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Ich gab ihm eine Krone, was ihn in seinem Urteil über mich offenbar nur bestätigte, denn das war viel zu viel Geld für so eine Kleinigkeit. Trotzdem murmelte er ein paar kaum verständliche Dankesworte, die man schon als kleines Kind lernt, und verschwand rasch in seinem Schuppen, wo ihn sicher eine heiße Tasse Kamra erwartete.

Ich sah ihm neidisch nach. Mir stand noch eine kurze, aber unangenehme Fahrt in die Neustadt bevor, und mein eisiger Lochimantel klebte mir wie ein nasses Laken am Rücken.

Ich warf mich ins A-Mobil und fuhr so stürmisch los, als würde mich eine Schar blutdürstiger Vampire verfolgen. Zwei Minuten später betrat ich im Laufschritt meine Wohnung in der Straße der gelben Steine.

Lonely-Lokley war schon da. Reglos saß er mitten im Zimmer. Gut möglich, dass er den Mittelpunkt des Raums zuvor eigens errechnet hatte.

Begeistert musterte ich meinen Freund. Sein schneeweißer Lochimantel schimmerte im Halbdunkel der Wohnung, und seine tödlichen Hände, die wie üblich in Schutzhandschuhen steckten, lagen friedlich in seinem Schoß. Das war kein Mensch, sondern ein Todesengel.

»Du warst ja schneller als ich!«, rief ich begeistert.

»Das ist kein Kunststück - schließlich habe ich mich von der Straße der vergessenen Träume bei dir gemeldet. Ich wollte dich im Armstrong und Ella erwischen und hatte nicht erwartet, dass du bei diesem Wetter draußen sein würdest.«

»Tja, ich bin eben geheimnisvoll und unberechenbar!«, rief ich lachend. »Hab bitte noch ein wenig Geduld. Wenn ich mich nicht sofort umziehe, bekomme ich sicher eine Erkältung - und das, obwohl ich fast schon vergessen habe, was Krankheit bedeutet.«

»Natürlich, Max, zieh dich um. Ich an deiner Stelle würde auch noch heiß duschen.«

»Genau das habe ich vor. Aber keine Sorge - ich spute mich. Du weißt ja, wie schnell ich alles erledige.«

»Das weiß ich«, bestätigte Schürf nickend. »Ich bestelle im Gefräßigen Truthahn ein hochprozentiges Getränk, das dich durchwärmen wird.«

»Nicht nötig«, sagte ich und lief dabei in den Keller. »Es geht mir gut. Ich brauche keinen Alkohol.«

»Langjährige Erfahrung hat mich gelehrt, dass ein Rausch schneller vorbeigeht als eine Erkältung«, widersprach Schürf.

Nach wenigen Minuten kehrte ich bester Laune ins Wohnzimmer zurück. Mir war nicht mehr kalt, ich trug meinen wärmsten Hausmantel, und mein Magen knurrte.

Auf dem Tisch tummelten sich Teller und Tassen. Als Aperitif schenkte ich mir eine große Tasse Kamra ein.

»Jetzt fühle ich mich wieder lebendig!«, rief ich nach den ersten Schlucken.

»Gut zu wissen«, meinte Lonely-Lokley.

Ich versuchte, die Spur eines Lächelns in seinem Gesicht zu entdecken, aber was das anging, war ich bei Schürf fast immer auf verlorenem Posten.

»Bei mir zu Hause kannst du deine Handschuhe ruhig ablegen«, sagte ich und setzte mich in den Sessel neben ihm. »Wenn ich anfange, auf deine Kosten dumme Witze zu reißen, kannst du sie ja wieder anziehen. Allerdings gibt es Gerüchte, nach denen ich selbst nach meinem Tod nicht schweigen werde. Mich umzubringen, wäre also keine gute Lösung.«

»Was hast du bloß für seltsame Ideen! Dein Leben ist zu wertvoll, um es wegen kleinlicher Streitigkeiten zu beenden. Ich behalte meine Handschuhe aus anderen Gründen an.«

»Spürst du etwa Gefahr?«, fragte ich, hörte auf zu essen und versuchte, ein kluges Gesicht zu machen. Wenn Lonely-Lokley sich bedroht fühlte, war die Lage ernst.

