinen Namen gebe, ohne den Mund zu öffnen. Den Namen eines Königs darf man nicht laut äußern - das wäre ein Verstoß gegen die Gesetze des Himmels.«

»Ich wusste gar nicht, dass auch mein Volk die Stumme Rede beherrscht.«

»Dein Volk hat mit dieser gefährlichen Magie nichts zu tun«, beruhigte mich der strenge Alte. »Aber ich verfüge über Kraft genug, dir per Stummer Rede deinen Namen zu sagen.«

Daran zweifelte ich nicht - im Gegenteiclass="underline" Ich war mir sicher, dass die Magie des Alten noch viel größere Dinge zuwege bringen konnte.

Der Mann schnürte seine große Reisetasche auf und schüttete mir ihren Inhalt vor die Füße. Zu meinem Erstaunen handelte es sich um ganz normale Erde, und ich fragte mich, ob er in meinem Audienzsaal ein Beet anlegen wollte. Kaum hat man ein neues Zuhause, schon kommen Fremde und richten Chaos an, dachte ich.

»Gemäß unserer Sitte muss der König der Chencha auf dem Boden seines Landes stehen, wenn er seinen Wirklichen Namen vernimmt«, erklärte Fajriba. »Der mächtige König Gurig, dem gegenüber Ihr Verpflichtungen habt, erlaubt Euch nicht, in Eure Heimat zurückzukehren. Ich möchte nicht wissen, warum Ihr ihm verpflichtet seid, denn Eure Geheimnisse haben Eurem Volk heilig zu sein. Deshalb habe ich Euch die Erde Eurer Steppe mitgebracht und bitte Euch, sie zu betreten, Fangachra.«

Gehorsam stand ich auf. Fajribas Vorschlag kam mir zupass, denn meine Beine drohten einzuschlafen. Ich fürchtete zwar, die Schuhe ausziehen zu müssen, aber glücklicherweise verlangte das niemand von mir.

Der Alte zog ein Säckchen aus der Innentasche seiner Jacke. Darin befand sich eine Schatulle, aus der er eine winzige Flasche nahm. Irgendwie erwartete ich, Fajriba würde einen uralten Geist aus dieser Flasche lassen, doch das geschah nicht.

»Gebt mir Eure Hand, Fangachra«, befahl mir der Alte.

Unwillkürlich streckte ich die Linke aus - vielleicht, weil ich sie für die meisten Zaubertricks gebraucht hatte, die mir beigebracht worden waren.

»Das ist ein Zeichen des Himmels, Fangachra«, flüsterte der Alte mit zitternder Stimme. »Fast alle Könige haben den Schwur mit der Rechten geleistet, doch in grauer Vorzeit lebte ein Regent namens Drochmor Modilach, der seinem Schamanen die linke Hand gab. Er eroberte viele Gebiete, verschwand aber plötzlich. Auch Ihr werdet ein großer König sein, Fangachra.«

»Das kann ich mir vorstellen«, seufzte ich.

Ich vermutete gleich, der gute Fajriba werde mit mir eine böse Enttäuschung erleben. Ich hatte nämlich vor, schon in wenigen Jahren abzudanken und die Geschicke meines Königreichs in die Hände unseres sympathischen Herrschers Gurig zu legen. Einfach zu verschwinden, wäre allerdings keine passable Lösung gewesen. Aber wer weiß -vielleicht würde genau das bei meinem Volk großen Jubel auslösen.

Der alte Mann öffnete die Flasche und goss mir ein paar Tropfen einer farblosen Flüssigkeit auf die Handfläche.

»Dieses Wasser stammt aus der heiligen Quelle deiner Länder, Fangachra«, erklärte er mir.

Dann entnahm er der Schatulle eine spielkartengroße grünliche Platte aus einem mir unbekannten Material und legte sie vorsichtig auf meine vom heiligen Wasser noch nasse Hand. Da ich fürchtete, die Platte könne herunterfallen, machte ich reflexartig eine Faust.

Zu meinem Erstaunen war die Platte eiskalt. Als ich die Hand wieder öffnete, stellte ich fest, dass sie verschwunden war - und mit ihr meine Handlinien! Noch auf der Erde hatte ich ein paar Broschüren über Chiromantie gelesen und war über diesen Verlust entsprechend erschüttert.

Dann erschien auf meiner makellosen Handfläche eine Zeichenfolge, wie ich sie noch nie gesehen hatte. In meinem Kopf vernahm ich ihre lautliche Umsetzung: »Ajot Mo Limli Nichor - der Herrscher von Fangachra.«

Der alte Fajriba hatte es geschafft, mir per Stummer Rede meinen vollen Königsnamen mitzuteilen, doch ich spürte, wie sehr ihn das angestrengt hatte. Auch mich hatte die Stumme Rede früher ungemein ermüdet, obwohl ich in Juffin Halli einen wunderbaren Lehrer gehabt und der Aufenthalt in Echo mir magische Kräfte verliehen hatte.

Mein Wirklicher Name kam mir ziemlich lang vor, und ich zweifelte, ob ich mich an ihn würde erinnern können. Auch die Zeichenfolge in meiner Handfläche konnte mir da wenig helfen. Doch um die Gefühle meiner Untertanen nicht zu verletzen, versagte ich es mir, Fajriba um Wiederholung zu bitten.

»Es ist vollbracht!«, rief der Alte.

»Es ist vollbracht!«, flüsterten seine Begleiter einander begeistert zu.

»Natürlich ist es vollbracht«, erklärte ich freundlich und ließ mich wieder im Schneidersitz auf der Schwelle nieder. »Und ich hoffe, auch der Fluch, von dem ihr mir vorhin erzählt habt, ist damit von euch genommen.«

Meine nomadischen Untertanen schwiegen, doch ihre Augen leuchteten, und ihre strengen Gesichter hatten einen so begeisterten Ausdruck bekommen, dass ich wohl darauf zählen durfte. Das war seltsam, da ich doch gar nicht Fangachra war - egal, welche mystischen Zeichen sich auf meiner Handfläche zeigen mochten.

Die Zeremonie stockte kurz, denn die Anwesenden erwarteten meine Befehle, und ich wusste nicht, was ich ihnen auftragen sollte. Zuerst wollte ich jedenfalls das Verhältnis zu meinem Volk klären. »Wie ihr wisst, bin ich in Echo unabkömmlich und daher glücklich darüber, dass Fajriba und Barcha euch in die Leeren Länder zurückbegleiten.«

Aufmerksam betrachtete ich meine beiden Vertreter, die ihrerseits das Kinn hoben, den Atem anhielten und wirkten, als seien sie einige Zentimeter gewachsen. Auch andere Mitglieder meines Volkes wirkten erleichtert: Dass der neue König den Status seiner alten Vertreter bestätigt hatte, stimmte alle zufrieden. Schön - ich war offenbar ein kluger Herrscher.