»Aber nein, Max, ich spüre keine Gefahr, jedenfalls nicht hier und jetzt. Ich ziehe meine Handschuhe nicht aus, weil das Etui, in dem ich sie aufbewahre, in meinem Büro im Haus an der Brücke liegt. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich sie einfach irgendwohin legen kann.«

»Was deine Handschuhe angeht, fehlen mir Kenntnisse in puncto Sicherheitstechnik«, sagte ich lächelnd. »Aber zu den Magistern mit deinen Pfoten. Erzähl mir endlich von deinen Geheimnissen. Ich sterbe vor Neugier.«

»Es ist nichts Besonderes passiert«, sagte Schürf nachdenklich. »Es gibt nichts Beunruhigendes. Trotzdem spüre ich etwas Seltsames. Max, erinnerst du dich daran, dass du mich einmal in einen deiner Träume mitgenommen hast?«

»Natürlich. Das war auf unserer Reise nach Kettari. Wir haben in einem engen Bett geschlafen, und du hast mir erlaubt, deinen Traum zu betreten, wie du das so schön genannt hast.«

»Ja«, sagte Schürf nickend. »Aber in Wirklichkeit war es umgekehrt. Die seltsamen Orte, durch die wir kamen, stammten allesamt aus deinen Träumen. Von Anfang an wusste ich, dass deine Träume besondere Aufmerksamkeit verdienen. Doch darum geht es nicht. Erinnerst du dich an die großen Sandstrände am Ufer eines ruhigen Meeres? Das sah zwar alles nicht gerade freundlich aus, aber in deiner Gesellschaft habe ich es sehr genossen.«

»Natürlich erinnere ich mich daran. Warum willst du ausgerechnet darüber reden?«

»Weil es leider nötig ist«, meinte Schürf achselzuckend. »Ich träume in letzter Zeit oft von diesem Ort - natürlich ohne deine Begleitung. Der Strand erscheint mir überhaupt nicht freundlich, und ich habe keine Lust, ihn zu besuchen - weder im Traum noch in der Wirklichkeit.«

»Vielleicht konnte ich dich damals begleiten, weil wir das gleiche Kissen benutzten«, überlegte ich.

»Theoretisch hat der Abstand zwischen den Köpfen zweier Schlafender tatsächlich einen Einfluss - besonders, wenn es sich um jemanden handelt, der in diesem Bereich so unerfahren ist wie ich. Und wie ich deine Fähigkeiten einschätze, hast du das Zeug dazu, mich in deine Träume mitzunehmen - auch wenn wir weit voneinander entfernt schlafen. Aber darum geht es nicht, dessen bin ich mir sicher. Wenn ich durch dich an diesen Traum geraten wäre, hätte ich deine Anwesenheit gespürt. Aber dort gibt es dich nicht - das ist gewiss. Irgendwer, den ich nicht sehen kann und dessen Anwesenheit mir ganz und gar nicht gefällt, hält sich offenbar dort auf. Und ich glaube, ich kenne diese Person nicht.«

»Wahnsinn!«, rief ich. »Merkwürdige Gestalten tingeln durch meinen Lieblingstraum, und ich weiß nichts davon! Jedenfalls konnte ich dich nur in meinen Traum mitnehmen, weil du die Voraussetzungen dafür mitbrachtest und den Willen dazu hattest, dich auf diese Reise zu begeben. Ich habe übrigens schon längere Zeit nicht mehr von diesem Strand geträumt. Seit meinem letzten Besuch auf dem Familiensitz von Sir Melifaro, um genau zu sein. Ich hatte diesen Traum fast vergessen - und das, obwohl ich wichtige Dinge viel schneller vergesse als Träume.«

»Es gibt nichts Wichtigeres als bestimmte Träume, Max. Seltsam, dass ich das ausgerechnet einem Menschen sagen muss, der seine Kraft aus Träumen schöpft!«, entgegnete Schürf und schüttelte erstaunt den Kopf.

»Das ist wohl so«, sagte ich nachdenklich. »In letzter Zeit allerdings ist die Wirklichkeit viel traumhafter als meine Träume.«

»Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du kürzlich mal wieder einen Traum mit einem anderen Menschen geteilt hast, aber das ist offenbar nicht der Fall gewesen«, sagte Schürf ruhig. »Hast du früher, als du noch von dem Strand träumtest, dort nie jemanden getroffen? Hast du dort nie etwas Seltsames gespürt?«

»Nein. Ich schätze diesen Strand sehr und war mir immer sicher, er gehöre mir allein. Weißt du, manchmal ist man von Dingen seltsam überzeugt, bei denen es sich eigentlich nur um persönliche Einschätzungen handelt.«

»Dieses Gefühl kenne ich«, pflichtete Lonely-Lokley mir bei. »Und ich glaube, man darf ihm durchaus vertrauen. Aber wie ich nun sehe, kannst du mir bei meinem Problem kaum weiterhelfen.«